Dienstag, Juli 14, 2009

Das Gastmahl des Euripides

Fiktiver Dialog „Das Gastmahl des Euripides“
Ort der Handlung: Athen, im Hause des Euripides
Jahr der Handlung: 412 v. Chr.

5 Menschen nehmen am Gastmahl teil, ein jeder stellt seine Konzeption von Philosophie dar. Die behandelte Frage ist: Wie kann Philosophie im täglichen Leben relevant werden?
In einem Redewettstreit sollen nun alle nacheinander ihre Meinung darlegen. Ein Fremder nimmt ebenfalls an der Runde teil. Text in: Roth/ Staude, Konstanz 2008

Euripides (Schriftsteller, Künstler):

Er nennt zwei Argumente, warum die Kunst lebenspraktisch wirksamer ist als die Philosophie:
- Handlung im Theater bzw. auf der Bühne erinnert die Zuschauer an ihr eigenes Leben, sie können sich darin wiederfinden
- durch die Kunst kann man die geistige Zwischenwelt erreichen, der Mensch stellt durch sie sein eigenes Wesen in Frage und leistet somit etwas Ähnliches wie die Philosophie, welche für ihn aber etwas zu lebensfremd bzw. alltagsuntauglich erscheint (Bsp.: Thales fällt vor lauter Überlegungen in den Brunnen; Sokrates bleibt recht lange an Ort und Stelle stehen, während er nachdenkt)
 kurz: die Kunst erreicht mehr Menschen als die Philosophie


Protagoras (Philosophischer Praktiker):

- die Philosophie hat schon immer Fragen gestellt, welche von großer lebenspraktischer Bedeutung waren (z.B.: Gestalt von Himmel und Erde, sowie die Gleichmäßigkeit der Sterne, was alles für Seefahrer und Händler von großem Nutzen war)
- wer nach Wissen und Weisheit strebt, setzt sich mit Fragen auseinander, die vorerst vielleicht nicht als allzu nützlich erscheinen; doch je mehr man versucht nachzudenken, desto mehr stößt man auch in neue Bereiche vor, was wiederum nützlich sein kann
- er unterscheidet drei Formen: das Wissen über die Welt, über die allgemeine theoretische Natur und über den Menschen und seine Existenz
- Philosophische Praxis = Aufsuchen von Methoden zu grundlegender Erkenntnis und zur Weisheit
- Philosophische Theorie = Liebe zu Worten und Definitionen
- Der Mensch ist alles aus sich, er ist das Maß seiner Erkenntnis und seines Tuns. Daher ist die praktische Philosophie von Nöten, um zu erkennen, wie man richtig handelt. Die Kunst kann dabei sicherlich helfen, jedoch ist die Kunst nichts ohne die Philosophie, ohne die man sie nicht erfassen kann.
 kurz: die Philosophische Praxis ist das Arbeiten an der Freiheit des kritischen und klaren Denkens


Sokrates (hier zugleich: klassischer akademischer Philosoph/ kontrafaktisch):

- Ist die Philosophie alltagstauglich? Hält das lange Nachsinnen nicht eher von der Arbeit /vom Alltag ab?
- Philosophieren ist die Beschäftigung mit dem Allgemeinen, der Alltag aber mit dem Speziellen.
- Daher muss man sich vom Alltag lösen, um sich dem Allgemeinen widmen zu können.
- Philosophie sollte nicht unter dem Druck stehen, dem Alltag nützlich zu sein
- wichtig ist (wie auch Protagoras gesagt hat), dass der Mensch im Mittelpunkt stehen muss
- Widerspruch zu Protagoras: Die Philosophie sei nicht dazu da, anderen direkt zu helfen, sondern vielmehr dem Philosophen selbst. Philosophie hilft nur dann anderen, wenn sie sich davon anregen lassen und selbst philosophieren (was Protagoras am Ende aber selbst gesagt hatte)
 kurz: Menschen nicht belehren, sondern ihr Unwissen aufzeigen, so dass neuer Freiraum für Selbstzweifel und eine Neuorientierung durch das eigenständige Philosophieren geschaffen wird


Aspasia (einzige Frau der Runde):

- Neue Frage: Für wen soll die Philosophie lebensbedeutsam sein?
- Der Mensch ist das Maß aller Dinge (Protagoras), doch nur, wenn jeder seine bestmöglichen Potentiale entfaltet, sein/ihr Maß zu finden und ihm gerecht zu werden.
- leider gibt es viele Fehlurteile, daher ist das philosophisches Gespräch nötig, um Mut zu machen und zu hinterfragen
 kurz: Nur durch gemeinsames Philosophieren kann man zu neuen Erkenntnissen gelangen


