Mittwoch, Mai 16, 2007

Das philosophische Café / Julia Knapp

Das philosophische Café ist eine bestimmte Art, praktische Philosophie zu betreiben. Wie Sokrates auf dem Athener Marktplatz philosophische Dialoge führte, wie Diogenes durch öffentliches Onanieren Aufsehen erregte und sein Treiben philosophisch begründete, wie Descartes die Erlebnisse und Erkenntnisse seiner intensiven Meditationen in langen Briefen an seine Freunde verarbeitete, wie Kant einen philosophischen Mittagstisch mit Freunden hielt, so werden auch heute Wege gesucht, um Philosophie zu praktizieren – und einer davon ist der Besuch eines philosophischen Cafés.
Das erste philosophische Café wurde 1992 in Paris an der Place de la Bastille von Marc Sautet gegründet, einem akademischen Philosophen, der bereits durch das Betreiben einer eigenen philosophischen Praxis Auswege aus der „Krise“ der akademischen Philosophie suchte. Den philosophischen Mittagstisch im Kant´schen Sinn hatte er bereits verwirklicht, die Öffentlichkeit stieß sozusagen zufällig dazu, die Treffen etablierten sich. Seitdem ist das philosophische Café – welches übrigens stets ein gesellschaftliches Ereignis und keinen Ort bezeichnet – über die Pariser Stadtgrenzen hinausgewachsen und erfreut sich Nachahmern in ganz Europa.
Sautets Treffen verlaufen ohne Struktur und Plan. Die Teilnehmer treffen sich, daraufhin wird spontan ein Thema ausgewählt, bei mehreren Themenvorschlägen wird demokratisch entschieden. Der Leiter hat somit nicht die Möglichkeit sich inhaltlich auf das Treffen vorzubereiten – es besteht also durchaus die Möglichkeit, dass er selbst nicht viel mehr an gesichertem Wissen zu bieten hat, als seine Caféhausteilnehmer.
Aber das stellt die Grundlage des Sautet’schen Prinzips dar: Der Dialog als höchste Form der philosophischen Kommunikation, ganz im Sinne Sokrates.
Der sokratische Dialog ist die Bildung einer moralisch korrekten Haltung im theoretischen Dialog, das Entwickeln von Kommunikationsfähigkeit, das Anerkennen von Gleichwertigkeit und das Ernstnehmen des Gesprächpartners. In sokratikoi logoi, dem argumentativen Zwiegespräch, wird eine Meinung zur Wahrheit entwickelt.
Sokrates geht davon aus, dass jeder Wissen in sich trägt, welches durch den Dialog herausgekitzelt werden kann. Somit fungiert er (und im übertragenen Sinn Sautet) als Geburtshelfer des neuen Gedankenguts.
Der Ausgangspunkt des sokratischen Dialog ist stets eine „Was ist…“- Frage, also beispielsweise „Was ist Gott?“ „Was ist Liebe?“ „Was ist Heimat?“ Viele sokratische Fragen findet man übrigens in dem hervorragenden „Fragebogen“ von Max Frisch.
Das – meist besserwisserische und vorschnelle – Gegenüber antwortet mit einer Floskel „Gott ist der Erschaffer der Welt“, „Liebe ist das höchste Gut der Menschheit“, „Heimat ist Griechenland“ etc. Sokrates stellt immer weitere Fragen und sucht nach Gründen für diese Behauptung. Am Ende muss der Gesprächspartner einsehen, dass seine Annahme falsch oder zumindest nicht begründbar ist – und hier öffnet sich der Weg für die Suche nach dem wahren Wissen. „Ich weiß, dass ich nichts weiß“ – der ideale Start für wahre Suche nach episteme.
Zu Beginn der Zwanziger etablierte Nelson die sokratischen Gespräche erneut und entwickelte daraus eine Methode für den philosophischen Unterricht. Hauptpunkt des Neo-Sokratismus ist die Aufhebung des klassischen Dialogs durch die Umgestaltung zum Gruppengespräch. Die Rolle des Sokrates erhielt nun der Leiter der Gruppe.
Marc Sautets Modell des café philo hält sich insofern vollkommen an Sokrates, als dass es sich auch auf die reine Mündlichkeit beschränkt.
Wichtig hier ist nicht unbedingt das Weitervermitteln der Inhalte philosophischer Werke sondern vielmehr das Selbst-Philosophieren der Caféteilnehmer, das Entwickeln eigener Gedanken und Kritik zum gestellten und gewählten Thema.
Einer der vielen Nachahmer Sautets in Deutschland ist Lutz von Werder. Sein philosophisches Café kann in Berlin besucht werden. Werder bemängelt, dass das französiche Modell nicht ausgereift sei. Für ihn reicht Reden nicht, er vertritt die These, dass Philosophie der Schrift, des Schreibens und der Schreibdidaktik bedarf.
In seinen 11 Thesen zum philosophischen Café unterstreicht er die für ihn wichtigsten Punkte. Demnach hat jeder Mensch eine eigene, unbewusste Lebensphilosophie (Handlungsgrundlage), welche durch philosophisches Schreiben bewusst weitergedacht werden kann – und auch nur dadurch. Werder beruft sich auf die Schriftlichkeit der Philosophie und vertritt klar die Meinung, dass ohne Schrift keine Philosophie auf hohem Niveau stattfinden kann. Das heißt aber nicht, dass er ein Annhänger der akademischen Philosophie ist, obwohl habilitiert lehnt Werder die akademische Philosophie klar ab.
Er bringt seien Caféhausbesuchern die Philosophie durch philosophierende Schreibübungen näher. Beispielsweise stellt er Epikur mit vier Sätzen vor:
- An den Tod nicht denken
- Gott nicht fürchten
- Das Schlechte dauert nicht lange
- Das Gute ist leicht zu haben
Im Anschluss sollen alle Teilnehmer ebenfalls vier Sätze festhalten – ihrer eigenen Lebensphilosphie – einen Satz zum Glück, einen zu Gott, und jeweils einen zum Schlechten und zum Guten. Im Anschluss kann, wer will, seine vier Sätze vorlesen. Diese Texte bilden die Grundlage für die weiterführende Diskussion.
Andere Möglichkeiten für „philosophische Schreibübungen“ finden sich in der Literatur. Von Werders Gäste erstellen sowohl Vierzeiler als auch Haikus, fiktive Dialoge (gerne zwischen Philosophen), Gedichte, Kurzprosa, Aphorismen etc.
Er teilt den Erkenntnisgewinn durch das Schreiben in sechs Phasen ein:
1) Präparation: Auftauchen eines Gedankens der über die eigene Lebensphilosophie hinausgeht
2) Inkubation: der Gedanke setzt sich
3) Inspiration: Ideenbruchstücke werden zu einem Gedankengang zusammengefügt
4) Explikation: Schriftliches Ausführen des Gedankens
5) Evaluation: Bewertung des Gedankens
6) Verifikation: Überprüfen des Gedankens auf Tauglichkeit.

Ohne das Verschriftlichen des Gedankens sieht Werder keine Möglichkeit, den Gedankengang festzuhalten und differenziert zu betrachten.
In Werders Café werden drei Hauptthemen behandelt: Gott, Tod und Glück. In seinem Buch (und zahlreichen von ihm sowohl verfasst als auch empfohlenen Nachschlagewerken) gibt er zahlreiche Beispiele für die Herangehensweise und etliche Tipps für (werdende) Caféveranstalter.
Werders Haken besteht für mich darin, dass er die Universitätsphilosophie verteufelt. Sie sei in ihrem Elfenbeinturm eingefroren und beschäftige sich nur noch mit dem Interpretieren großer klassischer Philosophen denn mit dem Philosophieren selbst.
Als Vertreter dieser Meinung müsste er Sautets Prinzip des Cafés anhängen, was aber nicht der Fall ist, er entwickelt sein eigenes Modell, in welchem der Philosoph vorgestellt wird, in welchem sich der Caféhausleiter vorbereitet und didaktische und pädagogische Schreibübungen abgehalten werden – von einem akademischen Philosophen. Will Werder nun sagen, dass ein jeder ein café philo leiten könnte? Würde das aber nicht genau in dem Zustand enden, den er Sautet vorwirft: In zügellosem und unstrukturiertem Diskutieren auf emotionaler und psychologischer Ebene? Ich meine doch.
Peter Vollbrecht hat sich aus beiden Theorien gute Aspekte herausgesucht und zu einem schönen Neuen vermengt.
Auch er vertritt die Meinung, dass Sautets café philo an Strukturmangel leide, und dass der reine Austausch von Meinungen noch lange nicht den Erkenntnisgewinn garantiere.
Er baut sein café philo strukturiert auf: Er legt das Thema im Vorhinein fest und arbeitet Vorträge aus, welche in das Thema und die spezifische Philosophie bzw. das zu behandelnde Problem einführen. Zwischen den Vorträgen liegen die Diskussionsblöcke, in denen es natürlich nicht nur um die Interpretation der Originalstimme sondern auch um das eigene Philosophieren geht.
Unser philosophisches Café in Konstanz ist wiederum anders beschaffen.
Hier ein Auszug aus dem Text der Homepage:

Das Café Manuscript begreift sich ausdrücklich nicht als ein Ableger der Marc Sautetschen Idee. Im Unterschied zu diesem steht nicht der Vortragende im Mittelpunkt. Vielmehr soll die Diskussion angeregt durch eine schauspielerische Darstellung einer historischen Persönlichkeit von der Mitte des Cafés ausgehen.
Ein jeder soll sich frei entscheiden können, ob er das aufgeworfene Thema aufgreifen und dieses in kleinerer oder größerer Runde diskutieren will oder ob er lediglich bei einer Tasse Café die Atmosphäre unseres Cafés genießen möchte.
Das Cafe Manuscript findet man in der Rheingasse 4 (Stadtteil Niederburg), im Internet unter http://www.cafe-manuscript.de/, Kontakt: studer@cafe-manuscript.de




Verwendete Literatur:
Werder, Lutz von. Das philosophische Café ein Kreativer Weg zur Philosophie. Milow, 1998
Sautet, Marc. Ein Café für Sokrates. Philosophie für jedermann. Düsseldorf, 1999
Vollbrecht, Peter: Kant und Cappuchino? Zu Vision und Wirklichkeit Philosophischer Cafés. In: Staude, Detlef (Hrsg). Lebendiges Philosophieren Philosophische Praxis im Alltag. Bielefeld, 2005
Prechtel, Peter (Hrsg): Metzler Philosophie Lexikon. Stuttgart, Weimar, 1999.


susisReferat (JuliaK) : Philosophisches Café
Themen: ► Definition des Begriffes „Philosophisches Café“ ► Klärung der Frage WO es philosophische Cafés gibt oder an welchen Orten sie stattfinden ► Klärung der Frage WIE ein Philosophisches Café abgehalten wird und ob es unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten gibt
Vertreter dieser Diskussionsform mit jeweils unterschiedlichen Auffassungen : (- Nelson: erarbeitet Methode für philosophischen Unterricht)

-Marc Sautet
-Lutz von Werder
-Peter Vollbrecht
Was ist ein „Philosophisches Café“?
Ein „Philosophisches Café“ ist ein Ort, an dem man im gemeinsamen Gespräch das Kritik- und Urteilsvermögen schulen kann, indem man Begriffen, Grundannahmen und gewohnten Denkweisen fragend nachgeht. Man erschließt reflektierend neue Perspektiven und lernt die Gründe zu erfragen, die zu unterschiedlichen Denk- und Sichtweisen führen.
Wo findet man ein Philosophisches Café?
Eigentlich kann man ein Philosophisches Cafe überall finden, da es überall stattfinden und zustande kommen kann (gesellschaftliches Ereignis und kein Ort). Idealerweise ist ein Ort, an dem für das leibliche Wohl gesorgt ist und zusätzlich auch die Räumlichkeiten und das Publikum stimmt. Üblicherweise werden philosophische Cafés jedoch geplant und als fester Veranstaltungstermin (teilweise mit Eintritt!) bekannt gegeben.
Wie kann man sich die Gestaltung eines philosophischen Cafés vorstellen? Hier können unterschiedliche Ablaufsformen zustande kommen, da die Leiter der philosophischen Cafés unterschiedliche Persönlichkeiten sind und somit auch auf verschiedene Dinge wert legen.
Marc Sautet überlässt die Themenfindung den Besuchern und stimmt bei mehreren Vorschlägen demokratisch ab. Er lässt solche Treffen ohne Struktur und Plan stattfinden und ist deshalb auch inhaltlich nicht auf die Themen vorbereitet. Er handelt nach dem Prinzip Sokrates: Der Dialog ist die höchste Form der philosophischen Kommunikation. Bei ihm geschieht alles auf der mündlichen Basis.
Lutz von Werder dagegen meint Philosophie muss niedergeschrieben werden. Hierzu hat er 11 Thesen formuliert. Er ist davon überzeugt, dass nur so ein hohes Niveau in der Philosophie erreicht werden kann! Die Themenwahl wird durch ihn vorgegeben und die Diskussion findet erst anhand von den in Worten gefassten Gedanken der Besucher statt. Der Erkenntnisgewinn durch das philosophische Schreiben wird von ihm in sechs Phasen eingeteilt (Präparation, Inkubation, Inspiration, Explikation, Evaluation, Verifikation). Bei ihm spielen die drei Themen: Glück, Tod und Liebe eine zentrale Rolle beim Abhalten seines philosophischen Cafés.
Peter Vollbrecht scheint beide Vorgängermodelle zu vereinen. Er bereitet kurze Vorträge zu bestimmten, von ihm gewählten Themen vor. Zwischen den einzelnen Vorträgen wird dann eine Zeitspanne gewährt, um den Besuchern die Möglichkeit des Diskutierens und Philosophierens zu geben.
Es gibt jedoch auch ganz andere Formen: Hierzu die Homepage vom philosophischen Café Konstanz: www.cafe-manuscript.de
Diskussion handelte von folgenden Punkten:
- Lebensberatung? - Kann man für solche Veranstaltungen Geld verlangen? - Berufsverband notwendig? - GPS im Hirn: Erkenn dich selbst!

Keine Kommentare: