Sonntag, Juli 19, 2009

Creative Philosophical Writing I (Tillmann Weißer)

SOKRATES
J, die Anderen

J.: War Sokrates ein Sophist?

Die A.: Wie kommst du denn auf so eine dumme Frage? Hast du nicht gelesen, wie Platon Sokrates gegen die Sophisten wettern lässt, sobald sich ihm auch nur irgendwie die Möglichkeit bietet?

J.: Natürlich habe ich es gelesen, doch kam es mir an manchen Stellen auch so vor, als wäre es unsere Interpretation, wenn wir behaupten, Sokrates mache sich über die Sophisten lustig. Denn nimmt man ihn beim Wort, so lobt er die Sophisten ob ihrer Weisheit. Im Beisein des Protagoras soll Sokrates sogar seinen Liebling Alkibiades vergessen haben, so voller Bewunderung war er für den alten Sophisten, der als einziger zugab, ein solcher zu sein. Könnte es nicht sein, dass Sokrates nicht auch einer von jenen Sophisten gewesen ist, die nur behaupten, keine zu sein, weil sie um ihren Ruf fürchten?

Die A.: Nein, das ist ganz und gar unmöglich.
J.: Versuchen wir es denn so. Sokrates behauptet in seinen Reden, dass die Dialektik der einzige Weg zu gesichertem Wissen sei. Der Menon ist ein wahrer Lobgesang auf die Dialektik. Und dennoch. Alle Argumente, die Menon vorbringt, schlägt Sokrates auf sophistische Weise nieder. Und als Menon versucht ihn in die Falle zu locken, erkennt Sokrates diese sofort und weicht ihr aus. Er war also auf jeden Fall in der sophistischen Redeweise geübt. Noch dazu schreckt er nicht davor zurück sie anzuwenden, obwohl er doch mit der Dialektik ein, seiner Meinung nach, viel besseres Mittel an der Hand hat Menschen zu überzeugen.

Die A.: Darauf haben doch schon viele vor dir hingewiesen. Und allgemein bekannt ist, dass im Zwiegespräch nicht unbedingt, die stärkste Antwort gegeben wird, sondern eben nur die, die das Gegenüber überzeugt.