Der Fremde (skeptischer Infragesteller):

- man übersieht zu oft Menschen, die vielleicht nicht den Eindruck machen, dass sie zum Philosophieren geeignet sind
- würden nur die philosophieren, welche sich vom Alltag entfernen können (Sokrates), so würden sie, wenn sie vom Menschlichen sprechen, doch nur von Menschen wie sich selbst reden können und dadurch keine allgemeingültige Aussage machen
- so könnte auch die Kunst von Euripides, die Ratschläge von Protagoras oder das philosophische Gespräch (Aspasia) an den kulturellen Unterschieden wie Verhaltensweisen und an der Sprache, … scheitern
- was die Menschen aber wirklich miteinander verbindet ist die Orientierung ihres Lebens an der Liebe
- da ein Philosoph die Wahrheit liebt, muss seine Leidenschaft ansteckend sein
 kurz: will Philosophie im Alltag bedeutsam sein, muss sie die Herzen der Menschen erreichen


Zusätzliche Erwähnungen:

- das Buch von Protagoras, welches erwähnt wird, ist wohl leider nicht mehr vorhanden, es müsste neu geschrieben werden.
- Ist Sokrates besonders religiös? Einige Sokratesinterpreten stellen dies heute auch noch so dar, jedoch scheiden sich hier die Geister.
- Ort Athen: Kirche und Staat nicht getrennt; Mischung der Regierungsformen: Adelsherrschaft, Tyrranis (Herrschaft der 30 Oligarchen), Demokratie (jedoch nicht ganz so, wie wir sie kennen, z.B.: Tod des Sokrates, demokratisch beschlossen …)
- Sokrates widersteht seiner Neigung zum Dialog bzw. wird er dazu ermahnt, er hält schließlich eine große Rede
- das Stillstehen des Sokrates beim Philosophieren ist ganz klar eine Eigenschaft des historischen Sokrates
- Kunst wirkt überindividuell
- Das Symposion ist ein RedeWettstreit, bei dem am Ende ein Gewinner steht, hier jedoch einigt man sich am Schluss darauf, dass es keinen Sieger gibt
- Firmament (Sterne am Himmel): Kant soll schon als kleiner Junge nach einem Spaziergang mit seiner Mutter, die Sterne sehr bewundert haben. "Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir." - Kritik der praktischen Vernunft, Beschluß
- Sokrates stand damals zu seiner Aussage, dass die Arbeit den Menschen vom Philosophieren abhielt und so hörte er mit dem Arbeiten auf
- Wer ist der Fremde? Die Frage bleibt offen, jedoch könnte man etwas Göttliches („den Gott“) dahinter vermuten
- Wie kommt Staude (Autor) auf die Liebe?  Symposion von Platon: Lobreden auf den Eros
- Streitgespräche gingen normalerweise nicht so friedlich vonstatten, es wurde zudem auch immer gern viel Wein dazu getrunken, was die hitzige Stimmung noch zusätzlich unterstütze
- verschiedene Themen werden wieder aufgegriffen (Wissen, …)
- mit Aristoteles hat sich durchgesetzt, dass fortan nicht mehr anhand von Dialogen philosophische Texte verfasst wurden, sondern mit Hilfe von Erörterungen (Wittgenstein greift im 20.Jhd. die dialogische philosophische Darstellung, Frage und Antwort -PU- wieder auf)
- Problem historischer Sokrates: man weiß nicht viel über ihn (er blieb beim Philosophieren stehen; setzte gern anderen zu; diskutierte überall, die Höflichkeit ignorierend; meinte, er habe anderen voraus, wenigstens zu wissen, dass er nicht wisse; war im Krieg und hatte die Rüstung selbst auftreiben müssen; war verheiratet; vielleicht hatte er Kinder mit 2 Frauen; war selber Sohn eines Steinmetz)
es gibt wenig Möglichkeiten über Sokrates eine Bibliographie zu schreiben, es gibt zwar Quellen (Platon und Xenophon), aber diese sind recht wage bzw. durchwirkt von Botschaften des jeweiligen Autors; Sokrates als philosophisch-literarische Figur anderer Autoren; er ist kein Autor von Texten, sondern Figur in Texten (wie Jesus)

WAS STEHT IM WS AUF DEM PROGRAMM ?
Peter Solterdijk „Du musst dein Leben ändern. ÜBER ANTHROPOTECHNIK“ 2009
MO 16 - ca. 19 h HS

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