Dienstag, August 18, 2009

Lehrbarkeit von ARETE bei Platon und Lernen von Moral nach Lind (Tillmann Weißer)

Seminar „Sokrates“ / Volkbert M. Roth
Sommersemester 2009 UK


INHALT

1 Einleitung
2 Ist ARETE lehrbar?
2.1 Was ist eigentlich ARETE?
2.2 Was ist ARETE eigentlich?
2.3 Was ist ARETE heute?

2.3.1 Tugend

2.3.2 Tüchtigkeit

2.3.3 Gutsein

2.3.4 Kompetenz

2.3.5 Was ist ARETE heute?
2.4 Ist ARETE lehrbar?
3 Wollen und Handeln
3.1 Jeder will das Gute
3.2 Gut handeln
3.3 Gutes Wollen und es sich verschaffen können

4 Moral ist lehrbar
4.1 Moral als Teil der ARETE
4.2 Was ist Moral, was ist moralisch
4.3 Das Zwei-Aspekte-Modell des moralischen Verhaltens
4.4 Folgerungen für die Lehrbarkeit von Moral
4.4.1 Der Affekt-Aspekt
4.4.2 Der Kognitions-Aspekt
4.5 Ist Moral lehrbar?
4.5.1 Moralisches-Urteil-Test
4.5.2 Konstanzer Methode der Dilemma-Diskussion
Fazit
Literaturverzeichnis

1 Einleitung
Die Pädagogik erfreut sich in letzter Zeit wieder wachsenden öffentlichen Interesses. War es früher noch klar, wie man mit dem Zögling umzugehen hatte, scheint es heute so, als könnten die Väter und Mütter gar nicht mehr erziehen. Bücher von Bueb und Winterhoff und Sendungen wie „Die Super-Nanny“ und „Teenager außer Kontrolle“ sind deshalb so beliebt,weil sie Mittel gegen die Jugendlichen und Kinder dieser Zeit, die wie Sokrates damals schon bemerkt haben soll den Luxus lieben, schlechte Manieren haben und die Autorität verachten, den Eltern widersprechen, die Beine übereinander legen und ihre Lehrer tyrannisieren1, an die Hand geben: das Bestehen auf seine Amts-)Autorität, als Eltern, Lehrer oder Erwachsener gegenüber dem Kind. Zwar ist diese Mittel nicht neu, dafür soll es aber mit aller Härte praktiziert werden, damit die Kleinen möglichst früh schon merken, dass es keinen Zweck hat, nach eigenen Wegen zu suchen. Ob dies die Lösung des Problems der Erziehung ist, darüber streiten sich andere2, mir geht es in dieser Arbeit darum, ein Ziel für Erziehung anzugeben, ohne das die Frage nach dem „wie“ überflüssig wäre.
Zu allererst muss man sich die Frage stellen, warum Erziehung überhaupt notwendig und
damit legitim3 ist. Ist man darüber übereingekommen, dass man erziehen darf und muss, so stellt sich direkt die Frage, zu was man erziehen muss. Dies hat eine lange Tradition. Platon behauptet, dass die „ARETE“ ein solches Erziehungsziel darstellt.
Um dieser Idee weiter nachzugehen, werde ich im Folgenden zunächst den platonischen
Begriff der „ARETE“ näher erläutern. Dem gegenüberstellen werde ich eine moderne
Auffassung des Begriffs. Ich werde zeigen, dass Platon die „ARETE“ für lehrbar hält. Dann werde ich prüfen, ob sich Platons These auch noch im 20./21. Jahrhundert behaupten kann, in dem die Erforschung der Seele, und mit ihr psychischer Prozesse wie dem Lernen, eigentlich erst ihren Anfang genommen hat. Am Beispiel der Moral werde ich Platons These mit den Errungenschaften der modernen Forschung vergleichen und so seine Annahme stützen.



2 ... lehrbar?

2.1 Was ist eigentlich ...?
Hier soll es darum gehen, was zur Zeit Platons unter dem Wort ARETE verstanden wurde. Der Dialog PROTAGORAS4 zeigt, dass es auch schon damals keinen Konsens über diese Frage
gab. So haben Protagoras und Sokrates zwei verschiedene Auffassungen von ARETE. Für
Protagoras ist ARETE die „Staatskunst“, also die Fähigkeit „im Staate durch Tat und Rede zu wirken“ [319a]. Sokrates betont dagegen immer wieder, dass die ARETE etwas sein muss, was dem Menschen wesensmäßig ist. So wie z.B. das Innehaben der Baukunst den Baumeister bestimmt, soll die ARETE den Menschen (nicht den Bürger) bestimmen5 (Wobei anzumerken ist, dass sich ein Grieche zur Zeit Platons einen Menschen, der nicht Bürger ist, kaum vorstellen konnte).
An einigen Stellen in Platons Werk werden von verschiedenen Personen Versuche
unternommen, die ARETE in Worte zu fassen. Sokrates nennt im PROTAGORAS „Gerechtigkeit, Besonnenheit und Frömmigkeit […] eines Mannes [a.et.]“ [325b]. Später kommt dann noch die „Tapferkeit“ [330c] hinzu. Im MENON gibt Menon verschiedene Definitionen von ARETE. Zum ersten gebe es „für jede Handlungsweise und für jedes Alter […] bei jedem Geschäft für jeden von uns seine [a.et.]“ [72a]. Daraus wird wieder deutlich, dass es nicht unbedingt so etwas wie einen einheitlichen ARETE-Begriff gab, denn auch im zweiten Anlauf zählt er wieder verschiedene ARETAI auf. Zu den oben genannten kommen noch „Weisheit“, „Großmut“ und „noch sehr viele andere“ [74a] hinzu. In [88a] werden zwei
weitere ARETAI aufgezählt: „Gelehrigkeit“ und „Gedächtniskraft“. Damit sei die Vielfalt des Begriffs „a.et.“ deutlich genug geworden.
Über eins scheinen sich die alten Griechen aber einig gewesen zu sein: dass die „[ARETE] zu den besonders schönen Dingen“ zählt.6 Ohne weiteres auch geben Sokrates Gesprächspartner
jedes Mal aufs Neue zu, dass es nicht nur schön, sondern auch gut ist die ARETE
zu besitzen.
Im Griechischen, „kalos k´agathos“. Hinter dieser Redewendung verbergen sich vier
verschiedene Aspekte (Ethik, Ästhetik, Glück, Praxis). So kann man davon ausgehen, dass der



ARETE-Begriff etwas bezeichnet, das, befindet es sich am Menschen, diesen moralisch gut – gerecht, ästhetisch gut – schön, glücklich, und praktisch gut – lebenstüchtig – macht.7

2.2 Was ist ... eigentlich?
Was versteht nun Platon unter ARETE? Alle Dialoge, die sich mit diesem Thema befassen,
kommen irgendwann einmal darauf zu sprechen, dass die ARETE ein „bestimmtes Wissen“ sein könnte (z.b: im CHARMIDES, in dem Besonnenheit, als Teil der a.et., als Wissen vom
Wissen und Nichtwissen bestimmt wird [167a].) Und tatsächlich, im LACHES gibt Platon –
ironischerweise als eine falsche Antwort auf eine andere Frage – seine Definition von ARETE:
das „Wissen von sämtlichen und wie immer sich verhaltenden Gütern und Übeln“
[199c], kurz das Wissen vom Guten und Schlechten.
Ein Mensch mit wenig Wissen vom Guten und Schlechten wäre demnach, wesensmäßig ein
schlechter, genau wie ein Baumeister, der wenig Wissen in der Baukunst hat. Aber auch
Protagoras’ Idee von ARETE findet sich in Platons Definition wieder, denn ein Mann mit
diesem Wissen könnte den Staat am besten leiten, weil er wüsste, was gut und was schlecht für diesen ist [171c]. Hat Sokrates im PROTAGORAS dieser Definition von a.et.
widersprochen, dann also nur, um darauf hinzuweisen, dass sie ein viel weiter gehender
Begriff ist.
Betrachten wir eine Definition von Menon als „das Vermögen, sich das Gute zu erwerben“
[78b]: Um hier Platons Idee zu übertragen, muss man „Wissen“ durch „Vermögen“ ersetzen.
Das klingt zunächst nicht so problematisch: wenn ich etwas machen kann, dann weiß ich auch wie es geht. Nur stimmt die Umkehrung nicht. Nur weil ich das theoretische Wissen besitze, ein Auto zu fahren, heißt das noch nicht, dass ich es auch kann. Hier ist also eher an ein praktisches Wissen zu denken, so wie die Baukunst nicht nur ein theoretisches, sondern eben auch ein praktisches Wissen ist.
Am Ende des MENON folgert Sokrates, die ARETE sei kein Wissen, sondern eine wahre
Meinung [99c]. Platon spricht damit ein Problem an, dass uns im Verlauf dieser Arbeit
nochmals begegnen wird. ARETE zu haben, hat unter Umständen nichts mit einer Verarbeitung von Wissen zu tun, sondern kann auch – oder muss – von irrationalen Gegebenheiten, zum Beispiel von Gefühlen, getragen werden.



2.3 Was ist ... heute?
Zunächst stellt sich die Frage, wie ARETE übersetzt werden soll. Die Geläufigste Übersetzung ist wohl „Tugend“, gefolgt von „Tüchtigkeit“, M. Kranz8 übersetzt „Gutsein“. Modernere
Interpretationen sprechen auch von „Kompetenz“.9

2.3.1 Tugend
Tugend ist ein eher altmodischer Ausdruck. Vom Wortstamm her kommt Tugend von „taugen“.
Jemand der Tugend hat, taugt also zu etwas. Wer zu etwas taugt, ist dadurch besser. Tugend macht einen Menschen also in irgendeiner Weise besser. Tugend im eigentlichen Sinne kommt der ARETE in ihren vier Teilaspekten also sehr nahe. Heute schwingt bei dem Wort Tugend jedoch immer so etwas wie „Moral“ im Unterton mit und man ist geneigt, die beiden Begriffe gleichzusetzen. Das ist der Grund warum die Übersetzter so sehr darum bemüht sind, andere Übersetzungen für ARETE zu finden. Moral ist zwar ein Teilaspekt der ARETE (ethischer Aspekt), füllt den Begriff aber keinesfalls aus.

2.3.2 Tüchtigkeit
Tüchtigkeit ist ein Versuch, die Moralische Komponente von „Tugend“ nicht so sehr zu
betonen. Jemand der ARETE hat, sei also tüchtig. Auch dieser Begriff hat seine Schwächen. Im heutigen Sprachgebrauch ist mit Tüchtigkeit vor allem Fleiß verbunden. Nun ist „fleißig sein“, genau wie „moralisch sein“ ein Teilaspekt der ARETE und man ist wieder versucht pars pro toto zu definieren und damit den Begriff einzuschränken.

2.3.3 Gutsein
Der Einschränkung von ARETE, an der die beiden vorigen Übersetzungsversuche gescheitert
sind, versucht man damit zu begegnen, dass man ARETE mit einem möglichst abstrakten
Begriff übersetzt. Da man durch ARETE „kalos k’agathos“ wird, soll nun das Besitzen von
ARETE mit Gut-sein, bezeichnet werden. Neben den semantischen Schwierigkeiten, die sich
dadurch ergeben, ist ein anderes Problem viel schwerwiegender: Was soll „Gutsein“
überhaupt sein? Kann man objektiv von etwas sagen, dass es gut ist? Man braucht immer eine Vergleichsgruppe, wenn man von etwas sagen will, dass es gut ist.10 Wer soll diese
Vergleichsgruppe bei der ARETE sein? Platon spricht das Problem im PROTAGORAS an,


indem Protagoras behauptet, auch der ungerechteste unter den Bürgern sei gerechter als ein Wilder [327d]. Dies widerspricht unserem heutigen Menschenbild.
Trotz der Schwierigkeiten, die sich mit dieser Übersetzung ergeben scheint es mir der richtige Weg zu sein, ARETE mit einem abstrakten Begriff zu übersetzen, oder die Übersetzung bleiben zu lassen, und direkt von ARETE zu sprechen. Trotzdem will ich noch die verbleibende Übersetzung abhandeln, denn von ihr verspreche ich mir eine gelungenere Übertragung des ARETE-Begriffs in die heutige Zeit.

2.3.4 Kompetenz
Ich kenne keine direkte Übersetzung von ARETE als Kompetenz, trotzdem liegt es nahe, die beiden Begriffe einander gegenüber zu stellen. Wer ARETE besitzt, der ist gerecht, schön, glücklich und vor allem lebenstüchtig. Auf diesen letzten Aspekt zielt die Übersetzung als Kompetenz. Jemand der kompetent ist, hat das Vermögen, in gewissen Situationen richtig zu handeln. Überträgt man die Kompetenz jetzt von einer bestimmten Situation auf das gesamte Leben, so kann man sagen, dass der, der lebenskompetent ist, richtig handelt, und demnach in direkter Konsequenz aus der Lebenstüchtigkeit, gerecht ist. Schön und glücklich sind erst nach einem weiteren Schritt aus der Kompetenz ableitbar. Aber hält man sich vor Augen, dass die Lebenskompetenz einem den Weg zum richtigen Handeln weist, und dass niemand hässlich und unglücklich sein will, so sind auch diese beiden Aspekte durch "Kompetenz" abgedeckt.
Die Übersetzung des von Platon gedachten ARETE-Begriffs mit "Kompetenz" ist also gelungen, weil man Kompetenz durchaus als Wissen/Unterscheidung von Gutem und Schlechtem bezeichnen könnte. Anders als ein rein theoretisches Wissen allerdings, gibt das Besitzen von Kompetenz noch die weitere Eigenschaft mit, dass mit diesem Wissen auch umgegangen werden kann, und dass es zum richtigen Zweck angewendet wird. In etwa diese Vorstellung muss Platon gehabt haben, als er ARETE als ein Wissen bestimmt hat.

2.3.5 Was ist ... heute?
Nach den Übersetzungsversuchen nun zurück zu unserer Ausgangsfrage. Ist die ARETE
etwas, das durch feste Grenzen vorgegeben wird? So wie etwa ein Quadrat, ein Rechteck mit gleichlangen Seiten ist. Das war es zur Zeit Platons und das ist es heute immer noch. Das Leben vor 2500 Jahren war allerdings keinesfalls das gleiche wie heute. Damals bestand ein Staat aus ein paar tausend Menschen, heute sind es zig Millionen/ teils Milliarden. Damals musste man, um etwas aus einem anderen Staat zu erfahren, tagelang reisen, heute genügt ein Klick ins Internet. Damals war ein Mann an seine Stadt gebunden (die Verbannung bedrohte den Lebensinhalt), heute ist es durchaus üblich, etwa wegen eines attraktiveren Arbeitsplatzes, in ein anderes Land zu ziehen. Ist nun die ARETE ein Begriff, der wie eine Form immer gleich bleibt, oder etwas, das sich im Laufe der Jahre ändert? ARETE als Wissen legt eine Interpretation nahe, die ARETE als bleibenden Begriffinhalt auffasst. Wenn die ARETE ein Wissen ist, dann ist sie das zu allen Zeiten. Nur ist sie ein bestimmtes Wissen. Und zwar vom Guten und Schlechten und dieser Begriff scheint mir nur bedingt unveränderlich. Sicher gibt es „das Gute“, aber nur als Idealvorstellung. Man kann nicht mit dem Finger auf „das Gute“ zeigen. Man kann sagen, „das ist gut und das ist schlecht“. Dabei zeigt man aber nicht auf das Gute, sondern auf etwas, das gut ist. Und wenn Sokrates 400 ante auf etwas gezeigt hat und gesagt hat, dass das gut ist, dann heißt das nicht, dass wir heute immer noch das gleiche tun würde. Offensichtlich ändert sich also unsere Vorstellung vom Guten und Schlechten. Auch der Blick in andere Kulturen lässt uns erkennen, dass mit dem Guten nicht immer das gleiche bezeichnet wird.
Zusammenfassend könnte man sagen, dass sich der Begriff der ARETE nicht verändert hat,
wohl aber der Gegenstand. ARETE ist demnach nach wie vor ein erstrebenswertes
Erziehungsziel, man sollte nur noch einmal darüber nachdenken, was der Gegenstand der
ARETE heute ist. ARETE ist – nach unserer Definition – das irgendwie geartete Wissen vom Guten und Schlechten, und zwar so, dass der Besitz des Wissens schon ausschlaggebend dafür ist, dass man sich gerecht, besonnen, fromm, großmütig, tapfer usw. verhält. Gerechtigkeit und Besonnenheit sind heute auch noch erstrebenswerte „Tugenden“, die Frömmigkeit dagegen, ist etwas, dem immer weniger Beachtung geschenkt wird, und man könnte sich fragen, ob man diese heute noch zu dem Wissen zählen würde, das die ARETE sein soll. Andererseits kommt in der modernen, sich ständig verändernden Welt neue Werte hinzu, etwa „Anpassungsfähigkeit/Flexibilität“ oder Informationskompetenz“ (was bedeutet, dass man selektieren muss, welche der unendlich vielen Sinneseindrücke wirklich wahrgenommen werden sollen). ARETE bleibt also auch in der heutigen Zeit ein Begriff mit vielen Facetten.

2.4 Ist ... lehrbar?
Zurück in die Zeit Platons. Unter den Griechen herrschten unterschiedliche Meinungen
darüber, ob die ARETE lehrbar sei. Dies zeigt die Frage des Menon gleich zu Beginn des ihm gewidmeten Dialogs: „Kannst du mir sagen, Sokrates, ist die Tugend lehrbar? Oder ist sie nicht lehrbar, sondern eine Sache der Übung? Oder ist sie weder Sache der Übung noch des Lernens, sondern etwas, das den Menschen von Natur oder auf irgendeine Weise zuteil

wird?“11 Mindestens drei Vorstellungen tauchen hier also auf. Zum ersten, dass man ARETE lernen kann, zum zweiten, dass man ARETE
üben kann und zum dritten, dass man keinen
Einfluss darauf hat, ob man ARETE besitzt oder nicht. Zunächst muss wohl der Unterschied zwischen lernen und üben erläutert werden. Lernen bezeichnet den Vorgang, des Übernehmens von Wissen, dass einem ein anderer vermittelt. Üben bedeutet, dass man etwas immer und immer wieder versucht, und so schließlich eine Möglichkeit findet, die einen zufrieden stellt.
Platons Argumentation ist sehr vielschichtig und von Dialog zu Dialog scheinen sich seine Ansichten zu widersprechen. So leuchtet im PROTAGORAS ein, dass es sinnlos wäre, wenn man Leute bestraft, weil sie keine ARETE haben, wenn diese nicht zumindest herstellbar sei [324a]. Für diese dritte Möglichkeit argumentiert Platon aber wieder im MENON, wenn er sagt, dass die ARETE einem „durch göttliche Schickung ohne Einsicht“ [100b] zuteil werde.
Genauso verhält es sich mit der Definition von ARETE. Immer wieder stößt Platon darauf, dass ARETE doch eigentlich ein Wissen sein müsste. Dann aber argumentiert er wieder dagegen. Wenn ARETE allerdings ein Wissen sein sollte, dann, so betont Platon, dann wäre sie lehrbar. Dass Platon ARETE für ein Wissen hält, zumindest für ein irgendwie geartetes Wissen, das sollte indes klar sein, denn diese These zieht sich durch alle Dialoge, die von der ARETE handeln. Folglich geht er auch davon aus, dass die ARETE
lehrbar ist. Warum argumentiert er aber so im Kreis herum, wenn das eine ausgemachte Sache ist?

3 Wollen und Handeln
Platon argumentiert in seinen Dialogen teilweise eine ganz andere Frage mit als die, ob die ARETE lehrbar ist. Wegen dieser Frage ist es auch nötig, seine eigentlich klare Überzeugung von mehreren Seiten zu beleuchten. Platons These ist, dass jeder, der weiß, was gut und schlecht ist, gut handelt. Wissen ist der ausschlaggebende Faktor für eine gute Handlung.

3.1 Jeder will das Gute
Im MENON behauptet Platon, dass jeder Mensch das Gute will [77b ff]. Dass das Argument
gelingt, liegt am Ende aber daran, dass Sokrates die Bedeutung des Wortes „wollen“ auf
„Anteil haben wollen“ einschränkt. Er behauptet, dass „das Schlechte wollen“
gleichbedeutend wäre, mit „wollen, dass einem Schlechtes widerfährt“. Diese Argumentation ist natürlich unvollständig.


Während die These „jeder will für sich das Gute“ sicher von jedem als haltbar eingestuft werden wird, scheint es uns doch möglich, dass jemand „für einen anderen das Schlechte wollen“ kann. Die Frage, die sich dann allerdings direkt stellt, ist, ob derjenige das Schlechte für den anderen nicht nur deshalb will, weil er „das Schlechte für den anderen“ für „das Gute für sich selbst“ hält. Oft will man auch das kurzfristig Schlechte, um ein langfristiges Gutes zu erreichen, oder genau andersrum. Auch hier kann man nicht davon sprechen, dass man das Schlechte wollen würde. Die These Platons ist, dass man beim Wollen eine Kosten-Nutzen-Rechnung macht und sich am Schluss für das entscheidet, was einem das Bessere zu sein scheint. Diese richtet sich nach dem ideell Guten, denn nicht der persönliche Vorteil zählt, sondern das, was das Beste für alle ist. Dies wird im CHARMIDES deutlich, wenn Sokrates davon schwärmt, welchen Nutzen es hätte, wenn nur Männer, die ARETE innehaben, den Staat leiten würden [171d f]. Denn allein der Besitz dieses Wissens würde schon garantieren, dass der Staat gut geleitet wird. Denke ich an die Börsenmakler, wegen denen wir jetzt in der Wirtschaftskrise stecken, dann können diese nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht gewesen sein. Noch dazu auf einen kurzfristigen. Soll das das Gute gewesen sein? Oder kann man sagen, dass diese Makler einfach keine ARETE besessen haben? Argumentiert man so, stellt man fest, dass am Ende so gut wie niemand ARETE besitzt, weil keiner nach dem für alle
Guten, sondern alle nur nach dem für sich Guten streben.
Meine Vermutung geht also immer noch in die Richtung, dass man sich auch noch nach einer solchen Pro-und-Kontra-Auflistung für das Schlechtere entscheiden könnte.

3.2 Gut handeln
In diesem Kapitel soll deutlich werden, dass das Handeln zwei Aspekte aufweist. Zum einen einen Wissensaspekt, den Platon bei der Definition von ARETE anspricht, zum anderen einen, ich will ihn vorerst Absichtsaspekt nennen, der für Platon durch das Wesen des Menschen determiniert ist. Um gut zu handeln reicht es also nicht, das Wissen davon zu haben, das eine bestimmte Handlung gut ist. Es reicht auch nicht zu wissen, wie diese bestimmte gute Handlung ausgeführt wird. Wichtig ist vor allem der Absichtsaspekt. Ich muss eine Handlung beabsichtigen, damit ich sie begehe (Ich spreche hier selbstverständlich nur von freiwilligen Handlungen). Wenn ich weiß, was ich tun muss, um etwas zu erreichen, dieses Ziel aber gar nicht beabsichtige, dann handele ich auch nicht in Richtung dessen.


3.3 Gutes Wollen und es sich verschaffen können
Besagte Szene aus dem MENON12 spricht darauf an, dass ARETE das Vermögen ist, sich Gutes verschaffen zu können, wenn man Gutes will. Nachdem wir von der These ausgehen, dass jeder Mensch Gutes will, ist die Absicht zu einer guten Handlung a priori gegeben. Man muss nur wissen wie, um gut zu handeln. Dieses Wissen bezeichnet Platon als ARETE.

4 Moral ist lehrbar

Der Kern dieser Arbeit besteht darin, das antike Bild von ARETE mit dem der modernen
Forschung zu vergleichen. Als Beispiel für die moderne Forschung dient hier die
Moralforschung von Georg Lind. Die für meine Untersuchung interessanten Gesichtspunkte
seiner Arbeit werde ich im Folgenden kurz erläutern.

4.1 Moral als Teil der ARETE
Wie bereits zu Anfang gesagt, ist die ARETE viel mehr, als die Moral. Moral bezeichnet nur den ersten Aspekt der vier Arten von Gut-sein. Dennoch ist es sinnvoll im Zusammenhang der Frage, ob ARETE lehrbar ist, über die Lehrbarkeit von Moral nachzudenken. Denn erwiese sich die Moral als nicht lehrbar, so wäre es die ARETE
als Ganzes auch nicht. Ausdrücklich möchte ich darauf hinweisen, dass wir im Folgenden immer nur einen Teilaspekt der ARETE betrachten.

4.2 Was ist Moral, was ist moralisch ?
Zunächst sollt geklärt werden, was wir überhaupt unter Moral verstehen. Ähnlich wie oben will ich zunächst ein paar Definitionen vorlegen.13

Moral…
… als Übereinstimmung des Verhaltens mit sozial vorgegebenen Erwartungen und
Normen (Normenkonformität)
… als Übereinstimmung des Verhaltens mit den eigenen moralischen Idealen und
Prinzipien (Gewissen)
… als Fähigkeit, in Bezug auf die eigenen moralischen Ideale konsistent und in Bezug
auf die jeweilige Situation angemessen (differenziert) zu urteilen und zu handeln
(Fähigkeitsdefinition)



Platon würde Moral etwa so definieren: „Moral ist das Wissen vom Gerechten und
Ungerechten;“ wobei auch dieses Wissen wieder handlungsweisend sein müsste. Moralisch
gut ist, also zunächst eine soziale Frage. Interessanterweise gibt es, obwohl die rechtliche Lage in den verschiedenen Kulturen und Ländern unterschiedlich ist, einen hohen Konsens darüber, welche moralischen Ideale gut sind.14 Trotzdem unterscheiden sich moralische Handlungen verschiedener Kulturen. Das deutet schon darauf hin, dass Moralisch-Sein nicht nur eine Frage von reinem Wissen sein kann. Das GE-Wissen spielt hier nämlich eine entscheidende Rolle. So hat zum Beispiel (so gut wie) jeder Mensch das moralische Ideal, dass man das Eigentum andere achten soll und stehlen nicht gut ist. Trotzdem kann es jemand, der sich in einer Notlage sieht, es moralisch, vor seinem Gewissen rechtfertigen, etwas zu stehlen. Ist diese Handlung dann unmoralisch? Ich will die Frage mit einem weiteren Beispiel verdeutlichen.

Embryonenspenderin Lara

Lara ist 16 und wohnt in einem armen, südamerikanischen Land. Sie hat keine Ausbildung
und findet nirgends eine Anstellung. Die Aussichten sind gering, je einen zu bekommen, da es bereits viele Arbeitslose gibt. Auch ihre Eltern sind ohne Arbeit und ihre jüngeren Geschwister gehen noch zur Schule. Eines Tages kommt eine Ärztin in ihren Ort. Sie sagt, sie arbeite für einen großen Pharmakonzern. Der würde viele Embryonen benötigen für neue gentechnische Heilungsmethoden. Junge Frauen könnten viel Geld verdienen, wenn sie sich für fünf Jahre lang verpflichten würden, sich einmal im Jahr künstlich befruchten zu lassen und den Embryo der Firma zu geben. Das Geld das Lara angeboten wurde, würde genügen, sich und ihre Familie zu ernähren und dazu noch eine Ausbildung als Lehrerin zu machen. Lara plagen Zweifel. Sie ist streng katholisch erzogen worden und eine Abtreibung würde ihr schwer gefallen. Noch viel schwerer aber fällt ihr der Gedanke, ihren Embryo zu verkaufen und das jedes Jahr wieder zu tun. Aber sie weiß nicht mehr, wovon sie in Zukunft leben soll. Daher beschließt sie, den Vertrag zu unterschreiben, den ihr die Ärztin angeboten hat.15

Dies ist eine Moralisches Dilemma aus der Konstanzer Methode der Dilemma-Diskussion
(KMDD) nach Lind, auf die ich später noch zu sprechen kommen werde. Worauf es mir bei
diesen Beispielen ankommt ist, dass Moral nicht eine reine Frage der Normenkonformität,
aber auch keine reine Frage des Gewissens ist. Moral ist vielmehr die Fähigkeit, zwischen diesen beiden Möglichkeiten zu vermitteln. Damit wird jetzt schon deutlich, dass die ARETE zumindest zu einem Teil eine Fähigkeit ist, wobei diese „Fähigkeit“ noch näher zu beschreiben ist.



4.3 Das Zwei-Aspekte-Modell des moralischen Verhaltens
Nach dieser Erkenntnis, dass Moral eine Fähigkeit ist, haben Psychologen im 20. Jahrhundert versucht, ein Modell des moralischen Verhaltens zu entwerfen. Hier wurde immer wieder zwischen verschiedenen Komponenten unterschieden. Lind wirft dieser Entwicklung vor, dass sie die verschiedenen Aspekte so getrennt voneinander betrachtet, dass sie schließlich ein und dasselbe Verhalten als unterschiedliche Verhaltensweisen interpretiert. Dem entgegen setzt er sein Zwei-Aspekte-Modell des moralischen Verhaltens. Er geht davon aus, „dass (fast) alle Menschen moralische Ideale oder Prinzipien haben, für deren Anwendung im Verhalten sie eine Reihe moralischer Fähigkeiten benötigen.“16 Zwei Aspekte also bedingen moralisches Verhalten. Zum einen die moralischen Ideale und Prinzipien (Affekt), zum anderen die moralischen Fähigkeiten (Kognition). Beide Aspekte sind untrennbar für das moralische Verhalten verantwortlich. Sie können unterschieden werden, müssen aber immer im Zusammenhang gesehen werden, weil sie alleine keinen Sinn machen. Der Affekt allein stellt zwar klar, was richtig und was falsch ist, initiiert aber keine Handlung. Die Kognition dagegen, ist ausschlaggebend für eine Handlung, ohne den Affekt fehlt ihr aber der Inhalt.

4.4 Folgerungen für die Lehrbarkeit von Moral
Nachdem wir gesehen haben, dass Moral auf zwei Aspekten beruht, können wir über die
Lehrbarkeit von Moral nachdenken. Klar ist, dass Moralische Ideale und Prinzipien vermittelt werden können, denn sie sind ein Wissen vom Guten und Schlechten, allerdings, im Gegensatz zu Platon, ein Wissen, das nicht handlungsweisend ist.

4.4.1 Der Affekt-Aspekt
Menschen können auf verschiedenen Argumentationsstufen moralische Urteile fällen. Jean
Piaget unterschied die präkonventionelle, die konventionelle und die postkonventionelle
Moral. Lawrence Kohlberg, der Moralforscher des 20. Jahrhunderts schlechthin, entwickelte auf dieser Basis sein Stufenmodell der moralischen Argumentation. Dabei unterteilte er die drei Ebenen Piagets jeweils noch mal in zwei Stufen. Kohlberg ging davon aus, dass sein Stufenmodell ein Entwicklungsmodell ist. Diese Theorie ist allerdings überholt. Es ist erwiesen, dass Menschen, die bereits auf einer höheren Stufe argumentieren auch in niedrigere Stufen zurückfallen können. Man kann also nicht von einer Entwicklung von den niedrigen zu den hohen Stufen sprechen.



Stufen moralischer Argumentation nach Lawrence Kohlberg17

Stufe 1 Gut ist, körperliche Schäden und Verletzungen (Strafe) zu vermeiden.
Stufe 2 Gut ist, Vorteile (Belohnungen) zu erlangen, auch wenn dafür Nachteile in Kauf
genommen werden müssen.
Stufe 3 Gut ist, eine gute (nette) soziale Rolle zu spielen und dadurch Missbilligung
anderer zu vermeiden, bzw. Anerkennung herzustellen.
Stufe 4 Gut ist, die gesellschaftliche Ordnung aufrecht zu erhalten, Gesetze zu wahren
und seine Pflichten zu erfüllen.
Stufe 5 Gut ist, die Grundrechte zu achten, auch wenn sie unter Umständen nicht mit den
Gesetzen der Gesellschaft korrelieren.
Stufe 6 Gut ist, nur nach der Maxime zu handeln, von der man wollen kann, dass sie ein
allgemeines Gesetz wird. (Kategorischer Imperativ)

Betrachtet man nun eine Situation, wie das Lara-Dilemma18, so kann man auf verschiedenen Stufen argumentieren und kommt unter Umständen zu jeweils anderen Ergebnissen. Nach der zweiten Stufe, wäre Laras Entscheidung richtig, weil sie und ihre Familie einen gewaltigen Nutzen davon haben, nach der fünften oder sechsten Stufe dagegen, wäre sie falsch, weil man Leben nicht wie eine Ware behandeln darf, bzw. jeder Mensch Selbstzweck ist.
Hervorzuheben ist also noch mal, dass der Affekt noch keine Handlung vorschreibt. Dennoch ist ohne dieses Wissen eine moralische Handlung undenkbar, denn würde eine Entscheidung nicht aufgrund dieser Prinzipien gefällt, so wäre es keine moralische Entscheidung.
Erstaunlicherweise haben, beachtet man, wie oft man unmoralischem Verhalten begegnet, die meisten Menschen die gleichen moralischen Prinzipien.19 Dies verdeutlicht noch einmal die Nötigkeit eines zweiten Aspektes, der die Diskrepanz zwischen der Gleichheit in den moralischen Werten und dem Unterschied im sozialen Verhalten überbrückt.


4.4.2 Der Kognitions-Aspekt
Der zweite Aspekt moralischen Verhaltens ist die Kognition. Um diesen Aspekt dreht sich die Frage nach der Lehrbarkeit von Moral, nachdem wir den Affekt-Aspekt als Wissen
identifiziert und damit als für lehrbar erklärt haben. Die Kognition stellt in gewisser Hinsicht eine Einstellung dar, die wir zu den einzelnen Urteilen auf den verschiedenen Stufen einnehmen. Hat man eine Einstellung, so bekommt man bestimmte Gefühle, falls ein gewisser Sachverhalt vorliegt. Kann man diese Gefühle lehren? Sicher kann man sie konditionieren.20
Ein konditioniertes Gefühl, kann aber nicht das sein, was die Moralforschung unter einer entscheidenden Instanz versteht. Man würde eine Entscheidung, die aufgrund von
Gewohnheit getroffen wird, nicht moralisch nennen. Was man sicher lernen kann, ist mit
Gefühlen umzugehen. Damit sind beide Aspekte des Modells lehrbar.

4.5 Ist Moral lehrbar?
Lind sagt, dass Moral lehrbar ist, und belegt dies mit seiner Forschung. Zum einen hat er mit dem Moralisches-Urteil-Test (MUT) ein Verfahren entwickelt, mit dem man messen kann, wie sich die moralische Urteilsfähigkeit entwickelt, zum anderen hat er mit der KMDD (Konstanzer Methode der Dilemma-Diskussion) eine Methode geschaffen, mit der sich die moralische Urteilsfähigkeit steigern, also Moral lehren lässt. Beide Konzepte sind
Weiterentwicklungen Kohlbergs Forschung und ich will ihnen je ein kurzes Kapitel
widmen.21

4.5.1 Moralisches-Urteil-Test
Der MUT ist ein Fragebogen, mit dem die moralische Urteilsfähigkeit des Teilnehmers
gemessen werden kann. Zu zwei verschiedenen moralischen Konflikten muss der Teilnehmer
seine Meinung äußern. Anschließend bekommt er je Konflikt zwölf Argumentationen
vorgelegt, die die Handlung der Personen aus den Dilemmata rechtfertigen oder verurteilen. Dabei gibt es eine Rechtfertigung und eine Verurteilung der Situation pro Stufe des Kohlbergschen Stufenmodells. Die Aufgabe des Teilnehmers ist es nun, die Argumente danach zu beurteilen, wie sehr er sie akzeptiert. Dabei spricht es für eine hohe moralische Urteilsfähigkeit, wenn der Teilnehmer gute Argumente beider Seiten zulässt und nicht nur die akzeptiert, die für seine eigene Einstellung zu dem Konflikt stehen.



4.5.2 Konstanzer Methode der Dilemma-Diskussion
Bei der KMDD wird den Teilnehmern ein moralisches Dilemma vorgelegt. Jeder Teilnehmer
macht sich zunächst sein eigenes Bild von der Situation. Danach erläutert jeder kurz, ob er findet, dass die Person im Dilemma richtig gehandelt hat oder nicht. Dementsprechend werden die Teilnehmer nun in zwei Gruppen eingeteilt, in denen sie überlegen, warum ihre Ansicht die richtige ist. Der Kern der KMDD besteht dann darin, dass sich die beiden Gruppen gegenübertreten und ihre Ansichten diskutieren. Die Diskussion läuft nach strengen Regeln ab. So trägt immer einer sein Argument vor und wählt dann einen der anderen Gruppe aus, der darauf erwidern darf. Dieser wählt dann wieder einen der ersten Gruppe aus („PingPong-Regel“). So moderiert sich die Diskussion weitgehend alleine. Die Diskussion endet, wenn keine Argumente mehr vorgebracht werden oder ein Zeitlimit erreicht ist. Zum Ende werden die Teilnehmer nochmals danach gefragt, ob sie das Handeln im Dilemma für richtig befunden haben.

Mit dem MUT konnte Lind belegen, dass die KMDD tatsächlich die Moralische
Urteilsfähigkeit steigert. Somit hat er nicht nur bewiesen, dass Moral lehrbar ist, sondern er gibt auch ein Mittel an die Hand, wie man Moral lehren kann.

5 Fazit

Vergleicht man nun die philosophische Idee von Platon mit der psychologischen Arbeit von Lind, so fällt zunächst eine Parallele auf. Beide bestimmen ..et.
als Wissen. Dazu kommt bei beiden noch ein weiterer Aspekt. Bei Platon die Absicht, das Wissen anzuwenden, die wie er sagt, schon durch das Wissen selbst bedingt ist. Bei Lind die Kognition, eine Fähigkeit moralische Urteile abzuwägen und einen Handlungsimperativ daraus abzuleiten. Beide kommen zu dem Ergebnis, dass ARETE lehrbar sein muss und b e i d e, geben ein Konzept an, wie man sie lernt. Lind, einen Dialog, bei dem es darauf ankommt, das Problem möglichst von allen Seiten zu beleuchten um sich dann ein eindeutiges Bild davon machen zu können.
Und Platon? Man muss sich im Gespräch erinnern [82a], oder von Sokrates’ Zaubersprüchen
bereden lassen [176b]. Mit anderen Worten, den Dialog suchen um jede Frage von Grund auf zu beantworten, stets mit der Einsicht, dass man eigentlich nichts weiß und dass man das Problem möglichst von allen Seiten beleuchten muss um sich dann ein eindeutiges Bild davon machen zu können.


6 Literaturverzeichnis


Brezinka, Wolfgang: Tüchtigkeit, München/Basel, 1987
Koop, Hugo: Über die Lehrbarkeit der Tugend, Würzburg-Aumühle, 1940
Lind, Georg: Moral ist lehrbar, München, 2007
Lind, Georg: Ist Moral lehrbar?, Berlin, 2002
Platon: Menon, Übers. Kranz, Margarita, Stuttgart, 2008
Platon: Protagoras, Übers. Krautz, Hans-Wolfgang, Stuttgart, 2004
Platon: Sämtliche Werke in drei Bänden, Hersg. Loewenthal, Erich, Darmstadt, 2004, Band I
Pleines, Jürgen-Eckardt: Studien zur Ehtik, Hildesheim/Zürich/New York, 1992, (Kapitel

13.1 "Ist Tugend lehrbar")
Stemmer, Peter: Gutsein, in Zeitschrift für philosophische Forschung, Band 51, 1997


Anmerkungen
1 Frei nach http://www.gierhardt.de/schulsprueche.html
2 z.B.: Bauer, Joachim: Lob der Schule, Hamburg, 2007
3 z.B.: Schäfer, Alfred: Einführung in die Erziehungsphilosophie, Weinheim, 2005

4 Wörtliche Zitate beziehen sich soweit nicht anders vermerkt immer auf die Ausgabe Platon: Sämtliche Werke in drei Bänden, Loewenthal, Erich (Hrsg.), Darmstadt, 2004
5 Vgl. Koop, Hugo: Über die Lehrbarkeit der Tugend, Würzburg-Aumühle, 1940 S. 11
6 Vgl. z.B. Laches, 192c

7 Roth, Volkbert M.: Proseminar „Sokrates“, am 04.05.09

8 Platon: Menon, Übers. v. Magarita. Kranz, Stuttgart, 2008
9 Vgl. Brezinka, Wolfgang: Tüchtigkeit, München/Basel, 1987, I.4.
10 Vgl. Stemmer, Peter: Gut sein, in: Zeitschrift für philosophische Forschung, Band 51, 1997

11 Platon: Sämtliche Werke in drei Bänden, Loewenthal, Erich (Hrsg.), Darmstadt, 2004, Band 1, S. 413

12 Vgl. 3.1
13 Tabelle in: Lind, G., Moral ist lehrbar, München, 2003, Seite 33
14 Ebd. Seite 42
15 Ebd. Seite 147
16 Ebd. Seite 39
17 Tabelle angelehnt an: http://www.stangltaller.
at/ARBEITSBLAETTER/MORALISCHEENTWICKLUNG/Kohlbergmodell.shtml und Lind, G., Moral
ist lehrbar, München, 2003, Seite 50
18 Vgl. 4.2
19 Wie eine Studie 1912 herausfand, haben straffällig gewordene Jugendliche dieselben moralischen Werte wie
nicht straffällig gewordene (vgl. Lind, G., Moral ist lehrbar, München, 2003, Seite 18)



20 Man denke an Angsttherapien
21 Für Näheres siehe: Lind, G., Moral ist lehrbar, München, 2003 oder Lind, G., Ist Moral lehrbar?, Berlin, 2002

Sonntag, August 16, 2009

Anthropotechnik (Volkbert M. Roth)

Mo 16 - 19 c.t. Uhr Uni Konstanz, Raum D 431 WS 09

Mit dem Zentralbegriff ÜBUNG (griechisch ἄσκησις ) wirbt Peter Sloterdijk für eine sowohl theoretische wie praktische Philosophie betreffende neue Sicht. (Für mich gibt es darin Anklänge an systematische Fundierung in Handlungsschemata bei Wilhelm Kamlah.) In Anknüpfung und Abgrenzung vom vorausgehenden „linguistic turn“ proklamiert Sloterdijk eine ANTHROPOTECHNISCHE WENDE: es geht um „ein Leben in Übungen“. Es sei an der Zeit, den Menschen als das Lebewesen zu enthüllen, das aus der Wiederholung entsteht.“ Siehe auch weiterhin: feigenblaetter.blogspot.com.

Literatur: Peter Sloterdijk, Über Anthropotechnik, Ffm 2009; Wilhelm Kamlah, Von der Sprache zur Vernunft, Mannheim 1975 & Philosophische Anthropologie 1984.