J.: Ihr meint also, die Dialektik sei eine Weiterentwicklung der Sophistik?
Die A.: Du versuchst es gleich dem Menon dem Sokrates gegenüber!
J.: Nun gut, wir wollen es hierbei belassen, denn wir kommen hier, genau wie die vielen vor uns, nicht weiter. Vielleicht hilft es uns weiter, wenn wir den Ausgangspunkt unserer Erörterung ein wenig verlagern und dann mit neuem Wissen auf meine Frage zurückschauen. So, wie du dich immer gibst, scheint dir nämlich klar zu sein, was mir bisher verborgen blieb. Du achtest immer darauf, wie du dich anziehst, wiegst jedes Wort, das du sagst, davor sorgfältig ab, und auch bei dem was du tust, bist du stets darum bemüht, es aber jedem recht zu tun. Nun sag mir, warum ist das so, und warum achtest du so darauf?
Die A.: Na nu? Ist dir denn nicht bewusst, dass viele dich für einen Außenseiter halten, wenn du nicht das gleiche sagst, anziehst oder tust wie sie?
J.: Das war mir bewusst, und deshalb fragte ich dich auch. Denn wärst du wirklich ein Außenseiter, wenn du nicht das gleiche sagst, anziehst oder tust wie die Vielen?
Die A.: Ich wenigstens möchte es behaupten, dass der ein Außenseiter ist, der den Vielen nicht gleicht.
J.: Du wunderst mich! Denn gerade du bist doch jemand, der darauf besteht ein Individuum zu sein und nicht gleich einem jeden einzelnen der Vielen.
Die A.: Nun denn, dann bin ich wohl ein Außenseiter.
J.: Und trotzdem bemühst du dich darum, keiner zu sein? Obwohl es wie du gerade zugestanden hast, gar nicht in deiner Macht liegt, sondern dir in die Wiege gelegt wurde, ein Anderer zu sein als die Vielen?
Die A.: Das scheint sinnlos.
J.: Doch ist es nicht auch so, dass es einem jeden der Vielen in die Wiege gelegt wurde, ein Anderer zu sein als die Vielen?
Die A.: Du hast Recht. Dann bin ich wohl kein Außenseiter, denn jeder ist einer, vergleicht man ihn mit den Vielen.
J.: Und wenn du nun tust, sagst und anziehst, was die Vielen tun, sagen und anziehen, dann macht es dich zu einem der Vielen, von denen sich der Außenseiter unterscheidet?
Die A.: Ja.
J.: Kein Individuum bist du also?
Die A.: Man merkt, dass du vom Beruf her einer bist, der nur für Witze bezahlt wird. Lass mich einmal alles zusammenfassen. Jeder der Vielen ist ein Individuum, denn andere Eltern hat er, und selbst eineiige Zwillinge kann man auseinander halten, wenn man sie nur gut genug kennt. Die Vielen sind also nicht alle eins, sondern viele eine. Alle zusammen haben das Bestreben einander ähnlich zu sein, deshalb haben sie Regeln und Gesetze geschaffen, nach denen sich alle richten können. So wissen die Vielen, was sie tun, sagen und anziehen sollen und was sie bleiben lassen. Wenn das nun alles so ist, dann will ich meine Behauptung zurücknehmen und nicht sagen, ein Außenseiter ist, wer den Vielen nicht gleicht, sondern ich will sagen: Ein Außenseiter ist, wer den Vielen nicht gleichen will, wer also bewusst Regeln oder Gesetze der Vielen nicht befolgen will.
J.: Welch schöne Definition! Doch beachte auch folgendes. Es war einmal ein Mann wie ich, der kam in eine Stadt, die überall wegen der Schönheit ihrer Bewohner bekannt war. Doch die Bewohner wussten nicht, was Schönheit ist und so fiel ihnen gar nicht auf, dass sie sich von der restlichen Menschheit abgrenzten. Nun, da der Mann angekommen war, fragte er: „Was sind eure Regeln und Gesetze? Denn ich möchte es euch gleich tun, und einer von euch Vielen werden!“ Da antworteten die Bewohner und erklärten eine jede Regel und ein jedes Gesetz. Und fortan tat es der Mann den Bewohnern gleich. Er wurde einer der Vielen und bald schon hatte er vergessen, dass er ein Anderer war. Doch, eines Tages traf sein Blick zufällig auf einen Spiegel. Der Mann erkannte, dass er nicht eben schön war und einem jeden, der wusste was Schönheit ist, wäre sofort aufgefallen, dass er keiner der Vielen ist. Da war der Mann traurig, denn er wusste, dass er ein Außenseiter war.
Die A.: Aber das war er doch gar nicht! Die Vielen wussten doch gar nicht was Schönheit ist. So haben sie ihn demnach auch behandelt, als wäre er einer von ihnen.
J.: Da hast du recht. Und dennoch. Er fühlte sich als ein solcher.
Die A.: Vielleicht muss man beim Außenseiter etwas unterscheiden. Zu allererst ist Außenseiter, wer nicht gleich ist den Vielen und ich meine nicht, dass er ein Individuum ist, im Gegensatz zu den Vielen, die keins sind, sondern ich meine, dass er den Vielen in ihnen wesentlichen Eigenschaften nicht gleich ist. Ein solcher ist auf jeden Fall ein Außenseiter. Doch es gibt auch noch den, der einer der Vielen sein könnte, ihnen aber nicht gleich sein will.
J.: Aber deine Unterscheidung ist hinfällig. Ist doch die wesentlichste Eigenschaft der Vielen, dass sie einander gleich sein wollen. Beantworte dir und mir doch folgende Frage: War der Mann denn nun ein Außenseiter oder nicht?
Die A.: Das kann ich so nicht sagen.
J.: Was hindert dich?
Die A.: Nun, wäre ich der Mann, so würde ich sagen: „Ja, ich bin ein Außenseiter!“ Wäre ich einer der Vielen, so würde ich sagen: „Kerl, wie kommst du denn auf so etwas? Wenn einer kein Außenseiter ist, dann doch wohl dieser Mann, denn niemand hält sich besser an unsere Regeln und Gesetze!“ Du siehst, es ist vollkommen subjektiv, ob man einen Menschen als Außenseiter bezeichnet, oder nicht.
J.: Nun war wohl eben dies meine Frage, als ich dich zuerst gefragt habe: „Oh du mein Gegenüber! Kannst du mir sagen, ob Sokrates ein Sophist war oder nicht?“ Denn, dass Platon der Meinung war, Sokrates sei kein Sophist gewesen, das bezweifelt ja niemand. Doch ebenso nur umgekehrt steht es mit Menon. Der stellt seine Fragen an Sokrates und redet mit ihm, gerade weil er denkt, Sokrates sei ein Sophist. Und Sokrates selbst? Er hat gegen die Sophisten gewettert, aber auch Jesus war Jude, und erst im Nachhinein, haben wir aus ihm den Christus der Christen gemacht. Wer entscheidet also, was man ist?
Die A.: Da fällt mir ein, ich habe vorhin etwas vergessen, als ich sagte, es gäbe zwei Ansichten darüber, wer Außenseiter ist, und wer nicht. Zum einen war da der Einzelne, zum zweiten die Vielen. Aber es gibt noch eine dritte Ansicht, nämlich die eines wirklich Außenstehenden. Der kann doch alle der Vielen untereinander vergleichen und feststellen, wer ein Außenseiter ist, und wer nicht.
J.: Was man ist entscheiden also entweder die Vielen, oder man selbst, oder jemand der alle miteinander vergleicht.
Die A.: So ist es. Doch frag ich mich dann, wenn die drei Ansichten nicht übereinstimmen, welche ist dann die richtige? Bin ich es, der mich zu dem macht was ich bin, oder sind es die Vielen? Weiß ich, was ich wirklich bin, oder glaube ich nur, es zu wissen? Ich weiß es schon gar nicht mehr. Wer bin ich wirklich?

J.: Da haben wir ein paar sehr interessante Fragen und gerne würde ich mit euch diesen Fragen nachgehen, doch drängt mich die Zeit. Ich bin schon viel zu spät dran! Auf ein baldiges Wiedersehen!

Dienstag, Juli 14, 2009

Platons Symposion (des Agathon)

In der letzten Sitzung

Ort: ATHEN, (Haus des Dramatikers AGATHON * 447)
Zeit: 416 ante

ARISTOPHANES * 447 erfolgreicher Komödiendichter (bis heute)
Sokrates * 469 (eine Generation älter) der selbst nichts schriftlich hinterlassen hat,
doch in den Schriften Platons sehr eindrücklich philosophiert
ALKIBIADES * 450 späterer General (407 nicht wiedergewählt:
404 -5 Jahre vor der Hinrichtung des Sokrates- im Exil ermordet)
Neffe & Mündel des Perikles
/ zeitweise sokrates&philosophiebegeistert

Das Gastmahl des Euripides

Fiktiver Dialog „Das Gastmahl des Euripides“
Ort der Handlung: Athen, im Hause des Euripides
Jahr der Handlung: 412 v. Chr.

5 Menschen nehmen am Gastmahl teil, ein jeder stellt seine Konzeption von Philosophie dar. Die behandelte Frage ist: Wie kann Philosophie im täglichen Leben relevant werden?
In einem Redewettstreit sollen nun alle nacheinander ihre Meinung darlegen. Ein Fremder nimmt ebenfalls an der Runde teil. Text in: Roth/ Staude, Konstanz 2008

Euripides (Schriftsteller, Künstler):

Er nennt zwei Argumente, warum die Kunst lebenspraktisch wirksamer ist als die Philosophie:
- Handlung im Theater bzw. auf der Bühne erinnert die Zuschauer an ihr eigenes Leben, sie können sich darin wiederfinden
- durch die Kunst kann man die geistige Zwischenwelt erreichen, der Mensch stellt durch sie sein eigenes Wesen in Frage und leistet somit etwas Ähnliches wie die Philosophie, welche für ihn aber etwas zu lebensfremd bzw. alltagsuntauglich erscheint (Bsp.: Thales fällt vor lauter Überlegungen in den Brunnen; Sokrates bleibt recht lange an Ort und Stelle stehen, während er nachdenkt)
 kurz: die Kunst erreicht mehr Menschen als die Philosophie


Protagoras (Philosophischer Praktiker):

- die Philosophie hat schon immer Fragen gestellt, welche von großer lebenspraktischer Bedeutung waren (z.B.: Gestalt von Himmel und Erde, sowie die Gleichmäßigkeit der Sterne, was alles für Seefahrer und Händler von großem Nutzen war)
- wer nach Wissen und Weisheit strebt, setzt sich mit Fragen auseinander, die vorerst vielleicht nicht als allzu nützlich erscheinen; doch je mehr man versucht nachzudenken, desto mehr stößt man auch in neue Bereiche vor, was wiederum nützlich sein kann
- er unterscheidet drei Formen: das Wissen über die Welt, über die allgemeine theoretische Natur und über den Menschen und seine Existenz
- Philosophische Praxis = Aufsuchen von Methoden zu grundlegender Erkenntnis und zur Weisheit
- Philosophische Theorie = Liebe zu Worten und Definitionen
- Der Mensch ist alles aus sich, er ist das Maß seiner Erkenntnis und seines Tuns. Daher ist die praktische Philosophie von Nöten, um zu erkennen, wie man richtig handelt. Die Kunst kann dabei sicherlich helfen, jedoch ist die Kunst nichts ohne die Philosophie, ohne die man sie nicht erfassen kann.
 kurz: die Philosophische Praxis ist das Arbeiten an der Freiheit des kritischen und klaren Denkens


Sokrates (hier zugleich: klassischer akademischer Philosoph/ kontrafaktisch):

- Ist die Philosophie alltagstauglich? Hält das lange Nachsinnen nicht eher von der Arbeit /vom Alltag ab?
- Philosophieren ist die Beschäftigung mit dem Allgemeinen, der Alltag aber mit dem Speziellen.
- Daher muss man sich vom Alltag lösen, um sich dem Allgemeinen widmen zu können.
- Philosophie sollte nicht unter dem Druck stehen, dem Alltag nützlich zu sein
- wichtig ist (wie auch Protagoras gesagt hat), dass der Mensch im Mittelpunkt stehen muss
- Widerspruch zu Protagoras: Die Philosophie sei nicht dazu da, anderen direkt zu helfen, sondern vielmehr dem Philosophen selbst. Philosophie hilft nur dann anderen, wenn sie sich davon anregen lassen und selbst philosophieren (was Protagoras am Ende aber selbst gesagt hatte)
 kurz: Menschen nicht belehren, sondern ihr Unwissen aufzeigen, so dass neuer Freiraum für Selbstzweifel und eine Neuorientierung durch das eigenständige Philosophieren geschaffen wird


Aspasia (einzige Frau der Runde):

- Neue Frage: Für wen soll die Philosophie lebensbedeutsam sein?
- Der Mensch ist das Maß aller Dinge (Protagoras), doch nur, wenn jeder seine bestmöglichen Potentiale entfaltet, sein/ihr Maß zu finden und ihm gerecht zu werden.
- leider gibt es viele Fehlurteile, daher ist das philosophisches Gespräch nötig, um Mut zu machen und zu hinterfragen
 kurz: Nur durch gemeinsames Philosophieren kann man zu neuen Erkenntnissen gelangen


Der Fremde (skeptischer Infragesteller):

- man übersieht zu oft Menschen, die vielleicht nicht den Eindruck machen, dass sie zum Philosophieren geeignet sind
- würden nur die philosophieren, welche sich vom Alltag entfernen können (Sokrates), so würden sie, wenn sie vom Menschlichen sprechen, doch nur von Menschen wie sich selbst reden können und dadurch keine allgemeingültige Aussage machen
- so könnte auch die Kunst von Euripides, die Ratschläge von Protagoras oder das philosophische Gespräch (Aspasia) an den kulturellen Unterschieden wie Verhaltensweisen und an der Sprache, … scheitern
- was die Menschen aber wirklich miteinander verbindet ist die Orientierung ihres Lebens an der Liebe
- da ein Philosoph die Wahrheit liebt, muss seine Leidenschaft ansteckend sein
 kurz: will Philosophie im Alltag bedeutsam sein, muss sie die Herzen der Menschen erreichen


Zusätzliche Erwähnungen:

- das Buch von Protagoras, welches erwähnt wird, ist wohl leider nicht mehr vorhanden, es müsste neu geschrieben werden.
- Ist Sokrates besonders religiös? Einige Sokratesinterpreten stellen dies heute auch noch so dar, jedoch scheiden sich hier die Geister.
- Ort Athen: Kirche und Staat nicht getrennt; Mischung der Regierungsformen: Adelsherrschaft, Tyrranis (Herrschaft der 30 Oligarchen), Demokratie (jedoch nicht ganz so, wie wir sie kennen, z.B.: Tod des Sokrates, demokratisch beschlossen …)
- Sokrates widersteht seiner Neigung zum Dialog bzw. wird er dazu ermahnt, er hält schließlich eine große Rede
- das Stillstehen des Sokrates beim Philosophieren ist ganz klar eine Eigenschaft des historischen Sokrates
- Kunst wirkt überindividuell
- Das Symposion ist ein RedeWettstreit, bei dem am Ende ein Gewinner steht, hier jedoch einigt man sich am Schluss darauf, dass es keinen Sieger gibt
- Firmament (Sterne am Himmel): Kant soll schon als kleiner Junge nach einem Spaziergang mit seiner Mutter, die Sterne sehr bewundert haben. "Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir." - Kritik der praktischen Vernunft, Beschluß
- Sokrates stand damals zu seiner Aussage, dass die Arbeit den Menschen vom Philosophieren abhielt und so hörte er mit dem Arbeiten auf
- Wer ist der Fremde? Die Frage bleibt offen, jedoch könnte man etwas Göttliches („den Gott“) dahinter vermuten
- Wie kommt Staude (Autor) auf die Liebe?  Symposion von Platon: Lobreden auf den Eros
- Streitgespräche gingen normalerweise nicht so friedlich vonstatten, es wurde zudem auch immer gern viel Wein dazu getrunken, was die hitzige Stimmung noch zusätzlich unterstütze
- verschiedene Themen werden wieder aufgegriffen (Wissen, …)
- mit Aristoteles hat sich durchgesetzt, dass fortan nicht mehr anhand von Dialogen philosophische Texte verfasst wurden, sondern mit Hilfe von Erörterungen (Wittgenstein greift im 20.Jhd. die dialogische philosophische Darstellung, Frage und Antwort -PU- wieder auf)
- Problem historischer Sokrates: man weiß nicht viel über ihn (er blieb beim Philosophieren stehen; setzte gern anderen zu; diskutierte überall, die Höflichkeit ignorierend; meinte, er habe anderen voraus, wenigstens zu wissen, dass er nicht wisse; war im Krieg und hatte die Rüstung selbst auftreiben müssen; war verheiratet; vielleicht hatte er Kinder mit 2 Frauen; war selber Sohn eines Steinmetz)
es gibt wenig Möglichkeiten über Sokrates eine Bibliographie zu schreiben, es gibt zwar Quellen (Platon und Xenophon), aber diese sind recht wage bzw. durchwirkt von Botschaften des jeweiligen Autors; Sokrates als philosophisch-literarische Figur anderer Autoren; er ist kein Autor von Texten, sondern Figur in Texten (wie Jesus)

WAS STEHT IM WS AUF DEM PROGRAMM ?
Peter Solterdijk „Du musst dein Leben ändern. ÜBER ANTHROPOTECHNIK“ 2009
MO 16 - ca. 19 h HS

Freitag, Juli 10, 2009

Protagoras 356 c – 362 a END

Protokoll zum 06.07.2009, Miklos Mihalik

Nach einer längeren Besprechung des Protokolls der vorhergegangenen Woche steigen wir in den Text ein:
In 356 wird erörtert, dass die Messkunde als Bewertungssystem für das Heil oder Unheil des Lebens herangezogen werden muss, anstelle sich von Erscheinungen blenden zu lassen. Letztlich sei die Arithmetik (Rechenkunst) das Ausschlaggebende. Die Anwesenden, inklusive Protagoras, sind hiermit einverstanden. Dies ist nun Voraussetzung gewesen dafür, an dieser Stelle behaupten zu können, dass die Erkenntnis nun doch nicht über alles herrsche und somit auch nicht über die Lust und Unlust. Vor allem ließe sich nun erkennen, dass gerade dann die Wahl zwischen Lust und Unlust, Gut und Böse, auf das Falsche fiele, wenn es nicht nur an Erkenntnis fehle, sondern eben auch Unverstand eine große Rolle spiele. (Protagoras behaupte ja, diesen bekämpfen zu können.) Doch die Anwesenden haben dies bisher nicht auf diese Art (also nicht richtig) gesehen, würden es aber nun verstehen – Sokrates sei Dank. Dies lässt sich Sokrates selbstverständlich vom Publikum bestätigen (358a). Es folgt die Begriffsklärung des Unverstandes. Er sei falsche Meinung und getäuscht sein über wichtige Dinge. Dies bedeute also, dass niemand freiwillig Böses machen würde und wenn jemand in einer Situation gezwungen würde, sich zwischen zwei schlimmen Möglichkeiten zu wählen, die Person stets das kleinere Übel wählen würde (dies entspricht dem Kern der sokratischen Philosophie). Weiter: niemand würde einer Sache nachgehen, vor der sich die selbige Person fürchte.
Doch nun zurück zum übergeordneten Thema der Tapferkeit, die sich ja deutlich von den übrigen Tugenden (Klugheit, Besonnenheit, Gerechtigkeit und Frömmigkeit) unterscheide: es gibt definitiv böse Menschen, die aber tapfer sind. Auch dies wird bejaht. Auf die Frage des Sokrates, ob die Tapferen dreist seien antwortete Protagoras bereits früher mit: „und auch keck zufahrend.“ Ob dies nun auch für die Feigen gelte, lautet die Antwort nein. Doch dies sei unmöglich, so Sokrates, denn niemand gehe dem nach, was er für furchtbar hielte. Es folgt das Beispiel des Krieges, in den zu ziehen als schön gilt. Sowohl der Tapfere als auch der Feige würden in den Krieg ziehen aber aus unterschiedlichen Beweggründen heraus, woraus sich Sokrates zurechtlegt, dass der Feige nicht weiß, dass es schön ist, in den Krieg zu ziehen. Soweit von Protagoras alles angenommen und bejaht folgt ein kleiner Triumph Sokrates´. also ist die Feigheit das Gegenteil von Unkenntnis? Das Gegenteil von Feigheit war doch aber die Tapferkeit. Nun gelingt es Sokrates an dieser Stelle (360e) Protagoras schachmatt zu setzen. Hierauf Protagoras: „Vollende es selbst“, da er selbst eine kurze Zeit still und ohne Worte verharrte. Er zeigte sich in diesem Moment geschlagen.
Selbstlos stellt nun Sokrates fest, es ginge ihm hier lediglich um die Klärung des eigentlichen Themas, ob die Tüchtigkeit lehrbar sei. Doch der Ausgang des Gespräches sei soweit irreführend, da Sokrates einen Weg zu suchen scheint, wie Tüchtigkeit doch am besten lehrbar sei (hinter allen Arten der Tüchtigkeit stecke letztendlich nur Erkenntnis) und Protagoras, der mit dem bisherigen Verlauf des Gespräches eher gegen seine eigene These argumentierte (hinter allen Arten der Tüchtigkeit stecke alles andere als Erkenntnis).
Der Dialog klingt an dieser Stelle mit ein paar Schmeicheleien aus. Sokrates sei sehr entschlossen und die Durchführung der Erörterungen sehr gelungen – so Protagoras. Er selbst sei in keinster Weise neidisch, er würde Sokrates eher bewundern.
„Nachdem wir das gesprochen und gehört hatten, gingen wir weg.“
Meiner Meinung nach ist dies ein triviales Ende des Buches. Ich hätte etwas mehr erwartet, als nur einen kleinen „Stolperer“ des Protagoras. Der große Triumph Sokrates´ bleibt an dieser Stelle aus.
Anm.: "Man hat ... eine Verbindung des PROTAGORAS zum SYMPOSION herstellen wollen. ... handelt ja auch das SYMPOSION von der Frage nach der Lehrbarkeit der arete/Tüchtigkeit"
Ueberweg Antike 2/2, 186

Mittwoch, Juli 08, 2009

Protagoras 339

Oh-mein-Sokrates
Lina-Mylene Knirsch, Christopher Walz

Platon Protagoras
Sitzung vom 29.Juni 2009

Im Abschnitt 339 übernimmt Protagoras die Rolle des Fragenden. Er lenkt das Gespräch auf ein Gedicht, welches er versucht zu beurteilen und anschließend zu erklären - Dies gestaltet er so, dass die Tugend im gesamten Gesprächsverlauf der zentrale Gegenstand bleibt.
Als erstes nennt er ein Gedicht von Simonides, in dem sich ein - seiner Meinung nach - innerer Widerspruch aufzeigen lässt. Dieses Deutungsdilemma, das Protagoras inszeniert, besteht darin, dass er auf der einen Seite behauptet, dass es schwer sei ein wirklich guter Mann zu werden und auf der anderen Seite, das es schwer sei, gut zu sein.


Sokrates Verteidigung des Simonides gegen Einwände des Protagoras

Sokrates kommt nun in eine Situation, in der er sich als noch nicht ausgewiesener Intellektueller behaupten muss. Er verteidigt den Dichter, indem er die Unterscheidung des Prodikos anbringt, welcher zwischen den Begriffen, „Sein“ und „Werden“ unterscheidet. Durch diese Unterscheidung lassen sich die Eingangsverse des Gedichtes und der Spruch des Pittakos als unterschiedliche Aussagen interpretieren.
Aufgrund des Gedichtes von Simonides geht Sokrates einen vielleicht nicht ganz leicht nachzuvollziehenden Gedankengang. Er behauptet, dass Gut-Sein schwer zu erreichen sei und erst recht es beizubehalten sei schwer. Diesen Schluss zieht er aus der Kopplung der beiden Sätze:
1.) Es ist schwer, gut zu sein
2.) Es ist schwer gut zu werden
Durch den Verbund der beiden Sätze lässt sich die These stützen, dass bei Simonides kein Widerspruch vorliegt.
Doch Protagoras genügt der erbrachte Vergleich nicht, so bringt Sokrates den Vergleich zwischen „schrecklich“ und „schlimm“ an. Diese Interpretation sieht Protagoras aber nicht als zulässig an. Sokrates drückt noch einmal aus, dass er diese Unterscheidung nicht ernst gemeint hat und Protagoras auf die Probe stellen wollte. Protagoras besteht diese Probe aber nur vordergründig, denn bei genauem Betrachten fällt auf, dass er der falschen Behauptung einfach die richtige entgegen bringt. Sokrates bittet darum, den Sinn des Gedichtes erörtern zu dürfen und bringt somit die Antwort in das Gespräch ein, die Protagoras hätte geben müssen. Sokrates versucht nun an Hand des Gedichtes die Absicht des Dichters heraus zu arbeiten. Doch er verdreht die Aussagen von Simonides so nach seinem eigenen Nutzen, dass er nicht das gewünschte Ziel erreicht. Doch das liegt nicht an der Unfähigkeit von Sokrates, sondern daran, dass der hier beschriebene Sokrates nichts davon hält, sein Dichterverständnis zu prüfen, sondern die Wahrheit in sich selbst zu Tage bringen soll. Hier senkt er sich auf die Stufe von Protagoras ab. Er zeigt sich als überlegen, denn nun beherrscht Sokrates das Paradebeispiel der Sophisten, indem er einen langen Monolog hält.
Das "lakonische Philosophieren" wurde zu Beginn stark auf Kreta und in Sparta (Lakädaimon) betrieben, daher auch der Name, spartanisches Philosophieren Diese Art der Philosophie betrieb auch Pittakos (einer der sieben Weisen), dessen philosophischen Modelle durch das Gedicht von Simonides versucht wurde zu widerlegen. Durch den Ansatz, den Protagoras durch seinen dargelegten Widerspruch aufzeigt, stellt er sich in eine lang vorhandene Tradition, sich einem anderen überlegen zu zeigen und damit Ruhm zu erhalten. Doch im Laufe der Interpretation von Sokrates bekommt das Gedicht einen ganz neuen Sinn. Er schrieb es nicht mehr um sich einem anderen überzuordnen, sondern nur noch um sich über etwas zu äußern. Dieser Wandel ist damit zu erklären, dass Sokrates seine ganzen Interpretationskünste in Simonides hineinlegt und die beiden somit fast zu einem Wesen werden. Durch den Verlauf der sokratischen Interpretation stellt er fest, dass Simonides eine klare Gegenthese zur Behauptung von Protagoras annimmt (Protagoras sehe es als schwierig an gut zu sein, während Simonides es für unmöglich erachtet bzw. es nur partiell möglich ist). Gott ist hierbei keine Ausnahme indem wie er gut ist, sondern darin, wie lange er gut ist.
Er geht weiterhin davon aus, dass alles Handeln, das gut ist, von Wissen geleitet ist.

Zweites Zwischengespräch

Nun versucht Hippias das Gedicht seiner Interpretation zu unterwerfen. Dies gelingt ihm jedoch nicht und Sokrates setzt sich dafür ein, die derzeitige Argumentationsschiene zu verlassen, da sie auf keinen Fakten beruht und sehr willkürlich ist, und die eigentliche Untersuchung wiederaufzunehmen. Wäre es Hippias geglückt, seinen Vortrag nun auch noch einzubringen, dann hätte die Gefahr bestanden, dass sich das Gespräch in eine Reihe von Reden aufgelöst hätte.
Protagoras muss nun eine Niederlage gegenüber Sokrates hinnehmen, denn er übernimmt nur sehr widerwillig die vorangegangen Untersuchungen.
Bei einem kurzen Übergang zum ursprünglichen Thema stellt Sokrates fest, dass Protagoras ein perfekter und notwendiger Gesprächspartner zu diesem Thema sei, da er als bekannter Sophist den Menschen gegen Geld anbietet, ihnen Gut-Sein beizubringen. Mit diesem sprachlichen Manöver kann sich Protagoras nicht mehr entziehen und muss sich an seiner hohen Erwartung messen lassen.
Um das Thema noch einmal zu benennen, stellt er ein zweites Mal die von Protagoras gestellte Frage nach den Formen des Gut-Seins. Doch dieser behauptet nun, dass man nicht alle vorhandenen Formen ansehen sollte, sondern es genüge, die Tapferkeit zu betrachten, die eine Sonderstellung einnimmt. Sokrates nimmt diesen neuen Denkansatz auf und stellt das Verhältnis von Weisheit und Tapferkeit dar. Er macht dabei keine Aussagen, sondern stellt nur Fragen. Innerhalb dessen kommt er zu verschiedenen Ergebnissen.
I. Die Tapferen sind unerschrocken
II. Gut-Sein ist etwas lobenswertes
III. Wenn man etwas sicher weiß, traut man sich selbst mehr (zu)
IV. Es gibt auch " unerschrockene ", die keinerlei Kenntnis haben

Weisheit ist Tapferkeit
Auf einer zweiten Argumentationslinie wird nun der genaue Wirkungskreis von Wissen bestimmt. Innerhalb dieser Eben teilt Sokrates die Tapferen in zwei Gruppen ein:
1) Tapfere, die keine verwerflichen Risiken auf sich nehmen
2) Wahnsinnige, die Risiken eingehen, ohne ihre Auswirkung abschätzen zu können

Da Protagoras als Lehrer sein Geld verdient, findet diese Unterscheidung bei ihm Anklang. Doch Protagoras erkennt nun an, dass die Begriffe Mut und Tapferkeit sich nicht in Deckung miteinander bringen lassen. Er erkennt aber auch, dass von Sokrates ein Fehler begangen wurde, denn wenn die Tapferkeit zum Teil durch Einsicht bedingt sei, so falle sie deshalb doch ebenso wenig mit der Weisheit zusammen wie die Kraft. Durch diesen Fehlschluss des Sokrates muss sich Protagoras in seiner Sonderstellung der Tapferkeit nicht widerlegt fühlen.
Mit den neuen Abschnitten beginnt ein ganz neuer Argumentationsansatz. In ihm wird nun das Verhältnis zwischen Lust und Gutem und zwischen Wissen und Handeln ausgearbeitet. Sokrates, dem klar sein mag, dass es Zweifler gibt, die diesen Ansatz nicht verstehen, weist diese darauf hin, dass man durch diese Untersuchung das Verhältnis zwischen der Tapferkeit und den anderen Teilen des Gut-Seins gut sehen könne.
Um das neue Problem der Lust in das Gespräch einzubringen, macht Sokrates den Unterschied zwischen „gut leben“ und „schlecht leben“. Die Lust bringt er ins Spiel durch eine Negation, die er an dem Satz vornimmt: „Scheint dir denn ein Mensch etwa gut zu leben, wenn er gequält und betrübt lebt.“ Protagoras stimmt Sokrates in diesen Punkten zu, bekommt jedoch schnell Zweifel und unterteilt seinerseits die Lust in drei unterschiedliche Kategorien. Jene, die gut sind, die, die schlecht sind, und die nichts von beiden sind. Da Sokrates die Negation anbringt, möchte Protagoras nun geprüft haben, ob „lustvoll“ und „gut“ gleich seien, oder ob sie sich unterscheiden.
Sokrates ist auch hier wieder in der Lage, ihm den gewünschten Unterschied darzulegen und verbindet in diesem Teil alles wieder mit der Frage welche Rolle das Wissen dabei spiele. Die beiden sind sich in diesem Abschnitt einig, dass das Wissen im Menschen die größte Macht hat, denn wenn man etwas Gutes weiß, dann hält man sich auch daran und tut es. Dieser Ansatz soll allen andern Erhaben sein, die behaupten, dass es auch Momente gibt in denen man aus einem Affekt heraus handelt. Protagoras, der hier wieder als sophistischer Lehrer aufgefasst werden muss, ist voller Feuereifer und stimmt Sokrates zu, ohne dabei zu bemerken, dass er seine eigene These, nämlich, dass Wissen und Tapferkeit auch getrennt sein können, außer acht lässt.
Im weiteren Verlauf des Gesprächs werden "die Menschen" (die Vielen, die verbreiteten Meinungen) immer mehr mit einbezogen. Es zeigt sich relativ schnell, dass sie, die in vier Schritten mit in den fiktiven Dialog eingegliedert wurden, keine Wertung von Lust und Unlust abgeben können, sondern nur deren Folgen wahrnehmen.

Labels: gutes Leben, Hedone, Protagoras, Wissen und Tapferkeit