Sonntag, Juli 19, 2009

Creative Philosophical Writing I (Tillmann Weißer)

SOKRATES
J, die Anderen

J.: War Sokrates ein Sophist?

Die A.: Wie kommst du denn auf so eine dumme Frage? Hast du nicht gelesen, wie Platon Sokrates gegen die Sophisten wettern lässt, sobald sich ihm auch nur irgendwie die Möglichkeit bietet?

J.: Natürlich habe ich es gelesen, doch kam es mir an manchen Stellen auch so vor, als wäre es unsere Interpretation, wenn wir behaupten, Sokrates mache sich über die Sophisten lustig. Denn nimmt man ihn beim Wort, so lobt er die Sophisten ob ihrer Weisheit. Im Beisein des Protagoras soll Sokrates sogar seinen Liebling Alkibiades vergessen haben, so voller Bewunderung war er für den alten Sophisten, der als einziger zugab, ein solcher zu sein. Könnte es nicht sein, dass Sokrates nicht auch einer von jenen Sophisten gewesen ist, die nur behaupten, keine zu sein, weil sie um ihren Ruf fürchten?

Die A.: Nein, das ist ganz und gar unmöglich.
J.: Versuchen wir es denn so. Sokrates behauptet in seinen Reden, dass die Dialektik der einzige Weg zu gesichertem Wissen sei. Der Menon ist ein wahrer Lobgesang auf die Dialektik. Und dennoch. Alle Argumente, die Menon vorbringt, schlägt Sokrates auf sophistische Weise nieder. Und als Menon versucht ihn in die Falle zu locken, erkennt Sokrates diese sofort und weicht ihr aus. Er war also auf jeden Fall in der sophistischen Redeweise geübt. Noch dazu schreckt er nicht davor zurück sie anzuwenden, obwohl er doch mit der Dialektik ein, seiner Meinung nach, viel besseres Mittel an der Hand hat Menschen zu überzeugen.

Die A.: Darauf haben doch schon viele vor dir hingewiesen. Und allgemein bekannt ist, dass im Zwiegespräch nicht unbedingt, die stärkste Antwort gegeben wird, sondern eben nur die, die das Gegenüber überzeugt.

J.: Ihr meint also, die Dialektik sei eine Weiterentwicklung der Sophistik?
Die A.: Du versuchst es gleich dem Menon dem Sokrates gegenüber!
J.: Nun gut, wir wollen es hierbei belassen, denn wir kommen hier, genau wie die vielen vor uns, nicht weiter. Vielleicht hilft es uns weiter, wenn wir den Ausgangspunkt unserer Erörterung ein wenig verlagern und dann mit neuem Wissen auf meine Frage zurückschauen. So, wie du dich immer gibst, scheint dir nämlich klar zu sein, was mir bisher verborgen blieb. Du achtest immer darauf, wie du dich anziehst, wiegst jedes Wort, das du sagst, davor sorgfältig ab, und auch bei dem was du tust, bist du stets darum bemüht, es aber jedem recht zu tun. Nun sag mir, warum ist das so, und warum achtest du so darauf?
Die A.: Na nu? Ist dir denn nicht bewusst, dass viele dich für einen Außenseiter halten, wenn du nicht das gleiche sagst, anziehst oder tust wie sie?
J.: Das war mir bewusst, und deshalb fragte ich dich auch. Denn wärst du wirklich ein Außenseiter, wenn du nicht das gleiche sagst, anziehst oder tust wie die Vielen?
Die A.: Ich wenigstens möchte es behaupten, dass der ein Außenseiter ist, der den Vielen nicht gleicht.
J.: Du wunderst mich! Denn gerade du bist doch jemand, der darauf besteht ein Individuum zu sein und nicht gleich einem jeden einzelnen der Vielen.
Die A.: Nun denn, dann bin ich wohl ein Außenseiter.
J.: Und trotzdem bemühst du dich darum, keiner zu sein? Obwohl es wie du gerade zugestanden hast, gar nicht in deiner Macht liegt, sondern dir in die Wiege gelegt wurde, ein Anderer zu sein als die Vielen?
Die A.: Das scheint sinnlos.
J.: Doch ist es nicht auch so, dass es einem jeden der Vielen in die Wiege gelegt wurde, ein Anderer zu sein als die Vielen?
Die A.: Du hast Recht. Dann bin ich wohl kein Außenseiter, denn jeder ist einer, vergleicht man ihn mit den Vielen.
J.: Und wenn du nun tust, sagst und anziehst, was die Vielen tun, sagen und anziehen, dann macht es dich zu einem der Vielen, von denen sich der Außenseiter unterscheidet?
Die A.: Ja.
J.: Kein Individuum bist du also?
Die A.: Man merkt, dass du vom Beruf her einer bist, der nur für Witze bezahlt wird. Lass mich einmal alles zusammenfassen. Jeder der Vielen ist ein Individuum, denn andere Eltern hat er, und selbst eineiige Zwillinge kann man auseinander halten, wenn man sie nur gut genug kennt. Die Vielen sind also nicht alle eins, sondern viele eine. Alle zusammen haben das Bestreben einander ähnlich zu sein, deshalb haben sie Regeln und Gesetze geschaffen, nach denen sich alle richten können. So wissen die Vielen, was sie tun, sagen und anziehen sollen und was sie bleiben lassen. Wenn das nun alles so ist, dann will ich meine Behauptung zurücknehmen und nicht sagen, ein Außenseiter ist, wer den Vielen nicht gleicht, sondern ich will sagen: Ein Außenseiter ist, wer den Vielen nicht gleichen will, wer also bewusst Regeln oder Gesetze der Vielen nicht befolgen will.
J.: Welch schöne Definition! Doch beachte auch folgendes. Es war einmal ein Mann wie ich, der kam in eine Stadt, die überall wegen der Schönheit ihrer Bewohner bekannt war. Doch die Bewohner wussten nicht, was Schönheit ist und so fiel ihnen gar nicht auf, dass sie sich von der restlichen Menschheit abgrenzten. Nun, da der Mann angekommen war, fragte er: „Was sind eure Regeln und Gesetze? Denn ich möchte es euch gleich tun, und einer von euch Vielen werden!“ Da antworteten die Bewohner und erklärten eine jede Regel und ein jedes Gesetz. Und fortan tat es der Mann den Bewohnern gleich. Er wurde einer der Vielen und bald schon hatte er vergessen, dass er ein Anderer war. Doch, eines Tages traf sein Blick zufällig auf einen Spiegel. Der Mann erkannte, dass er nicht eben schön war und einem jeden, der wusste was Schönheit ist, wäre sofort aufgefallen, dass er keiner der Vielen ist. Da war der Mann traurig, denn er wusste, dass er ein Außenseiter war.
Die A.: Aber das war er doch gar nicht! Die Vielen wussten doch gar nicht was Schönheit ist. So haben sie ihn demnach auch behandelt, als wäre er einer von ihnen.
J.: Da hast du recht. Und dennoch. Er fühlte sich als ein solcher.
Die A.: Vielleicht muss man beim Außenseiter etwas unterscheiden. Zu allererst ist Außenseiter, wer nicht gleich ist den Vielen und ich meine nicht, dass er ein Individuum ist, im Gegensatz zu den Vielen, die keins sind, sondern ich meine, dass er den Vielen in ihnen wesentlichen Eigenschaften nicht gleich ist. Ein solcher ist auf jeden Fall ein Außenseiter. Doch es gibt auch noch den, der einer der Vielen sein könnte, ihnen aber nicht gleich sein will.
J.: Aber deine Unterscheidung ist hinfällig. Ist doch die wesentlichste Eigenschaft der Vielen, dass sie einander gleich sein wollen. Beantworte dir und mir doch folgende Frage: War der Mann denn nun ein Außenseiter oder nicht?
Die A.: Das kann ich so nicht sagen.
J.: Was hindert dich?
Die A.: Nun, wäre ich der Mann, so würde ich sagen: „Ja, ich bin ein Außenseiter!“ Wäre ich einer der Vielen, so würde ich sagen: „Kerl, wie kommst du denn auf so etwas? Wenn einer kein Außenseiter ist, dann doch wohl dieser Mann, denn niemand hält sich besser an unsere Regeln und Gesetze!“ Du siehst, es ist vollkommen subjektiv, ob man einen Menschen als Außenseiter bezeichnet, oder nicht.
J.: Nun war wohl eben dies meine Frage, als ich dich zuerst gefragt habe: „Oh du mein Gegenüber! Kannst du mir sagen, ob Sokrates ein Sophist war oder nicht?“ Denn, dass Platon der Meinung war, Sokrates sei kein Sophist gewesen, das bezweifelt ja niemand. Doch ebenso nur umgekehrt steht es mit Menon. Der stellt seine Fragen an Sokrates und redet mit ihm, gerade weil er denkt, Sokrates sei ein Sophist. Und Sokrates selbst? Er hat gegen die Sophisten gewettert, aber auch Jesus war Jude, und erst im Nachhinein, haben wir aus ihm den Christus der Christen gemacht. Wer entscheidet also, was man ist?
Die A.: Da fällt mir ein, ich habe vorhin etwas vergessen, als ich sagte, es gäbe zwei Ansichten darüber, wer Außenseiter ist, und wer nicht. Zum einen war da der Einzelne, zum zweiten die Vielen. Aber es gibt noch eine dritte Ansicht, nämlich die eines wirklich Außenstehenden. Der kann doch alle der Vielen untereinander vergleichen und feststellen, wer ein Außenseiter ist, und wer nicht.
J.: Was man ist entscheiden also entweder die Vielen, oder man selbst, oder jemand der alle miteinander vergleicht.
Die A.: So ist es. Doch frag ich mich dann, wenn die drei Ansichten nicht übereinstimmen, welche ist dann die richtige? Bin ich es, der mich zu dem macht was ich bin, oder sind es die Vielen? Weiß ich, was ich wirklich bin, oder glaube ich nur, es zu wissen? Ich weiß es schon gar nicht mehr. Wer bin ich wirklich?

J.: Da haben wir ein paar sehr interessante Fragen und gerne würde ich mit euch diesen Fragen nachgehen, doch drängt mich die Zeit. Ich bin schon viel zu spät dran! Auf ein baldiges Wiedersehen!

Keine Kommentare: