Donnerstag, Dezember 10, 2009
LebensLang Lernen F.Schmieder / L ! L ! L ! Lenin / Ungeübtes wird verlernt
WS 2009 UNIVERSITÄT KONSTANZ Philosophie
V.M. Roth „AnthropoTechnik“ , nach Peter Sloterdijk 2009
MO 16.15 in D431
14. DEZ:
A R S MORIENDI Sokrates / Jesus
SterbensKunst Slot I5b 315 -325 / Egon
Ende des Teils I "Du mußt dein Leben ändern. Über Anthropotechnik"
& alle: AUSBLICK (Ende des Buchs)
Sonntag, Dezember 06, 2009
Neues Subjekt der Übungsmacht
Seiltänzer - übend / Marianne Hagemann 2009
WS 2009 UNIVERSITÄT KONSTANZ Philosophie
V.M. Roth „AnthropoTechnik“ , nach Peter Sloterdijk 2009
MO 16.30
7.DEZ:
C U R H O M O ARTISTA / Marianne
Warum Menschen Kunsten Slot I5a 298-315/
Jaspers / Diogenes / Seneca
"Achsenzeiteffekt"
cvr devs homo ?
p.314, Anm.108: das Erlernen des Göttlichen ist "eigentliches Schulprogramm",
ma, cur homo deus ?
p. 258 unten : Kenntnis
siehe auch zu Vertikalität und der Setzung der Differenz
BABEL - www.dotatelier.net/babel/babel.swf
14. DEZ:
A R S MORIENDI Sokrates / Jesus / Egon
SterbensKunst Slot I5b 315 -325
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Marianne Hagemann
Mittwoch, November 25, 2009
WS 2009 UNIVERSITÄT KONSTANZ Philosophie
V.M. Roth „AnthropoTechnik“ , nach Peter Sloterdijk 2009
MO 16 -20 D431
30.NOV:
Heraklit / Heidegger Slot I3 (und I4)/ Chris
ἤθος ανθρώπῳ δαίμον - ethos anthropo daimon
I. ἤθος ανθρώπῳ δαίμον
(1) Dem Menschen gewöhnlicher Aufenthaltsort ist Gott.
= Der gewöhnliche Aufenthaltsort des Menschen ist Gott.
(2) Dem Menschen Gott ist der gewöhnliche Aufenthaltsort.
= Der Gott des Menschen ist der gewöhnliche Aufenthaltsort.
II. ἤθος χοῖρῳ δαίμον - ethos choiro daimon
(1) Der gewöhnliche Aufenthaltsort des Schweins ist Gott.
(2) Der Gott des Schweins ist der gewöhnliche Aufenthaltsort.
III. ἤθος πολλοίς δαίμον - ethos pollois daimon
(1) Der gewöhnliche Aufenthaltsort der Vielen ist Gott.
(2) Der Gott der Vielen ist der gewöhnliche Aufenthaltsort.
IV. ἤθος Ἡράκλειτῳ δαίμον
(1) Der gewöhnliche Aufenthaltsort des Heraklit ist Gott.
(2) Der Gott des Heraklit ist der gewöhnliche Aufenthaltsort.
V. ἤθος Σλοτέρδεικῳ δαίμον
(1) Der gewöhnliche Aufenthaltsort des Sloterdijk ist Gott.
(2) Der Gott des Sloterdijk ist der gewöhnliche Aufenthaltsort.
Noch eine sehr schöne Übersetzung, die ich gefunden habe:
Dem Menschen ist sein Wesen sein Schicksal.
Aus: Wilhelm Capelle, Die Vorsokratiker, Stuttgart 1968, S. 156
von Jonathan
7.DEZ:
C U R H O M O ARTISTA / Marianne
Warum Menschen Kunsten Slot I5a 298ff /
Diogenes / Nietzsche / Jaspers
14. DEZ:
A R S MORIENDI Sokrates / Jesus / Egon
SterbensKunst Slot I5b 315 -325
V.M. Roth „AnthropoTechnik“ , nach Peter Sloterdijk 2009
MO 16 -20 D431
30.NOV:
Heraklit / Heidegger Slot I3 (und I4)/ Chris
ἤθος ανθρώπῳ δαίμον - ethos anthropo daimon
I. ἤθος ανθρώπῳ δαίμον
(1) Dem Menschen gewöhnlicher Aufenthaltsort ist Gott.
= Der gewöhnliche Aufenthaltsort des Menschen ist Gott.
(2) Dem Menschen Gott ist der gewöhnliche Aufenthaltsort.
= Der Gott des Menschen ist der gewöhnliche Aufenthaltsort.
II. ἤθος χοῖρῳ δαίμον - ethos choiro daimon
(1) Der gewöhnliche Aufenthaltsort des Schweins ist Gott.
(2) Der Gott des Schweins ist der gewöhnliche Aufenthaltsort.
III. ἤθος πολλοίς δαίμον - ethos pollois daimon
(1) Der gewöhnliche Aufenthaltsort der Vielen ist Gott.
(2) Der Gott der Vielen ist der gewöhnliche Aufenthaltsort.
IV. ἤθος Ἡράκλειτῳ δαίμον
(1) Der gewöhnliche Aufenthaltsort des Heraklit ist Gott.
(2) Der Gott des Heraklit ist der gewöhnliche Aufenthaltsort.
V. ἤθος Σλοτέρδεικῳ δαίμον
(1) Der gewöhnliche Aufenthaltsort des Sloterdijk ist Gott.
(2) Der Gott des Sloterdijk ist der gewöhnliche Aufenthaltsort.
Noch eine sehr schöne Übersetzung, die ich gefunden habe:
Dem Menschen ist sein Wesen sein Schicksal.
Aus: Wilhelm Capelle, Die Vorsokratiker, Stuttgart 1968, S. 156
von Jonathan
7.DEZ:
C U R H O M O ARTISTA / Marianne
Warum Menschen Kunsten Slot I5a 298ff /
Diogenes / Nietzsche / Jaspers
14. DEZ:
A R S MORIENDI Sokrates / Jesus / Egon
SterbensKunst Slot I5b 315 -325
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Jonathan Bauerschmidt
Großes Haus des Wissens
Motto
"... indessen seit geraumer Zeit bekannt ist, dass Lernen ausschließlich durch direkte Teilnahme ... stattfindet." Großes Haus 247
I. Tragische Vertikalität
1. Herkunft des Titels
Sloterdijk erklärt anhand der tragischen Vertikalität, dass Foucault sich auch mit der Vertikalspannung auseinander gesetzt hat.
Der Titel „Tragische Vertikalität“ findet sich in einer von Sloterdijk herausgegebenen Textsammlung Philosophie Jetzt!: Foucault – Ausgewählt und vorgestellt von Pravu Mazumdar, 1998. Dort findet sich ein Auszug aus einer frühen Schrift von Michel Foucault. „Tragische Vertikalität“ ist eine Zwischenüberschrift in dem Text. Sie stammt bei genauerer Betrachtung nicht von Foucault.
Das Original der Schrift von Foucault stammt aus dem Jahre 1954: Le rêve et l’existence – Traum und Existenz. Foucault hatte eine über 90-seitige Einleitung zum nur 41-seitigen Text von Ludwig Binswanger geschrieben. Ludwig Binswanger, 1881 in Kreuzlingen geboren 1966 dort gestorben, war Psychiater und Leiter des Sanatoriums Bellevue in Kreuzlingen.
2. Vertikalität allein führt zum Absturz
In der Schrift von 1954 finden sich keine Überschriften. Der Text von Foucault enthält aber einen Abschnitt in der von der vertikalen Achse die Rede ist: Siehe Foucault, 1998, S. 100f.
Baumeister Solness ist ein Theaterstück von Henrik Ibsen, 1892. Solness erfährt einen fabelhaften Aufstieg, nachdem das Elternhaus seiner Ehefrau abgebrannt ist. Dabei sind seine beiden Kinder gestorben. Er fühlt sich zunächst schuldig, verdrängt dies jedoch mit seinem Streben nach Erfolg. Nach zehn Jahre soll er einen Richtkranz aufhängen und stürzt dabei zu Tode.
Hieran kann man sehen, dass die Vertikalität des frühen Foucaults zum Absturz führt. Das ist gerade das tragische an ihr.
3. Die Vertikalität kommt zum Stehen
Der gereifte Foucault weiß, dass Arbeit an der Vertikalität nicht nur eine Sache der ursprünglichen Vorstellungskraft ist. Sie sei jetzt Kraft der Selbstgestaltung, in der sich die ethische Kompetenz des Individuums verdichtet, so Sloterdijk. (S. 239)
Verführung zum Exzess wird durch Asketik korrigiert. Dabei wird auf den späten Nietzsche zurückgegriffen. „Foucault hatte verstanden, dass der Dionysiker scheitert, wenn man ihm nicht einen Stoiker einpflanzt.“ (S. 239)
Abgrenzung zu christlich-platonischem Stil. Augustinus von Hippo: Geh nicht nach draußen, kehr in dich selbst zurück, im inneren wohnt die Wahrheit. Wenn Du transcendierst, denke daran, dass es deine Vernunftseele ist, die über dich hinausgeht. (S. 239, Fn. 57)
Der Exzess ist das schlichte Außer-sich-geraten. Das Über-sich-hinaus-Gehen ist durch die Übung gewährleistet. Somit bannt Foucault das Tragische in der Vertikalität.
II. Verortung: Foucault ein Wittgensteinianer
1. Übergang
Wittgenstein unfreiwilliger Nietzscheaner.
Foucault hingegen minifestes und freiwilliges Gegenstück, also Nietzscheaner.
F nimmt Arbeit dort auf, wo W sie liegengelassen hat. Komplexe zusammengesetzte Sprachspiele werden zu Diskursen. Dies betrifft ganze Wissenschaftszweige. Sprachspiel bricht mit kognitivem Element und bringt so die Handlung in der Sprache zum Vorschein.
2. Diskurs bei Foucault – Umdeutung der episteme
Foucault bricht mit epistemistischen Vorurteil in der Wissenschaftstheorie und zeigt, dass Disziplinen performative Systeme sind und nicht „Widerspiegelung“ der Wirklichkeit.
Foucault benutzt ἐπιστήμη – episteme als exquisite Ironie. Der Begriff wird nicht im klassischen Sinn als Erkenntnis, Wissen, Verständnis verwendet, sondern um die Bedeutung des Praktizierens erweitert. Diskurse sind somit ein Amalgam aus Wissenseffekt und exekutiver Kompetenz.
3. Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Wittgenstein und Foucault sind sich in ihrer praktischen Methode ganz nah. Unterschiede finden sich jedoch auf dem Mount Improbable. Von Sloterdijk auf S. 185ff eingeführt in Anlehnung an den Evolutionsbiologen Richard Dawkins: Climbing Mount Improbable, 1996.
„Während Wittgenstein es erstaunlich genug findet, wenn Lebensformen so weit geklärt werden können, bis das Dasein auf der Hochebene dem Aufenthalt in einem von Logikern bewohnten tibetischen Kloster gleicht, stürzt sich Foucault in die Rolle des Bergbauingenieurs, der mit Tiefenbohrungen an verschiedenen Stellen die Höhe des Gebirges und die Zahl seiner verborgenen Faltungen offenlegt. […] Der Imperativ: ‚Du musst Dein Leben ändern!’ heißt hier: Du selber bist der Berg des Unwahrscheinlichen, und wie du dich faltest, so ragst du empor.“ (S. 243)
Sehr nah sind sie sich wieder in der Wirkungsgeschichte: Wittgensteins Sprachspiele wurden von der Ordinary-Language Philosophie missverstanden. Foucaults genaue Analysen von Asylen, Klinken, Psychiatrien, Polizeien und Gefängnissen werden als verquere Form der Gesellschaftskritik missverstanden. Dass in der Analyse asketische Selbstübung lag um auch einen dritten Selbstmordversuch zu verhindern, begriff keiner seiner Leser. Sloterdijk vermutet, dass Foucault sich selbst nicht immer darüber im Klaren war. (S. 244)
III. Der Berg wird bestiegen
1. Methode
„Nach Foucault darf die Philosophie wieder daran denken, zu werden, was sie gewesen war, bevor das kognitivistische Missverständnis sie aus der Bahn warf – ein Exerzitium der Existenz.“ (S. 245)
Die Philosophie ist reine Disziplin und reiner Mehrkampf ohne sich auf abgezählte Einzeldisziplinen festzulegen. Ein Durchqueren, im Sinne einer Abkürzung, ist nicht möglich. „Eine Metadisziplin gibt es naturgemäß nicht – daher auch keine Einführung in die Philosophie, die nicht schon von Anfang an selber die maßgebliche Übung wäre“ (S. 245f.)
2. Aussichten auf eine ungeheure Landschaft
Nach dieser Einführung liegt die ganze Szene offen dar. Mit Wittgenstein gesprochen, eröffnet sich der Blick auf die ungeheuren Landschaften des Michel Foucault.
„Es ist die unfassbar weite Landschaft der Disziplinen. Ihre Summe macht die Routinebasis aller Kulturen und aller trainierbaren Kompetenzen aus. Hier haben wir de facto und de iure die ‚breiteste und längste Thatsache die es gibt’ vor Augen. Der von Foucault exemplarisch begangene Weg führt […] zu einer allgemeinen Disziplinik als einer Enzyklopädie der Könnensspiele.“ (S. 247)
Die Reichweite dieser Landschaften wird man jedoch erst ermessen können, wenn es eine Allgemeine Disziplinik gibt. Sloterdijk veranschlagt schon einmal 100 Jahre dafür. Eine Einteilung in 13 Kategorien deutet er nur an:
1. Akrobatik und Ästhetik
2. Athletik (allgemeine Sportartenkunde)
3. Rhetorik und Sophistik
4. Therapeutik
5. Epistemik (einschl. der Philosophie)
6. Allgemeine Beruf-Kunde
7. Maschinistische Techniken-Kunde
8. Administravistik, dazu gehört Politik und Recht
9. Enzyklopädie der Meditationssysteme
10. Ritualistik
11. Sexualpraxiskunde
12. Gastronomik
13. offene Liste kultivierungsfähiger Aktivitäten
Foucault wirkte in 1, 3, 4, 5, 8, 10 und 11. Gewöhnlicher Philosoph beschränkt sich auf 5, mit gelegentlichen Ausflügen nach 8 oder 1 und 3. Foucault hat die panathletischen Qualitäten und ist somit Prototyp des praktizierenden Philosophen.
3. Zwischen den Disziplinen
Abschließend fügt Sloterdijk noch ein paar Gedanken an, wie die Disziplinen miteinander umgehen. Jede Disziplin befindet sich in ständiger Krise und scheidet so, was richtig und unrichtig für sie ist. Daher besitz jede Disziplin für sich eine ihr eigentümliche Vertikalspannung. Kritik aus einer fremden Disziplin wird es geben. Sie schätzen oder missbilligen die Ergebnisse von Übungen in fremden Sphären nach eigenen Maßstäben.
Zwei Methoden der Kritik: Wertentzug und Seinsentzug.
Der Diszipliniker bedient sich nur der ersten Methode. Er besteigt den Mount Improbable der Disziplinen. Der Moralist besteigt den Berg erst gar nicht. Der gewöhnliche Moralismus ist die Kritik durch den Nicht-Bergsteiger.
Dass selbst die frühen Christen sich nie auf den Standpunkt der Moralisten gestellt haben, belegt Sloterdijk. Diese schrieben Ordensregeln, um auf dem Mount Improbable zu leben. Sie waren somit Diszipliniker, die eine eigene Disziplin (er)fanden. Dazu auch das Beispiel mit den Gladiatoren: Gegenüber den ungeliebten Gladiatorenkämpfe wird nicht bloß behauptet, sie sollten nicht sein, sondern ihnen werden Disziplinen gegenüber gestellt und mit positver Wertschätzung aufgeladen. (S. 251)
IV. Vom Mount Improbable zum Haus des Wissens
Sloterdijk spricht nur kurz vom Haus des Wissens (S. 247). Für ihn treffen sich die Philosophen heute auf dem Mount Improbable. Der Weg nach oben führt über mehrere Einzeldisziplinen und er ist nur übend zu gehen. Keine Abkürzung durch eine Metadisziplin steht uns offen.
Der Hausbau wird an einer Stelle im Rahmen der tragischen Vertikalität angesprochen. Solness der Architekt stürzt bei dem Versuch, immer höher hinaus zu kommen.
Zum Haus des Wissens kommt man, wenn man die Methode, d.h den Weg, betrachtet, die Sloterdijk wählt, um den Absturz zu verhindern: üben, üben, üben.
Es gibt noch einen weiteren Weg. Mount Improbable, so deutet Sloterdijk an, gibt es nicht. Er wird aufgefaltet von den Menschen, die ihn besteigen (S. 243). Anders das Haus des Wissens. Es wird geschaffen von den Menschen, die in ihm leben.
Die praktizierten Disziplinen sind es auch, die Jürgen Mittelstraß anspricht: Die Häuser des Wissens, 1998, S. 65.
"... indessen seit geraumer Zeit bekannt ist, dass Lernen ausschließlich durch direkte Teilnahme ... stattfindet." Großes Haus 247
I. Tragische Vertikalität
1. Herkunft des Titels
Sloterdijk erklärt anhand der tragischen Vertikalität, dass Foucault sich auch mit der Vertikalspannung auseinander gesetzt hat.
Der Titel „Tragische Vertikalität“ findet sich in einer von Sloterdijk herausgegebenen Textsammlung Philosophie Jetzt!: Foucault – Ausgewählt und vorgestellt von Pravu Mazumdar, 1998. Dort findet sich ein Auszug aus einer frühen Schrift von Michel Foucault. „Tragische Vertikalität“ ist eine Zwischenüberschrift in dem Text. Sie stammt bei genauerer Betrachtung nicht von Foucault.
Das Original der Schrift von Foucault stammt aus dem Jahre 1954: Le rêve et l’existence – Traum und Existenz. Foucault hatte eine über 90-seitige Einleitung zum nur 41-seitigen Text von Ludwig Binswanger geschrieben. Ludwig Binswanger, 1881 in Kreuzlingen geboren 1966 dort gestorben, war Psychiater und Leiter des Sanatoriums Bellevue in Kreuzlingen.
2. Vertikalität allein führt zum Absturz
In der Schrift von 1954 finden sich keine Überschriften. Der Text von Foucault enthält aber einen Abschnitt in der von der vertikalen Achse die Rede ist: Siehe Foucault, 1998, S. 100f.
Baumeister Solness ist ein Theaterstück von Henrik Ibsen, 1892. Solness erfährt einen fabelhaften Aufstieg, nachdem das Elternhaus seiner Ehefrau abgebrannt ist. Dabei sind seine beiden Kinder gestorben. Er fühlt sich zunächst schuldig, verdrängt dies jedoch mit seinem Streben nach Erfolg. Nach zehn Jahre soll er einen Richtkranz aufhängen und stürzt dabei zu Tode.
Hieran kann man sehen, dass die Vertikalität des frühen Foucaults zum Absturz führt. Das ist gerade das tragische an ihr.
3. Die Vertikalität kommt zum Stehen
Der gereifte Foucault weiß, dass Arbeit an der Vertikalität nicht nur eine Sache der ursprünglichen Vorstellungskraft ist. Sie sei jetzt Kraft der Selbstgestaltung, in der sich die ethische Kompetenz des Individuums verdichtet, so Sloterdijk. (S. 239)
Verführung zum Exzess wird durch Asketik korrigiert. Dabei wird auf den späten Nietzsche zurückgegriffen. „Foucault hatte verstanden, dass der Dionysiker scheitert, wenn man ihm nicht einen Stoiker einpflanzt.“ (S. 239)
Abgrenzung zu christlich-platonischem Stil. Augustinus von Hippo: Geh nicht nach draußen, kehr in dich selbst zurück, im inneren wohnt die Wahrheit. Wenn Du transcendierst, denke daran, dass es deine Vernunftseele ist, die über dich hinausgeht. (S. 239, Fn. 57)
Der Exzess ist das schlichte Außer-sich-geraten. Das Über-sich-hinaus-Gehen ist durch die Übung gewährleistet. Somit bannt Foucault das Tragische in der Vertikalität.
II. Verortung: Foucault ein Wittgensteinianer
1. Übergang
Wittgenstein unfreiwilliger Nietzscheaner.
Foucault hingegen minifestes und freiwilliges Gegenstück, also Nietzscheaner.
F nimmt Arbeit dort auf, wo W sie liegengelassen hat. Komplexe zusammengesetzte Sprachspiele werden zu Diskursen. Dies betrifft ganze Wissenschaftszweige. Sprachspiel bricht mit kognitivem Element und bringt so die Handlung in der Sprache zum Vorschein.
2. Diskurs bei Foucault – Umdeutung der episteme
Foucault bricht mit epistemistischen Vorurteil in der Wissenschaftstheorie und zeigt, dass Disziplinen performative Systeme sind und nicht „Widerspiegelung“ der Wirklichkeit.
Foucault benutzt ἐπιστήμη – episteme als exquisite Ironie. Der Begriff wird nicht im klassischen Sinn als Erkenntnis, Wissen, Verständnis verwendet, sondern um die Bedeutung des Praktizierens erweitert. Diskurse sind somit ein Amalgam aus Wissenseffekt und exekutiver Kompetenz.
3. Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Wittgenstein und Foucault sind sich in ihrer praktischen Methode ganz nah. Unterschiede finden sich jedoch auf dem Mount Improbable. Von Sloterdijk auf S. 185ff eingeführt in Anlehnung an den Evolutionsbiologen Richard Dawkins: Climbing Mount Improbable, 1996.
„Während Wittgenstein es erstaunlich genug findet, wenn Lebensformen so weit geklärt werden können, bis das Dasein auf der Hochebene dem Aufenthalt in einem von Logikern bewohnten tibetischen Kloster gleicht, stürzt sich Foucault in die Rolle des Bergbauingenieurs, der mit Tiefenbohrungen an verschiedenen Stellen die Höhe des Gebirges und die Zahl seiner verborgenen Faltungen offenlegt. […] Der Imperativ: ‚Du musst Dein Leben ändern!’ heißt hier: Du selber bist der Berg des Unwahrscheinlichen, und wie du dich faltest, so ragst du empor.“ (S. 243)
Sehr nah sind sie sich wieder in der Wirkungsgeschichte: Wittgensteins Sprachspiele wurden von der Ordinary-Language Philosophie missverstanden. Foucaults genaue Analysen von Asylen, Klinken, Psychiatrien, Polizeien und Gefängnissen werden als verquere Form der Gesellschaftskritik missverstanden. Dass in der Analyse asketische Selbstübung lag um auch einen dritten Selbstmordversuch zu verhindern, begriff keiner seiner Leser. Sloterdijk vermutet, dass Foucault sich selbst nicht immer darüber im Klaren war. (S. 244)
III. Der Berg wird bestiegen
1. Methode
„Nach Foucault darf die Philosophie wieder daran denken, zu werden, was sie gewesen war, bevor das kognitivistische Missverständnis sie aus der Bahn warf – ein Exerzitium der Existenz.“ (S. 245)
Die Philosophie ist reine Disziplin und reiner Mehrkampf ohne sich auf abgezählte Einzeldisziplinen festzulegen. Ein Durchqueren, im Sinne einer Abkürzung, ist nicht möglich. „Eine Metadisziplin gibt es naturgemäß nicht – daher auch keine Einführung in die Philosophie, die nicht schon von Anfang an selber die maßgebliche Übung wäre“ (S. 245f.)
2. Aussichten auf eine ungeheure Landschaft
Nach dieser Einführung liegt die ganze Szene offen dar. Mit Wittgenstein gesprochen, eröffnet sich der Blick auf die ungeheuren Landschaften des Michel Foucault.
„Es ist die unfassbar weite Landschaft der Disziplinen. Ihre Summe macht die Routinebasis aller Kulturen und aller trainierbaren Kompetenzen aus. Hier haben wir de facto und de iure die ‚breiteste und längste Thatsache die es gibt’ vor Augen. Der von Foucault exemplarisch begangene Weg führt […] zu einer allgemeinen Disziplinik als einer Enzyklopädie der Könnensspiele.“ (S. 247)
Die Reichweite dieser Landschaften wird man jedoch erst ermessen können, wenn es eine Allgemeine Disziplinik gibt. Sloterdijk veranschlagt schon einmal 100 Jahre dafür. Eine Einteilung in 13 Kategorien deutet er nur an:
1. Akrobatik und Ästhetik
2. Athletik (allgemeine Sportartenkunde)
3. Rhetorik und Sophistik
4. Therapeutik
5. Epistemik (einschl. der Philosophie)
6. Allgemeine Beruf-Kunde
7. Maschinistische Techniken-Kunde
8. Administravistik, dazu gehört Politik und Recht
9. Enzyklopädie der Meditationssysteme
10. Ritualistik
11. Sexualpraxiskunde
12. Gastronomik
13. offene Liste kultivierungsfähiger Aktivitäten
Foucault wirkte in 1, 3, 4, 5, 8, 10 und 11. Gewöhnlicher Philosoph beschränkt sich auf 5, mit gelegentlichen Ausflügen nach 8 oder 1 und 3. Foucault hat die panathletischen Qualitäten und ist somit Prototyp des praktizierenden Philosophen.
3. Zwischen den Disziplinen
Abschließend fügt Sloterdijk noch ein paar Gedanken an, wie die Disziplinen miteinander umgehen. Jede Disziplin befindet sich in ständiger Krise und scheidet so, was richtig und unrichtig für sie ist. Daher besitz jede Disziplin für sich eine ihr eigentümliche Vertikalspannung. Kritik aus einer fremden Disziplin wird es geben. Sie schätzen oder missbilligen die Ergebnisse von Übungen in fremden Sphären nach eigenen Maßstäben.
Zwei Methoden der Kritik: Wertentzug und Seinsentzug.
Der Diszipliniker bedient sich nur der ersten Methode. Er besteigt den Mount Improbable der Disziplinen. Der Moralist besteigt den Berg erst gar nicht. Der gewöhnliche Moralismus ist die Kritik durch den Nicht-Bergsteiger.
Dass selbst die frühen Christen sich nie auf den Standpunkt der Moralisten gestellt haben, belegt Sloterdijk. Diese schrieben Ordensregeln, um auf dem Mount Improbable zu leben. Sie waren somit Diszipliniker, die eine eigene Disziplin (er)fanden. Dazu auch das Beispiel mit den Gladiatoren: Gegenüber den ungeliebten Gladiatorenkämpfe wird nicht bloß behauptet, sie sollten nicht sein, sondern ihnen werden Disziplinen gegenüber gestellt und mit positver Wertschätzung aufgeladen. (S. 251)
IV. Vom Mount Improbable zum Haus des Wissens
Sloterdijk spricht nur kurz vom Haus des Wissens (S. 247). Für ihn treffen sich die Philosophen heute auf dem Mount Improbable. Der Weg nach oben führt über mehrere Einzeldisziplinen und er ist nur übend zu gehen. Keine Abkürzung durch eine Metadisziplin steht uns offen.
Der Hausbau wird an einer Stelle im Rahmen der tragischen Vertikalität angesprochen. Solness der Architekt stürzt bei dem Versuch, immer höher hinaus zu kommen.
Zum Haus des Wissens kommt man, wenn man die Methode, d.h den Weg, betrachtet, die Sloterdijk wählt, um den Absturz zu verhindern: üben, üben, üben.
Es gibt noch einen weiteren Weg. Mount Improbable, so deutet Sloterdijk an, gibt es nicht. Er wird aufgefaltet von den Menschen, die ihn besteigen (S. 243). Anders das Haus des Wissens. Es wird geschaffen von den Menschen, die in ihm leben.
Die praktizierten Disziplinen sind es auch, die Jürgen Mittelstraß anspricht: Die Häuser des Wissens, 1998, S. 65.
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Mittelstraß,
Nietzsche,
Sloterdijk,
Wittgenstein
Freitag, November 20, 2009
briefly
Ich sehe im SternFlug den Selbstbezug und das über sich
Hinauswachsen...
Adrian Deplazes (ZH)
Hinauswachsen...
Adrian Deplazes (ZH)
Dienstag, November 17, 2009
Einladung Philosophische Praxis
WS 2009 UNIVERSITÄT KONSTANZ Philosophie
V.M. Roth „AnthropoTechnik“ , nach Peter Sloterdijk 2009
MO 16 -20 D431
(Gäste willkommen)
23.NOV:
Binswanger / Foucault Slot 234-55 „Haus des Wissens“ / Jonathan
30.NOV:
Heraklit / Heidegger Slot I3 und I4/ Chris
7.DEZ:
C U R H O M O ARTISTA / Marianne
Warum Menschen Kunsten Slot I5a 298ff /
Diogenes / Nietzsche / Jaspers
14. DEZ:
A R S MORIENDI Sokrates / Jesus / Egon
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dotatelier,
Foucault,
Jonathan Bauerschmidt,
Mike Roth,
Neil Horne und Rita Grewatsch,
Sloterdijk
Montag, November 16, 2009
HimmelsLeiter?
Die aktuelle HimmelsLeiter aufsteigend absteigend ist das www (uns verbindend / im Krieg ...?)
Im Anschluss an Lesung und Diskussion gibt es dotatelier - Animation
von Neil Horne & Rita Grewatsch (Sydney / Berlin)
Philosophische Praxis ist das Philosophieren.
Wie aber angemessen philosophieren in unserer Zeit? Peter Sloterdijks aktueller Beitrag zur AnthroopoTechnik versucht hineinzulocken in solch ausgeübtes Philosophieren, kunstnah, kenntnisreich, mehr vitalistisch als akademisch. Ein allg. Hinweis darauf, dass Sloterdijk 2009 aufzufassen ist als eine Langfassung und Ausarbeitung des kurzen Vortrags MENSCHENPARK, der 1997 in Basel fast von der Öffentlichkeit unbemerkt, dann aber im Spätsommer/Herbst 1999 erneut vorgetragen zum Anlass einer hitzigen Debatte wurde. Von diesem ersten Sturm im MedienGlas (Menschen"züchtung"/ "fatale" vs. optionale Geburt) ist die zweite Debatte (Religion - ausgehend vom Anfang des Buchs 2009) und die dritte (gegen den "Steuerstaat" - weitgehend unabhängig vom Buch) zu unterscheiden.
Sehr einfühlsam zur Sprache bringt PS am Anfang der Rede (Regeln für den Menschenpark. Ein Antwortschreiben zu Heideggers Brief über den Humanismus. Sonderdruck edition suhrkamp, Ffm 1999, 7 ff) das befreundende Wesen philosophischer Bücher, jener "dickeren Briefe" an -noch unbekannte- "ferne Freunde". (Siehe erotologische Sicht... p.9) Jene Telekommunikation, die in unserem Kulturkreis (erst getragen von einer kleinen Oberschicht alphabetisierter Gebildeter) seit 2500 Jahren stattfindet, gibt Cicero den namen HUMANITAS und die user sind "Humanisten". Zu Beginn der Neuzeit wird man hieran andocken können. Ganz unterbrochen ist dieser Traditionszusammenhang bis heute nicht. PS ist in diesem Sinne wie vor ihm Nietzsche und Heidegger einer dieser Humanisten. Doch wie sie will auch er zugleich kritischer Kritiker, nicht nur Weitersager sein. Auch er zielt auf "eine Verführung in die Ferne" (p. 10), ist "erwärmt" von den angekommenen Sendungen und meldet sich als beitretender Freund und seinerseits "inspirierender Absender", a man of grammar and glamour: "Wer lesen und schreiben kann, dem werden auch andere Unmöglichkeiten leichtfallen." (p. 11)
Dem folgt dann die zeitdiagnostische These (p.14) auf dem Fuße: "moderne Großgesellschaften können ihre politische und kulturelle Synthesis nur noch marginal über literarische, briefliche, humanistische Medien produzieren." Dies schließt freilich die Selbstmarginalisierung des Autors ein, er müsste den nicht-humanistischen MedienSkandal geradezu herbeidenken, um dem zu entgehen. Doch wahrscheinlich hilft nicht einmal das nachhaltig aus der diagnostizierten Verlegenheit.
Samstag, November 14, 2009
Freitag, November 13, 2009
Montag, November 09, 2009
LP, Handlungsschemata & Allg.Anthropologie
WS 2009 UNIVERSITÄT KONSTANZ Philosophie
V.M. Roth „AnthropoTechnik“ , nach Peter Sloterdijk 2009
MO 16 -20 D431
Texte: Kamlah / Lorenzen, Logische Propädeutik
Kamlah, Philosophische Anthropologie
9.NOV:
Wilhelm Kamlah
16.NOV:
Radolfzell, Galerie 3ART: Himmelsleiter, cf.Slot 198-203 / Mike
(Gäste willkommen)
23.NOV:
Binswanger / Foucault Slot 234-55 „Haus des Wissens“ / Jonathan
30.NOV:
Heraklit / Heidegger Slot I3 und I4/ Chris
7.DEZ:
C U R H O M O ARTISTA / Marianne
Warum Menschen Kunsten Slot I5a 298ff /
Diogenes / Nietzsche / Jaspers
14. DEZ:
A R S MORIENDI Sokrates / Jesus / Egon
SterbensKunst Slot I5b 315 -325
V.M. Roth „AnthropoTechnik“ , nach Peter Sloterdijk 2009
MO 16 -20 D431
Texte: Kamlah / Lorenzen, Logische Propädeutik
Kamlah, Philosophische Anthropologie
9.NOV:
Wilhelm Kamlah
16.NOV:
Radolfzell, Galerie 3ART: Himmelsleiter, cf.Slot 198-203 / Mike
(Gäste willkommen)
23.NOV:
Binswanger / Foucault Slot 234-55 „Haus des Wissens“ / Jonathan
30.NOV:
Heraklit / Heidegger Slot I3 und I4/ Chris
7.DEZ:
C U R H O M O ARTISTA / Marianne
Warum Menschen Kunsten Slot I5a 298ff /
Diogenes / Nietzsche / Jaspers
14. DEZ:
A R S MORIENDI Sokrates / Jesus / Egon
SterbensKunst Slot I5b 315 -325
Dienstag, November 03, 2009
Debatte: Sloterdijk ein Sozialdemokrat?
Kollabierte Vertikalspannung
Du mußt dein Leben ändern! - die Parole, mit der Sloterdijk seit dem Frühjahr die mediale Öffentlichkeit in der Anredeform des generalisierten Du agitiert, lässt sich, mit einem Lieblingsbegriff von ihm, auch in die Aufforderung übersetzen: mehr Vertikalspannung! Der Ausdruck steht für das Gegenteil der intellektuellen Entspannung in der Horizontalen des Unernstes und einer pandemischen Trivialisierung, des Behagens in der Kultur an deren substantiellem Nullpunkt. Den Sündenbock der kulturellen Abwärtsspirale macht der unter die Dekadenzdiagnostiker Gegangene in einem „subversiven Egalitarismus“ der politischen und mehr noch der intellektuellen Linken aus. Dem hält er die empirische Ungleichheit des Könnens entgegen, wie sie aus dem Wettbewerb des Sich-Übens als der praktischen Seite der Vertikalspannung hervorgeht, ein sloterdijksches Exzellenzcluster, das wie sein hochschulpolitischer Zwilling behauptet, die Besten zum Wohle des Ganzen nach Vorne zu bringen.
Die Rezeptur und der Glaube an ihre Wirksamkeit haben Konjunktur traditionell im konservativen oder 'rechtsliberalen' Milieu. Der Zeitgeist, der inzwischen wieder von dorther weht, zeigt sich Sloterdijks Gedanken aufgeschlossen. Die Rezensenten seines jüngsten Buches haben sie durchweg goutiert und nicht gerade mit analytischem Scharfblick traktiert. Sodass ihnen entgangen ist, worin das Riskante seines „riskanten Denkens“ (so Hans-Ullrich Gumbrechts Typisierung in DIE ZEIT Nr. 41) besteht. Ich habe dies an anderer Stelle ausgeführt (siehe meine Beiträge im Netz: Theomag – Internetzeitschrift für Religion und Ästhetik Nr: 59/2009 sowie online-Magazin Textem.de vom 18.09.09); hier sei zusammenfassend bloß meine These wiederholt.
Der einmal gegen den verhängnisvollen Furor der „kopernikanischen Mobilmachung“ den Gedanken einer „ptolemäischen Abrüstung“ ins Spiel brachte, setzt jetzt ganz auf den Überbietungsgestus à la Nietzsche, Gipfelstürmerei mit Höhenrausch. Durch aristokratisch-sportive wahlweise asketisch-artistische Übung, die Praxis der Vertikalspannung, werden Einzelne im Aufstiegswettstreit untereinander als Einzelne besser und besser, bis „anthropotechnisch“ antrainierte Fitness die Besten, das Mittelfeld und den Rest im aufwindigen Schlepptau, auf Augenhöhe gebracht hat mit dem „Inkommensurablen“, “Ungeheuren“, „bedingungslos Überfordernden“ der globalen Gegenwartskrise, der drohenden ökologischen und Klimakatastrophe zumal. In einem von denen, die gekonnt genug ihr Leben geändert haben, sprich der ethisch-spirituellen Meritokratie, inaugurierten weltweiten „Ko-Immunismus“ sollen dann „die guten Gewohnheiten gemeinsamen Überlebens“ gepflegt werden.
Punkt der Kritik kann nicht sein, dem Vorhaben die edle Gesinnung abzusprechen, auch nicht in erster Linie zu monieren, dass Sloterdijk die einer Lösung der Globalkrise im Wege stehenden politischen, sozialen, kommunikativen etc. Hindernisse mit seinem „absoluten Imperativ“ kurzerhand überspringt. Das Riskante des von ihm Gedachten kommt in den Blick, sobald in Erwägung gezogen wird, dass die propagierte Umkehr womöglich gar keine ist. Folgt doch das auf Perfektibilität setzende Metanoia-Tremolo Sloterdijks genau der Steigerungslogik und Optimierungsobsession, die charakteristisch sind für die rasende, ökonomisch und ökologisch außer Rand und Band geratene Moderne. Dass das Kurativ hierfür ausgerechnet in einem Virtuosen- und Artistenwettlauf liegen soll, ist ebenso wenig überzeugend, wie die subtile Schuldzuweisung an „die Vielen“, dass ihre „Verweigerung die Spannung (verschärft), die über dem humanen Kollektiv liegt“ - jene schon von Rilke perhorreszierten „Leibes- und Lebensschwächlinge“ mit der „gewohnten Verwahrlosung“, gegen die er die „Trainerautorität“ seiner Steigerungskünstler (diese haben „mit einem Gott trainiert“) aufbietet. - Kurz, ein anthropologisches Selbstverbesserungsprojekt nach dem Strickmuster Sloterdijks geht das Risiko ein, dass es statt der intendierten Kehrtwendung lediglich auf ein Mehr desselben hinausläuft. Der riskante Denker ist einem Trugschluss der fatalen Sorte erlegen, der allerdings bei gedanklicher Vertikalspannung sofort ins Auge sticht.
Nun hat Axel Honneth in DIE ZEIT (Nr. 40) eine 'neue Sloterdijk-Debatte' ausgelöst, indem er dessen wie eine Vorwahlkampfrede daherkommende Tirade gegen die (so Sloterdijk wörtlich) „Kleptokratie“ des Umverteilungsstaates in der FAZ (10.06.09) aufs Korn nahm: Im Klartext laute Sloterdijks Vorschlag, man solle den Sozialstaat abschaffen und durch die (wieder Sloterdijks Worte) „Gabe“ einer „schenkenden Tugend der Wohlhabenden“ ersetzen. Dass der Angegriffene (wiederum in der FAZ, 26.09.09) mit einem Bekenntnis zur Sozialdemokratie antwortete („unverbesserlicher Verteidiger einer sozialdemokratischen oder ... semi-sozialistischen Logik“), also jener politischen Philosophie, in welcher der durch ihn im Buch geschmähte Egalitarismus doch einen säkularen Ausdruck gefunden hat – dieser bei jedem nicht vollkommen naiven Leser Heiterkeit provozierende „Kollapsus“ lässt unglücklicherweise jene andere, sachlich schwerwiegendere Inkonsistenz, auf die wir im vorangehenden aufmerksam gemacht haben, aus dem Blick geraten. Dabei dürfte die eher unterhaltsame Ungereimtheit des 'Sozialdemokraten Sloterdijk' einem vorübergehenden Spannungsabfall im Wort- und Textegenerator Sloterdijk geschuldet sein, wie er unvermeidlich erscheint bei jemandem, der unentwegt auf Sendung sein möchte. Vielleicht sollte daher im Falle des gestressten Medienphilosophen Gnade vor Recht ergehen, vorausgesetzt, man geht, wo hinlänglich stringente Textkonvolute es zulassen, in der Sache mit ihm umso strenger ins Gericht.
So wie es Christoph Menke exemplarisch in seinem Debattenbeitrag (DIE ZEIT Nr. 43) vorführt. An Sloterdijks Text weist er auf, wie dessen Vertikalspannungs- und Elitegedanke ein Essential der humanen oder zivilisierten Gesellschaft ideologisch zu unterminieren droht: das basale Gleichheitsprinzip einer allen geschuldeten Anerkennung diesseits und unabhängig von Könnensbezeugung oder erbrachter Leistung. Das sind nicht, wie Karl-Heinz Bohrer in seiner Replik (FAZ 21.10.09) allen Ernstes weismachen möchte, „Lobhudeleien der Gleichheit“, und es geht auch nicht darum, wie er absurder Weise mutmaßt, den „Freigeist Sloterdijk“ mundtot zu machen. Ihm wird lediglich widersprochen, wo seine weltfremde Big-Spender-Euphorie die Bereitschaft signalisiert, hart erstrittene Basics der Zivilisiertheit wie Makulatur vom Tisch zu wischen. Um eine ebenso alarmistische Keule zu schwingen wie vormals Bohrers Alternative „Kapitalismus oder Barbarei“: Respekt oder Barbarei – institutionell verankerte Achtung in der Demokratie oder noble Willkür in einer refeudalisierten Gesellschaft, darum geht es! Menkes Sloterdijk-Kritik, die sich auf die Verteidigung der 'Anerkennungsgleichheit' konzentriert, ist noch moderat, beachtet man, dass Sloterdijk die durch gesellschaftlich erzeugte Ungleichheit aufgeworfene Frage nach der sozialen Gerechtigkeit als praktisch obsolet verabschiedet bzw. dass sie im heroischen „Immundesign“ der von den Eliten iniziierten Apokalypseabwehr als quantité négligeable untergeht. Wer, wie man mit Heidegger sagen könnte, so „groß denkt“ wie der Vertikalstreber Sloterdijk, bei dem steht zu fürchten, dass es ihn nicht weiter interessiert, wenn die Gesellschaft sehenden Auges Opfer produziert: Anerkennungsverlierer, Demoralisierte, Ausgeschlossene, denen nur ein Zyniker einzig das „Du musst dein Leben ändern“ mit auf den Weg gibt.
Hans-Willi Weis
aus: Textem.de
23. Oktober 2009
Siehe auch: Richard D. Precht, "zu einem seltsamen Hickhack" im SPIEGEL 45 /2009, 150-52
Du mußt dein Leben ändern! - die Parole, mit der Sloterdijk seit dem Frühjahr die mediale Öffentlichkeit in der Anredeform des generalisierten Du agitiert, lässt sich, mit einem Lieblingsbegriff von ihm, auch in die Aufforderung übersetzen: mehr Vertikalspannung! Der Ausdruck steht für das Gegenteil der intellektuellen Entspannung in der Horizontalen des Unernstes und einer pandemischen Trivialisierung, des Behagens in der Kultur an deren substantiellem Nullpunkt. Den Sündenbock der kulturellen Abwärtsspirale macht der unter die Dekadenzdiagnostiker Gegangene in einem „subversiven Egalitarismus“ der politischen und mehr noch der intellektuellen Linken aus. Dem hält er die empirische Ungleichheit des Könnens entgegen, wie sie aus dem Wettbewerb des Sich-Übens als der praktischen Seite der Vertikalspannung hervorgeht, ein sloterdijksches Exzellenzcluster, das wie sein hochschulpolitischer Zwilling behauptet, die Besten zum Wohle des Ganzen nach Vorne zu bringen.
Die Rezeptur und der Glaube an ihre Wirksamkeit haben Konjunktur traditionell im konservativen oder 'rechtsliberalen' Milieu. Der Zeitgeist, der inzwischen wieder von dorther weht, zeigt sich Sloterdijks Gedanken aufgeschlossen. Die Rezensenten seines jüngsten Buches haben sie durchweg goutiert und nicht gerade mit analytischem Scharfblick traktiert. Sodass ihnen entgangen ist, worin das Riskante seines „riskanten Denkens“ (so Hans-Ullrich Gumbrechts Typisierung in DIE ZEIT Nr. 41) besteht. Ich habe dies an anderer Stelle ausgeführt (siehe meine Beiträge im Netz: Theomag – Internetzeitschrift für Religion und Ästhetik Nr: 59/2009 sowie online-Magazin Textem.de vom 18.09.09); hier sei zusammenfassend bloß meine These wiederholt.
Der einmal gegen den verhängnisvollen Furor der „kopernikanischen Mobilmachung“ den Gedanken einer „ptolemäischen Abrüstung“ ins Spiel brachte, setzt jetzt ganz auf den Überbietungsgestus à la Nietzsche, Gipfelstürmerei mit Höhenrausch. Durch aristokratisch-sportive wahlweise asketisch-artistische Übung, die Praxis der Vertikalspannung, werden Einzelne im Aufstiegswettstreit untereinander als Einzelne besser und besser, bis „anthropotechnisch“ antrainierte Fitness die Besten, das Mittelfeld und den Rest im aufwindigen Schlepptau, auf Augenhöhe gebracht hat mit dem „Inkommensurablen“, “Ungeheuren“, „bedingungslos Überfordernden“ der globalen Gegenwartskrise, der drohenden ökologischen und Klimakatastrophe zumal. In einem von denen, die gekonnt genug ihr Leben geändert haben, sprich der ethisch-spirituellen Meritokratie, inaugurierten weltweiten „Ko-Immunismus“ sollen dann „die guten Gewohnheiten gemeinsamen Überlebens“ gepflegt werden.
Punkt der Kritik kann nicht sein, dem Vorhaben die edle Gesinnung abzusprechen, auch nicht in erster Linie zu monieren, dass Sloterdijk die einer Lösung der Globalkrise im Wege stehenden politischen, sozialen, kommunikativen etc. Hindernisse mit seinem „absoluten Imperativ“ kurzerhand überspringt. Das Riskante des von ihm Gedachten kommt in den Blick, sobald in Erwägung gezogen wird, dass die propagierte Umkehr womöglich gar keine ist. Folgt doch das auf Perfektibilität setzende Metanoia-Tremolo Sloterdijks genau der Steigerungslogik und Optimierungsobsession, die charakteristisch sind für die rasende, ökonomisch und ökologisch außer Rand und Band geratene Moderne. Dass das Kurativ hierfür ausgerechnet in einem Virtuosen- und Artistenwettlauf liegen soll, ist ebenso wenig überzeugend, wie die subtile Schuldzuweisung an „die Vielen“, dass ihre „Verweigerung die Spannung (verschärft), die über dem humanen Kollektiv liegt“ - jene schon von Rilke perhorreszierten „Leibes- und Lebensschwächlinge“ mit der „gewohnten Verwahrlosung“, gegen die er die „Trainerautorität“ seiner Steigerungskünstler (diese haben „mit einem Gott trainiert“) aufbietet. - Kurz, ein anthropologisches Selbstverbesserungsprojekt nach dem Strickmuster Sloterdijks geht das Risiko ein, dass es statt der intendierten Kehrtwendung lediglich auf ein Mehr desselben hinausläuft. Der riskante Denker ist einem Trugschluss der fatalen Sorte erlegen, der allerdings bei gedanklicher Vertikalspannung sofort ins Auge sticht.
Nun hat Axel Honneth in DIE ZEIT (Nr. 40) eine 'neue Sloterdijk-Debatte' ausgelöst, indem er dessen wie eine Vorwahlkampfrede daherkommende Tirade gegen die (so Sloterdijk wörtlich) „Kleptokratie“ des Umverteilungsstaates in der FAZ (10.06.09) aufs Korn nahm: Im Klartext laute Sloterdijks Vorschlag, man solle den Sozialstaat abschaffen und durch die (wieder Sloterdijks Worte) „Gabe“ einer „schenkenden Tugend der Wohlhabenden“ ersetzen. Dass der Angegriffene (wiederum in der FAZ, 26.09.09) mit einem Bekenntnis zur Sozialdemokratie antwortete („unverbesserlicher Verteidiger einer sozialdemokratischen oder ... semi-sozialistischen Logik“), also jener politischen Philosophie, in welcher der durch ihn im Buch geschmähte Egalitarismus doch einen säkularen Ausdruck gefunden hat – dieser bei jedem nicht vollkommen naiven Leser Heiterkeit provozierende „Kollapsus“ lässt unglücklicherweise jene andere, sachlich schwerwiegendere Inkonsistenz, auf die wir im vorangehenden aufmerksam gemacht haben, aus dem Blick geraten. Dabei dürfte die eher unterhaltsame Ungereimtheit des 'Sozialdemokraten Sloterdijk' einem vorübergehenden Spannungsabfall im Wort- und Textegenerator Sloterdijk geschuldet sein, wie er unvermeidlich erscheint bei jemandem, der unentwegt auf Sendung sein möchte. Vielleicht sollte daher im Falle des gestressten Medienphilosophen Gnade vor Recht ergehen, vorausgesetzt, man geht, wo hinlänglich stringente Textkonvolute es zulassen, in der Sache mit ihm umso strenger ins Gericht.
So wie es Christoph Menke exemplarisch in seinem Debattenbeitrag (DIE ZEIT Nr. 43) vorführt. An Sloterdijks Text weist er auf, wie dessen Vertikalspannungs- und Elitegedanke ein Essential der humanen oder zivilisierten Gesellschaft ideologisch zu unterminieren droht: das basale Gleichheitsprinzip einer allen geschuldeten Anerkennung diesseits und unabhängig von Könnensbezeugung oder erbrachter Leistung. Das sind nicht, wie Karl-Heinz Bohrer in seiner Replik (FAZ 21.10.09) allen Ernstes weismachen möchte, „Lobhudeleien der Gleichheit“, und es geht auch nicht darum, wie er absurder Weise mutmaßt, den „Freigeist Sloterdijk“ mundtot zu machen. Ihm wird lediglich widersprochen, wo seine weltfremde Big-Spender-Euphorie die Bereitschaft signalisiert, hart erstrittene Basics der Zivilisiertheit wie Makulatur vom Tisch zu wischen. Um eine ebenso alarmistische Keule zu schwingen wie vormals Bohrers Alternative „Kapitalismus oder Barbarei“: Respekt oder Barbarei – institutionell verankerte Achtung in der Demokratie oder noble Willkür in einer refeudalisierten Gesellschaft, darum geht es! Menkes Sloterdijk-Kritik, die sich auf die Verteidigung der 'Anerkennungsgleichheit' konzentriert, ist noch moderat, beachtet man, dass Sloterdijk die durch gesellschaftlich erzeugte Ungleichheit aufgeworfene Frage nach der sozialen Gerechtigkeit als praktisch obsolet verabschiedet bzw. dass sie im heroischen „Immundesign“ der von den Eliten iniziierten Apokalypseabwehr als quantité négligeable untergeht. Wer, wie man mit Heidegger sagen könnte, so „groß denkt“ wie der Vertikalstreber Sloterdijk, bei dem steht zu fürchten, dass es ihn nicht weiter interessiert, wenn die Gesellschaft sehenden Auges Opfer produziert: Anerkennungsverlierer, Demoralisierte, Ausgeschlossene, denen nur ein Zyniker einzig das „Du musst dein Leben ändern“ mit auf den Weg gibt.
Hans-Willi Weis
aus: Textem.de
23. Oktober 2009
Siehe auch: Richard D. Precht, "zu einem seltsamen Hickhack" im SPIEGEL 45 /2009, 150-52
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Sloterdijk
Montag, November 02, 2009
Ordensregel vorgetragen von Léon Homeyer
WS 2009 UNIVERSITÄT KONSTANZ Philosophie
V.M. Roth „AnthropoTechnik“ , nach Peter Sloterdijk 2009
MO 16 -20 D431
2.NOV:
Slot I2, 208 -232 Wittgenstein / Leon
9.NOV:
Wilhelm Kamlah
16.NOV:
Radolfzell, Galerie 3ART: Himmelsleiter, cf.Slot 198-203 / Mike
(Gäste willkommen)
23.NOV:
Binswanger / Foucault Slot 234-55 „Haus des Wissens“ / Jonathan
30.NOV:
Heraklit / Heidegger Slot I3 und I4/ Chris
7.DEZ:
C U R H O M O ARTISTA
Warum Menschen Kunsten Slot I5a 298ff /
Diogenes / Nietzsche / Jaspers
14. DEZ:
A R S MORIENDI Sokrates / Jesus / Egon
SterbensKunst Slot I5b 315 -325
Sloterdijk hat im Anschluss an Nietzsche seine These eingeführt, das kulturelle Leben sei maßgeblich durch Vertikalspannungen geprägt: diesem Zug nach oben durch asketische Handlungsmuster in den verschiedensten Ausformungen gelte es nachzugehen. Die Steigerung in immer "unwahrscheinlichere" Zustände (mount improbable) erklärt er, wenn auch nicht biologistisch, so doch als evolutionsbedingte Tatsache des Menschen, der sich selbst zu erhöhen versucht. Vertikalität eröffnet eine Dimension der Differenzierung, nicht nur die Möglichkeit zur Unterscheidung, sondern nahezu den Zwang. Diese Vertikaldifferenzierung möchte Sloterdijk nun nicht „aus der Matrix von Herrschaft und Unterwerfung“1 herleiten, sondern eine „ethisch kompetentere und empirisch adäquatere Alternative“2 anbieten. Statt auf Klassengesellschaft (Abgrenzung von "Kritischer Theorie") zielt seine Argumentation auf eine Disziplingesellschaft ab, in welcher sich die Unterschiede zwischen den Menschen aus dem Grad des Bewusstseins über und der Intensität der Anstrengungen in den „richtigen“ Übungen ergeben. Auf der Suche nach diesen Differenzierungen im kulturellen Leben lässt Sloterdijk Wittgenstein antreten, mit der Absicht, dessen Sprachspieltheorie als Übungs- und Askesetheorie weiter zu denken. Hierbei werden Sprachspiele zu asketischen Handlungen. In der Nachahmung und Wiederholung eines Sprachspiels nach einer Grammatik zeigt sich ihr Übungscharakter.
Doch alles ist Sprachspiel, so die landläufige Ansicht über Wittgensteins Theorie, die durch die Ordinary Language Philosophy propagiert wird. Jede alltägliche Sprechhandlung ist anteilig die Praxis eines grammatikalischen Regelsystems und könnte also eine asketische Handlung sein. Fehlt der Drang sich abzusetzen, der Zug nach oben? Sloterdijks ethischer Imperativ droht sich in Anlehnung an diese Interpretation Wittgensteins über die ganze Erde zu verstreuen, und so muss er ein elitäres Bestreben bei Wittgenstein ausmachen. Dies führt im Text über einige biografische Anmerkungen aus dem Leben Wittgensteins zu kurzen Blitzlichtern seiner Theorie.
„Kultur ist eine Ordensregel. Oder setzt doch eine Ordensregel voraus.“3, schreibt Ludwig Wittgenstein in eins seiner Notizhefte 1949. Sloterdijk nimmt diese Notiz als Ausgangspunkt einer Betrachtung von Wittgensteins Spiritualität, seines Kulturverständnisses geprägt durch die Sezessionsbewegungen innerhalb der Wiener Kunstszene seiner Jugend und seiner Rolle als Lehrender.
Die Vokabel „Ordensregel“ in Wittgensteins Gebrauch überrascht nur auf den ersten Blick. Sloterdijk unterstreicht mit verschiedenen Zitaten Wittgensteins Spiritualität. „Ich hätte mein Leben zum Guten wenden sollen und ein Stern werden. Ich bin aber auf der Erde sitzengeblieben und nun gehe ich nach und nach ein.“4, schreibt Wittgenstein seinem Freund Paul Engelmann 1921. Jemand der ein Stern werden wolle, der würde insgeheim der Überzeugung sein, einmal ein solcher gewesen zu sein, so Sloterdijk. Wittgenstein als ehemaliges Lichtwesen, als den weltlichen „Schweinereien“ ferner Beobachter, hat einen Abstieg auf der Jakobsleiter hinter sich, der ihn zum Prototypen eines inversen Akrobaten macht (dem Leichtes schwer, Unmögliches leicht falle). Die Komplexität ist ihm natürlich, während die weltliche Banalität ihn vor Probleme stellt. Ein weiteres Mal an Engelmann: „Wohl fühle ich mich nicht, aber nicht, weil mir meine Schweinerei zu schaffen machte, sondern innerhalb der Schweinerei.“5 Sloterdijk beschreibt Wittgensteins Leben als einen Abstieg auf den befremdlichen Boden der Tatsachen und als anhaltende Askese, nur das Minimum an „unvermeidlichen Lebensvollzügen auszuführen“6 und sich die Luzidität der höchsten Höhen beizubehalten.
Von dieser Warte aus lasse sich das Interesse Wittgensteins an der monastischen Lebensform neu bewerten. Im Gegensatz zum alltäglichen Lebensvollzug wird das Leben im Kloster durch ein Kunstsystem aus nicht weiter zu begründenden Lebensregeln, welche mit größter Bedachtsamkeit befolgt werden, definiert. Man wählt diese Lebensform bewusst und wird nicht wie ein Ferkel hinein gesetzt in den Stall. Die Handlungen sind reduziert auf das Wesentliche und es herrscht Strenge und Wachsamkeit in ihrer Ausführung.
Wittgensteins Kulturbegriff versickert somit nicht in den zahllosen Furchen des Alltäglichen: du musst dich konzentrieren auf ein Leben, das sich absetzt durch klar definierte Regeln. „Kultur im anspruchsvollen Sinne des Wortes entsteht in seinen Augen erst durch die Absonderung der wirklich Kultivierten von der sonstigen sogenannten Kultur, diesem Aggregat aus besseren und schlechteren Gewohnheiten, die in ihrer Summe kaum mehr als die übliche Schweinerei ergeben.“7 Dieses Absetzen ist ein Lebensmotto/Thema, dessen Ursprung Sloterdijk in Wittgensteins Jugend ausmacht. Wittgensteins sezessionistischer Kulturbegriff, so Sloterdijk, sei maßgeblich durch den Kontakt und die Erfahrungen mit der Wiener Kunstszene geprägt. Sein Vater unterstützte als Mäzen die Abspaltung der Künstlergruppe um Gustav Klimt, Koloman Moser und Josef Hoffmann von dem traditionellen und konservativen Wiener Künstlerverein. Ein Jahrhundert stirbt und ein neues bricht an. Die kulturelle Avantgarde ist geprägt durch die Trennung von alten Mustern und Schnörkeln. Eine neue Klarheit wird verfolgt, die sich auch klar abzusetzen sucht. Adolf Loos veröffentlicht sein Werk "Ornament und Verbrechen" und arbeitet an einem neuen Formverständnis, das sich auf einen Funktionalismus beruft. Der sezessionistische Grundtenor sieht erst in einem Abstieg zu den elementaren Formen die Möglichkeit zu einem Aufstieg in der Kultur. Er konzentriert sich auf die primären Formen, die Grammatiken und ihre konstruktiven Prinzipien.
Sloterdijk vergleicht diese Sezession der Wiener Ateliers mit der Gründung der Akademie Platons. Auch sie setzte sich, auch räumlich, von der alltäglichen Kultur Athens ab und suchte hinter ihren Mauern und im angrenzenden Gymnasium (Sportstätte) nach der „guten Form“ des Lebens. Es ist ein Bruch mit dem schicksalhaften Bild der Welt und akademische Praxis, die zu einem neuen Verständnis führt. Unabwendbare Tragik wird zu einem Fehler, der ein „säkularisiertes, revidierbares Verhängnis“8 ist. Für Sloterdijk folgt Wittgenstein in seiner Theorie eben diesem Topos und versteht unter Kultur die Arbeit an den persönlichen und kollektiven Fehlern. Dies lässt Wittgensteins Werk als praktizierten ethisch-ästhetischen Elitismus erscheinen, der keineswegs Anknüpfungspunkte für egalitäre oder relativistische Ansätze bietet. Warum Wittgensteins Sprachspiele nicht als Askesen, die sich von dem gewöhnlichen, alltäglichen Gebrauch der Sprache absetzen, indem sie den Versuch darstellen, die „Lebensformen durch logische Analyse und technische Rekonstruktion“9 zu erklären, rezipiert wurden, lastet Sloterdijk dem lehrenden Wittgenstein an. Er habe seinen Schülern durch seine Zweideutigkeit nur die halbe Lektion offenbart und indem er sich "zwischen Trainer und Messias" nicht habe entscheiden können, sein Verstanden-werden erschwert.
Was bleibt nach diesem Verständnis von Wittgenstein, sind sein Bemühen durch die Sprachspieltheorie auf die „mikro-asketischen Module“10, derer wir uns alltäglich bedienen, aufmerksam zu machen und mit diesem Bewusstsein für Grammatik eine Läuterung ihres Gebrauchs einzuleiten. Aus einem unbewussten Gebrauch von Sprache und Leben sollen sich durch diese Analyse wenige herauskristallisieren, die in die Ordensregel - Kultur übernommen werden können. „Sprachspiel ist alles, der lebende Kristall und die Schweinerei, es kommt auf die Nuancen an.“11 Der Übende muss sich der Übung als Übung bewusst werden um seine Selbstveränderung aktiv zu lenken.
Anmerkungen:
1 Peter Sloterdijk, Du mußt dein Leben ändern (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2009), S. 208
2 Ebd.
3 Ludwig Wittgenstein, Vermischte Bemerkungen (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1994) S. 149
4 Paul Engelmann, Ludwig Wittgenstein. Briefe und Begegnungen (Wien/München: Oldenbourg, 1970) S. 32
5 Allan Janik/Stephen Toulmin, Wittgensteins Wien (München: Pieper, 1984) S. 316
6 Peter Sloterdijk, Du mußt dein Leben ändern (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2009), S. 212
7 Ebd., S. 216
8 Ebd., S. 221
9 Ebd., S. 223
10 Ebd., S. 228
11 Ebd., S. 230
DISKUSSION:
V.M. Roth „AnthropoTechnik“ , nach Peter Sloterdijk 2009
MO 16 -20 D431
2.NOV:
Slot I2, 208 -232 Wittgenstein / Leon
9.NOV:
Wilhelm Kamlah
16.NOV:
Radolfzell, Galerie 3ART: Himmelsleiter, cf.Slot 198-203 / Mike
(Gäste willkommen)
23.NOV:
Binswanger / Foucault Slot 234-55 „Haus des Wissens“ / Jonathan
30.NOV:
Heraklit / Heidegger Slot I3 und I4/ Chris
7.DEZ:
C U R H O M O ARTISTA
Warum Menschen Kunsten Slot I5a 298ff /
Diogenes / Nietzsche / Jaspers
14. DEZ:
A R S MORIENDI Sokrates / Jesus / Egon
SterbensKunst Slot I5b 315 -325
Sloterdijk hat im Anschluss an Nietzsche seine These eingeführt, das kulturelle Leben sei maßgeblich durch Vertikalspannungen geprägt: diesem Zug nach oben durch asketische Handlungsmuster in den verschiedensten Ausformungen gelte es nachzugehen. Die Steigerung in immer "unwahrscheinlichere" Zustände (mount improbable) erklärt er, wenn auch nicht biologistisch, so doch als evolutionsbedingte Tatsache des Menschen, der sich selbst zu erhöhen versucht. Vertikalität eröffnet eine Dimension der Differenzierung, nicht nur die Möglichkeit zur Unterscheidung, sondern nahezu den Zwang. Diese Vertikaldifferenzierung möchte Sloterdijk nun nicht „aus der Matrix von Herrschaft und Unterwerfung“1 herleiten, sondern eine „ethisch kompetentere und empirisch adäquatere Alternative“2 anbieten. Statt auf Klassengesellschaft (Abgrenzung von "Kritischer Theorie") zielt seine Argumentation auf eine Disziplingesellschaft ab, in welcher sich die Unterschiede zwischen den Menschen aus dem Grad des Bewusstseins über und der Intensität der Anstrengungen in den „richtigen“ Übungen ergeben. Auf der Suche nach diesen Differenzierungen im kulturellen Leben lässt Sloterdijk Wittgenstein antreten, mit der Absicht, dessen Sprachspieltheorie als Übungs- und Askesetheorie weiter zu denken. Hierbei werden Sprachspiele zu asketischen Handlungen. In der Nachahmung und Wiederholung eines Sprachspiels nach einer Grammatik zeigt sich ihr Übungscharakter.
Doch alles ist Sprachspiel, so die landläufige Ansicht über Wittgensteins Theorie, die durch die Ordinary Language Philosophy propagiert wird. Jede alltägliche Sprechhandlung ist anteilig die Praxis eines grammatikalischen Regelsystems und könnte also eine asketische Handlung sein. Fehlt der Drang sich abzusetzen, der Zug nach oben? Sloterdijks ethischer Imperativ droht sich in Anlehnung an diese Interpretation Wittgensteins über die ganze Erde zu verstreuen, und so muss er ein elitäres Bestreben bei Wittgenstein ausmachen. Dies führt im Text über einige biografische Anmerkungen aus dem Leben Wittgensteins zu kurzen Blitzlichtern seiner Theorie.
„Kultur ist eine Ordensregel. Oder setzt doch eine Ordensregel voraus.“3, schreibt Ludwig Wittgenstein in eins seiner Notizhefte 1949. Sloterdijk nimmt diese Notiz als Ausgangspunkt einer Betrachtung von Wittgensteins Spiritualität, seines Kulturverständnisses geprägt durch die Sezessionsbewegungen innerhalb der Wiener Kunstszene seiner Jugend und seiner Rolle als Lehrender.
Die Vokabel „Ordensregel“ in Wittgensteins Gebrauch überrascht nur auf den ersten Blick. Sloterdijk unterstreicht mit verschiedenen Zitaten Wittgensteins Spiritualität. „Ich hätte mein Leben zum Guten wenden sollen und ein Stern werden. Ich bin aber auf der Erde sitzengeblieben und nun gehe ich nach und nach ein.“4, schreibt Wittgenstein seinem Freund Paul Engelmann 1921. Jemand der ein Stern werden wolle, der würde insgeheim der Überzeugung sein, einmal ein solcher gewesen zu sein, so Sloterdijk. Wittgenstein als ehemaliges Lichtwesen, als den weltlichen „Schweinereien“ ferner Beobachter, hat einen Abstieg auf der Jakobsleiter hinter sich, der ihn zum Prototypen eines inversen Akrobaten macht (dem Leichtes schwer, Unmögliches leicht falle). Die Komplexität ist ihm natürlich, während die weltliche Banalität ihn vor Probleme stellt. Ein weiteres Mal an Engelmann: „Wohl fühle ich mich nicht, aber nicht, weil mir meine Schweinerei zu schaffen machte, sondern innerhalb der Schweinerei.“5 Sloterdijk beschreibt Wittgensteins Leben als einen Abstieg auf den befremdlichen Boden der Tatsachen und als anhaltende Askese, nur das Minimum an „unvermeidlichen Lebensvollzügen auszuführen“6 und sich die Luzidität der höchsten Höhen beizubehalten.
Von dieser Warte aus lasse sich das Interesse Wittgensteins an der monastischen Lebensform neu bewerten. Im Gegensatz zum alltäglichen Lebensvollzug wird das Leben im Kloster durch ein Kunstsystem aus nicht weiter zu begründenden Lebensregeln, welche mit größter Bedachtsamkeit befolgt werden, definiert. Man wählt diese Lebensform bewusst und wird nicht wie ein Ferkel hinein gesetzt in den Stall. Die Handlungen sind reduziert auf das Wesentliche und es herrscht Strenge und Wachsamkeit in ihrer Ausführung.
Wittgensteins Kulturbegriff versickert somit nicht in den zahllosen Furchen des Alltäglichen: du musst dich konzentrieren auf ein Leben, das sich absetzt durch klar definierte Regeln. „Kultur im anspruchsvollen Sinne des Wortes entsteht in seinen Augen erst durch die Absonderung der wirklich Kultivierten von der sonstigen sogenannten Kultur, diesem Aggregat aus besseren und schlechteren Gewohnheiten, die in ihrer Summe kaum mehr als die übliche Schweinerei ergeben.“7 Dieses Absetzen ist ein Lebensmotto/Thema, dessen Ursprung Sloterdijk in Wittgensteins Jugend ausmacht. Wittgensteins sezessionistischer Kulturbegriff, so Sloterdijk, sei maßgeblich durch den Kontakt und die Erfahrungen mit der Wiener Kunstszene geprägt. Sein Vater unterstützte als Mäzen die Abspaltung der Künstlergruppe um Gustav Klimt, Koloman Moser und Josef Hoffmann von dem traditionellen und konservativen Wiener Künstlerverein. Ein Jahrhundert stirbt und ein neues bricht an. Die kulturelle Avantgarde ist geprägt durch die Trennung von alten Mustern und Schnörkeln. Eine neue Klarheit wird verfolgt, die sich auch klar abzusetzen sucht. Adolf Loos veröffentlicht sein Werk "Ornament und Verbrechen" und arbeitet an einem neuen Formverständnis, das sich auf einen Funktionalismus beruft. Der sezessionistische Grundtenor sieht erst in einem Abstieg zu den elementaren Formen die Möglichkeit zu einem Aufstieg in der Kultur. Er konzentriert sich auf die primären Formen, die Grammatiken und ihre konstruktiven Prinzipien.
Sloterdijk vergleicht diese Sezession der Wiener Ateliers mit der Gründung der Akademie Platons. Auch sie setzte sich, auch räumlich, von der alltäglichen Kultur Athens ab und suchte hinter ihren Mauern und im angrenzenden Gymnasium (Sportstätte) nach der „guten Form“ des Lebens. Es ist ein Bruch mit dem schicksalhaften Bild der Welt und akademische Praxis, die zu einem neuen Verständnis führt. Unabwendbare Tragik wird zu einem Fehler, der ein „säkularisiertes, revidierbares Verhängnis“8 ist. Für Sloterdijk folgt Wittgenstein in seiner Theorie eben diesem Topos und versteht unter Kultur die Arbeit an den persönlichen und kollektiven Fehlern. Dies lässt Wittgensteins Werk als praktizierten ethisch-ästhetischen Elitismus erscheinen, der keineswegs Anknüpfungspunkte für egalitäre oder relativistische Ansätze bietet. Warum Wittgensteins Sprachspiele nicht als Askesen, die sich von dem gewöhnlichen, alltäglichen Gebrauch der Sprache absetzen, indem sie den Versuch darstellen, die „Lebensformen durch logische Analyse und technische Rekonstruktion“9 zu erklären, rezipiert wurden, lastet Sloterdijk dem lehrenden Wittgenstein an. Er habe seinen Schülern durch seine Zweideutigkeit nur die halbe Lektion offenbart und indem er sich "zwischen Trainer und Messias" nicht habe entscheiden können, sein Verstanden-werden erschwert.
Was bleibt nach diesem Verständnis von Wittgenstein, sind sein Bemühen durch die Sprachspieltheorie auf die „mikro-asketischen Module“10, derer wir uns alltäglich bedienen, aufmerksam zu machen und mit diesem Bewusstsein für Grammatik eine Läuterung ihres Gebrauchs einzuleiten. Aus einem unbewussten Gebrauch von Sprache und Leben sollen sich durch diese Analyse wenige herauskristallisieren, die in die Ordensregel - Kultur übernommen werden können. „Sprachspiel ist alles, der lebende Kristall und die Schweinerei, es kommt auf die Nuancen an.“11 Der Übende muss sich der Übung als Übung bewusst werden um seine Selbstveränderung aktiv zu lenken.
Anmerkungen:
1 Peter Sloterdijk, Du mußt dein Leben ändern (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2009), S. 208
2 Ebd.
3 Ludwig Wittgenstein, Vermischte Bemerkungen (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1994) S. 149
4 Paul Engelmann, Ludwig Wittgenstein. Briefe und Begegnungen (Wien/München: Oldenbourg, 1970) S. 32
5 Allan Janik/Stephen Toulmin, Wittgensteins Wien (München: Pieper, 1984) S. 316
6 Peter Sloterdijk, Du mußt dein Leben ändern (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 2009), S. 212
7 Ebd., S. 216
8 Ebd., S. 221
9 Ebd., S. 223
10 Ebd., S. 228
11 Ebd., S. 230
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Überforderung macht den Meister
Wie sich der Mensch gegen Krisen wappnet: Peter Sloterdijks fulminanter Mammut-Essay "Du musst dein Leben ändern".
Bild: Marmorne Nachbildung eines vorchristlichen Torso im Louvre, wie er Rainer Maria Rilke zu seinem Gedicht »Archaischer Torso Apollos« inspiriert haben könnte. Es endet mit den Worten: »Du musst dein Leben ändern!«.
Von Meike Feßmann (2.4.2009
Wer die 700 Seiten dieses großen philosophischen Werks hinter sich hat, der kann nicht anders als staunen. Über Berg und Tal, in elastischen Sprüngen quer durch die Zeiten und Kulturen, hat man eine Denkbewegung nachvollzogen, deren Ideenreichtum wie ein Attraktor wirkt, auch wenn man gelegentlich in einen Steinbruch begrifflicher und historischer Ableitungen steigen muss. Peter Sloterdijk gilt nicht umsonst als der Tausendsassa unter den Philosophen. Das bescheiden als „Essay“ angekündigte Mammutwerk, von dem man munkelte, es handle von der Wiederkehr der Religion und deren Kritik, ist weit mehr als das.
Unter dem berühmten, Rilke entlehnten Appell „Du musst dein Leben ändern“ gelingt Sloterdijk die erste ernstzunehmende philosophische Auseinandersetzung mit der beginnenden globalen Krise und der Herausforderung, die sie an den Menschen – und man muss wohl bei allem Argwohn gegen den Großbegriff sagen: an die Menschheit – stellt. Dass man diesem Buch anmerkt, dass sein Autor mitten im Schreiben, wahrscheinlich fast in der Zielgeraden, Strategie und Stoßrichtung geändert hat, ist kein Nachteil, im Gegenteil. Seine verblüffende Geistesgegenwart und Zeitgenossenschaft hat damit zu tun, dass Sloterdijk mit dem Appell, den er dem Leser nahe bringt, selbst ernst macht. Wer soll die globale Krise deuten, mag er sich gefragt haben, wenn nicht einer, der behaupten darf, mit seiner „Sphären“-Trilogie am tiefsten über das Phänomen der Globalisierung nachgedacht zu haben.
„Du musst dein Leben ändern!“ ist ein ambivalenter Imperativ. Denn das Versprechen auf ein besseres Leben, das er implizit enthält, ist verbunden mit einer Anstrengung. Wer sich von diesem Imperativ ansprechen lässt, steckt in der Klemme oder gar in einer Krise. Im Kleinen hören wir diese Aufforderung ständig: vom Arzt, der uns nahe legt, unsere Gewohnheiten zu ändern, um länger zu leben, von Fitness-Gurus, die behaupten, man könne mit ihrer Hilfe jung bleiben, von der Kosmetikindustrie, die uns Schönheit in Aussicht stellt, von Coaches, die uns beruflichen Erfolg und steigende Lebensqualität versprechen – und nicht zuletzt von den alten Religionen und neuen Heilslehren, die sich um unsere Seele kümmern und unsere Angst vor dem Tod in Schach halten. Es gehört zu den klugen Kniffen dieses Buches, dass Sloterdijk diese Appelle nicht verächtlich macht, sondern für sein eigenes Projekt zu nutzen versteht.
Was er im ersten Band der „Sphären“ unter dem Stichwort „Blasen“ (1998) als „die Idee der konstitutiven Resonanz“ vorgestellt hat, nämlich den frappierend schlichten Gedanken, dass der Mensch gerade nicht allein in die Welt geworfen ist, wie man spätestens seit Heidegger annahm, sondern von Anfang an mindestens in einem Dual existiert (das zunächst mit der Mutter besetzt ist), wird hier gewissermaßen eingeklammert.
„Du musst dein Leben ändern“ handelt von den Kräften, mit denen Menschen sich selbst formen. Die Fähigkeit und Bereitschaft dazu hält Sloterdijk für eine Tugend. Es ist seine „Vertikalspannung“, die einen Menschen über sich hinauswachsen lässt, die ihn zur Leistung anspornt und zu mehr als bloßem Existieren. Sie ist auch das Einfallstor für jede Form der Transzendenz, die Voraussetzung für die Möglichkeit der Religion.
Über einen Zeitraum von rund 3000 Jahren untersucht Sloterdijk die Ausprägungen dieser Spannung, von der Antike griechischer und römischer Prägung, vom Buddhismus und Hinduismus über die Gründungszeit der monotheistischen Religionen bis hin zur Neuzeit und schließlich zur Moderne. Mit einem geschickten Dreh nennt er diese Formungskräfte „Anthropotechniken“. Er begreift den Menschen als ein Wesen, das zum Üben verdammt ist, und das mittels dieses Übens permanent auf sich einwirkt.
Der Begriff der „Anthropotechniken“ umfasst sowohl somatische als auch spirituelle Methoden, mit deren Hilfe sich Menschen gegen Bedrohungen immunisieren. Neben dem, was wir als biologisches Immunsystem zu begreifen gelernt haben, ein drastischer Einschnitt im Selbstbild des Menschen, lässt sich das Verhältnis zur Welt insgesamt als ein „immunitäres“ auffassen. Der Mensch stählt nicht nur seinen Körper gegen die Bedrohung von Alter und Krankheit, er entwickelt auch „symbolische Immunsysteme und rituelle Hüllen“.
Seine größte Angst ist zweifellos die vor seiner Endlichkeit. In dieser Hinsicht ist die Religion nichts anderes als eine Technik, mit dem Tod umzugehen. Die starke Ausgangsthese des Buches lautet, „dass eine Rückkehr zur Religion ebenso wenig möglich ist wie eine Rückkehr der Religion – aus dem einfachen Grund, weil es keine ,Religion’ und keine ,Religionen’ gibt, sondern nur missverstandene spirituelle Übungssysteme, ob diese nun in Kollektiven (...) praktiziert werden oder in personalisierten Ausführungen – im Wechselspiel mit dem ,eigenen Gott’, bei dem sich die Bürger der Moderne privat versichern.“ Dass Sloterdijk die Generierbarkeit von Religionen ausgerechnet am Beispiel von Scientology darstellt, ist so blasphemisch wie plausibel.
Mit den technischen Errungenschaften des 18. Jahrhunderts entstehen Verhältnisse, die dazu zwingen, Menschsein in Abgrenzung zur Maschine neu zu definieren. Es ist der Beginn des anthropologischen Denkens und das Ende eines Zeitalters, in dem die früheren Lehrmeister noch ernsthaft zur Lösung akuter Probleme beitragen konnten. Sloterdijks neues Buch kann auch als Korrektur der Missverständnisse gelesen werden, die sich aus seiner Rede „Regeln für den Menschenpark“ (1997) ergaben.
Die argumentative Stoßrichtung lässt sich leicht auf den Punkt bringen. Es ist der Unterschied zwischen dem Imperativ „Du musst das Leben ändern!“ und dem völlig anders gearteten „Du musst dein Leben ändern!“, der oft eine Form des Selbst-Appells ist und sich nur an einen Einzelnen richtet. Vor allem ist er nicht biologistisch. Neben einem radikal umgedeuteten Wittgenstein unterzieht Sloterdijk vor allem Nietzsche und den sehr frühen und späten Foucault einer Neulektüre.
Nietzsche ist für ihn der einzige Philosoph, der die „Vertikalspannung“ des Menschen, seine Bereitschaft nach Höherem und Unmöglichem zu streben, auch nach dem Ende der Metaphysik und dem Tod Gottes ins Zentrum seines Denkens gestellt hat. Von ihm übernimmt er die Transformation der Metaphysik in eine „Allgemeine Immunologie“. In Foucault wiederum erkennt er den Gewährsmann, dass sich die antiken Askesen in eine moderne Form der „Sorge um sich“ übersetzen lassen. Wie man dem Dionysiker „einen Stoiker einpflanzt“, wie man also Leidenschaften pflegen kann, indem man sie einem Regelwerk unterwirft, das kann man wohl nirgendwo so genau erkunden wie in Foucaults posthum edierten Schriften zur Lebenskunst. Akrobatik, Artistik, Askese sind die Begriffe, die immer wieder fallen und ergänzt werden durch Künstlertum und Trainingswissenschaft.
All dies sind Praktiken im Zustand der Absonderung: Ein Individuum beschäftigt sich mit sich selbst. Sloterdijk plädiert für eine Rehabilitierung des „Egoismus“ und zieht damit die Lehre aus den gescheiterten Kollektiv-Phantasmen des 20. Jahrhunderts. Wer die Welt ändern will, statt bei sich selbst anzufangen, läuft Gefahr, im Namen einer höheren Idee zum Massenmord aufzurufen. Nach den Erfahrungen des Stalinismus und Faschismus ist dieser Weg verbaut. Dabei könnte man es bewenden lassen. Doch die Bedrohung des Planeten ist für den Globalisierungstheoretiker Sloterdijk eine Herausforderung, die er nicht ignorieren kann.
In der globalen Krise erkennt er die „einzige Autorität“, die heute sagen darf: „Du musst dein Leben ändern!“ Zustimmend zitiert er Hans Jonas, der Kants kategorischen Imperativ in einen „ökologischen Imperativ“ umformuliert hat: „Handle so, dass die Wirkungen deines Handelns verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“ Dass dies eine Überforderung ist, gibt Sloterdijk unumwunden zu. Kein Wunder, schließlich hat er 700 Seiten lang für eine Ethik des Sichforderns plädiert, die auch vor Überforderung nicht zurückschreckt.
Ihre erste Bewährungsprobe kann sie nun gleich am größten Beispiel geben. Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit lässt sich Immunität nicht mehr als Vorteil des Eigenen gegenüber dem Fremden vorstellen. Tatsächlich müsste es für die Mitglieder der Weltgesellschaft um so etwas wie um eine „Ko-Immunitätsstruktur“ gehen. Bis sie gefunden und entwickelt ist, kann sich jeder Einzelne darin üben, „den Daueraufenthalt im Überforderungsfeld enormer Unwahrscheinlichkeiten“ auszuhalten. Peter Sloterdijks neuester Geniestreich gibt dafür einen exquisiten Leitfaden ab.
Peter Sloterdijk: Du musst dein Leben ändern. Über Anthropotechnik. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 714 Seiten, 24,80 €.
(Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 02.04.2009)
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Montag, Oktober 26, 2009
EINSTIEG
WS 2009 UNIVERSITÄT KONSTANZ Philosophie
V.M. Roth „AnthropoTechnik“ , nach Peter Sloterdijk 2009
MO 16 -20 D431
26.OKT:
Slot 52-68, 173 -207 ( I1), Nietzsche 1 / Paul
2.NOV:
Slot I2, 208 -232 Wittgenstein / Leon
9.NOV:
Wilhelm Kamlah
16.NOV:
Radolfzell, Galerie 3ART: Himmelsleiter, cf.Slot 198-203 / Mike
(Gäste willkommen)
23.NOV:
Binswanger / Foucault Slot 234-55 „Haus des Wissens“ / Jonathan
30.NOV:
Heraklit / Heidegger Slot I3 und I4/ Chris
7.DEZ:
C U R H O M O ARTISTA
Warum Menschen Kunsten Slot I5a 298ff /
Diogenes / Nietzsche / Jaspers
14. DEZ:
A R S MORIENDI Sokrates / Jesus / Egon
SterbensKunst Slot I5b 315 -325
Dieses sind vorüberlegte Themen, den Teilnehmenden steht es frei, sich für selbst überlegte Themen stark zu machen! Insbesondere die Passagen des Teils II werden Stoff liefern für den jeweils 2. Teil der 4 stündig durchgeführten Sitzungen.
Es sind auch noch einige Plätze frei in D 431 ... (Stand: 19.Okt)
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Mittwoch, September 30, 2009
Wintersemester
WS 2009 UNIVERSITÄT KONSTANZ Philosophie
V.M. Roth „AnthropoTechnik“ , nach Peter Sloterdijk 2009
MO 16 -20 D431
19.OKT:
Vorbesprechung
Einstieg mit Sloterdijks Antwort auf Heideggers Humanismus-Brief
Siehe: Sonderdruck edition suhrkamp: regeln für den menschenpark, rund um p. 38,
wo auch der Bogen zu Zarathustras "Was bedeuten diese Häuser?"-Frage geschlagen wird -
und des Menschen bestem Haustier. Nietzsche und Slot wittern "einen Raum, in dem unvermeidliche Kämpfe über Richtungen der Menschenzüchtung beginnen werden"...
"der Diskurs über die Differenz und Verschränkung von Zähmung und Züchtung, ja überhaupt der Hinweis auf die Dämmerung eines Bewußtseins von Menschenproduktionen und allgemeiner gesprochen: von Anthropotechniken -" ... wobei "eher mit einer Zucht ohne Züchter, also einer subjektlosen biokulturellen Drift zu rechnen wäre" - "nach Abzug der überspannten und argwöhnisch-antiklerikalen Momente bleibt von Nietzsches Idee ein hinreichend harter Kern zurück, um ein späteres Nachdenken über die Humanität jenseits der humanistischen (?) Harmlosigkeit zu provozieren." Vgl. auch Uli Fricker, SÜDKURIER 20.10.09: Gutmenschen (1941/ Goebbels über kirchliche Kritiker der "Euthanasie"-Tötungsaktion von Behinderten). Menschenpark p. 30: "Tatsächlich deutet Heidegger die geschichtliche Welt Europas als das Theater der militanten Humanismen; sie ist das Feld, auf dem die menschliche Subjektivität ihre Machtergreifung über alles Seiende mit schicksalhafter Folgerichtigkeit ausagiert. Unter dieser Perspektive muss sich der Humanismus als natürlicher Komplize aller nur möglichen Greuel anbieten, die im Namen menschlichen Wohls begangen werden können... Bolschewismus, Faschismus und Amerikanismus - aus Heideggers Sicht lediglich 3 Varianten derselben anthropozentrischen Gewalt und Kandidaturen für eine humanitär verbrämte Weltherrschaft" ...
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Dieses sind vorüberlegte Themen, den Teilnehmenden steht es frei, sich für selbst überlegte Themen stark zu machen! Insbesondere die Passagen des Teils II werden Stoff liefern für den jeweils 2. Teil der 4 stündig durchgeführten Sitzungen.
Es sind auch noch einige Plätze frei in D 431 ... (Stand: 19.Okt)
Im Gespräch: Peter Sloterdijk
Uns hilft kein Gott
23. März 2009 Ein kalter Frühlingstag in Wien. Peter Sloterdijk wohnt gleich neben dem Stephansdom. „Wenn Sie einen Hut dabeihätten“, sagt er, „könnten Sie ihn an meiner Adolf-Loos-Garderobe aufhängen. Gucken Sie mal!“ Auf seinem Schreibtisch liegen die druckfrischen Exemplare seines neuen Buchs „Du musst dein Leben ändern“, dessen Titel er von Rilke geliehen hat (Suhrkamp, 714 Seiten, 24,80 Euro). Es ist ein Essay über den Menschen und ein großer Warnruf: Wir können nicht mehr so weitermachen wie bisher. Wir müssen uns selbst wieder zu Höchstleistungen antreiben.
Herr Sloterdijk, warum müssen wir unser Leben ändern?
Die globale Krise selbst diktiert uns den Wandel. Wir müssen unser Leben entscheidend ändern, weil wir andernfalls an einem ökonomischen und ökologischen Selbstauslöschungsprogramm teilnehmen. Schon in der älteren Geschichte der Menschheit gab es strenge Autoritäten, Götter, Gurus und Lehrmeister, die ihre Gefolgschaften mit enormen Forderungen beunruhigten. Jetzt haben wir es mit einer ungöttlichen Göttin namens Krise zu tun, die von uns verlangt, neue Lebensformen zu entwickeln. Üblicherweise tragen menschliche Gruppen ja ein Projekt der Dauer in sich, einen Willen zum Fortbestand. Das Projekt der Dauerhaftigkeit ist mit dem aktuellen Modus Vivendi aber strikt unverträglich. Unglaubliche Dinge sind es, die da vorgehen!
Was genau meinen Sie?
Dass zum Beispiel der Staat auf dem Gipfel seiner Hilflosigkeit laut darüber nachdenkt, seinen Bürgern Geld zu schenken, damit sie einkaufen gehen können. Unfassbar! Wir müssen offensichtlich dazu ermahnt werden, das einmal erreichte Verschwendungsniveau um jeden Preis zu halten. Mir klingt noch im Ohr, wie Edmund Stoiber anlässlich einer früheren Krise zu den Münchnern sagte: „Schenken Sie Ihrer Frau doch mal einen Pelzmantel!“ Das war seinerzeit vor Weihnachten, Rieger-Pelze, das große Pelz-Haus in München, steckte in der Krise, und als Anhänger des bayerischen Amigo-Systems dachte der Ministerpräsident, ein Freund des Hauses, fast wie ein alter 68er: das Private ist zugleich das Politische. Die aktuellen Vorgänge zur Rettung der Verschwendungswirtschaft sind kaum weniger unfassbar. Über Nacht sind wir in ein riesiges ökonomisch-anthropologisches Seminar hineinkatapultiert worden, wo man darüber nachdenkt, wie es mit unserem Welt- und Wirklichkeitsverbrauch weitergehen kann.
Wer soll sein Leben ändern? Meinen Sie wirklich alle? Oder meinen Sie eine bestimmte „Elite“?
Ich mache mit meinem Buch erstmals den Versuch, die Gattungsbezeichnung von Nietzsches „Zarathustra“: „Ein Buch für alle und für keinen“ wörtlich zu nehmen. „Für keinen“ heißt es, weil es die Eliten, an die das Buch sich wenden könnte, noch nicht gibt. Gleichzeitig heißt es „für alle“, weil ein neues Auswahlverfahren begonnen hat, in dem festgestellt wird, wer sich von der Krise ansprechen lässt. Die Menschheit wird sich teilen und teilt sich bereits vor unseren Augen: In die, die weitermachen wie bisher, und jene, die bereit sind, eine Wende zu vollziehen.
Nehmen wir mal ein Beispiel: Peer Steinbrück. Was müsste der ändern?
Er müsste als Erstes verstehen, dass es nicht seine Aufgabe sein kann, Arbeitsplätze an Bord der „Titanic“ zu sichern. Er sollte sich ein wenig mehr mit Eisbergkunde auseinandersetzen. Arbeitsplätze an Bord der „Titanic“ gibt es nur, solange das Schiffchen fährt. Übrigens möchte niemand gern in Steinbrücks Haut stecken. Er sitzt auf dem Stuhl, dessen Inhaber unvermeidlich das unglückliche Bewusstsein bekommt. Er weiß wie sonst keiner, dass das Richtige unfinanzierbar ist.
Was raten Sie ihm?
Zu bedenken: Alles, was von jetzt an nicht hinreichend zukunftshellsichtig angelegt ist, wird eines Tages als Beitrag zu der Kollision mit dem finalen Eisberg wahrgenommen werden. Er müsste sich und seine Kollegen in aller Welt dazu bringen, an der Schaffung von Gremien mitzuwirken, die der Politik die Fähigkeit zurückgeben, luzide Langzeitprojekte zu verfolgen. Die Politik muss sich von der Wahlperiodenpanik emanzipieren.
Und was kann ich als Journalistin tun?
Sie könnten sich gegen den Zwang auflehnen, von Dingen zu reden, auf die es nicht ankommt. Täglich werden Journalisten an die Front der Ablenkungsthemen gerufen. In Österreich hat man soeben eine erstaunlich kurze Fritzl-Woche abgewickelt, und man weiß gar nicht, wie man der österreichischen Justiz dafür danken soll, dass sie es fertiggebracht hat, den Prozess in dreieinhalb Tagen mit einem lapidaren Urteil abzuschließen.
Sie schimpfen ja gar nicht auf Österreich!
Eine Unterlassung dieser Art passiert mir nicht jeden Tag. Und doch, die österreichischen Behörden haben dem Rest der Welt und nicht zuletzt sich selbst endlose Debatten erspart. Wenn man sich vorstellt, was unsere Presse im Bündnis mit unserer Justiz veranstaltet hätte! Man hätte monatelang ein Fest der überflüssigen Nachrichten abgefeiert. Justiztheatralisch und skandaljournalistisch hätte man viel mehr herausgeholt und dabei die parasitäre Funktion der Presse voll ausgespielt: die Ablenkung vom Wesentlichen, die längst zur Hauptfunktion geworden ist.
Wie sehen Sie sich selbst? Als Trainer zur Weltverbesserung oder als postmodernen Guru?
Na ja. Philosophen sind Menschen mit einem starken Selbstgespräch. Auf der einen Seite finden sie in sich einen Zeitgenossen, der die allen Menschen gemeinsame Ratlosigkeit angesichts der Weltlage teilt. Auf der anderen Seite gibt es in ihnen eine Teilpersönlichkeit, die behauptet, sie habe etwas gelernt und wisse Rat. Die zweite Figur, die bei mir auf dem Ratgeberstuhl sitzt, ist im Moment vielleicht ein bisschen imposanter geworden. Ich habe in die Weltlage hineingehorcht und meine aktuellen Wahrnehmungen mit dem allgemeinen Wissen über die Evolution der Hochkulturen in den letzten drei Jahrtausenden verknüpft. Daraus ergeben sich einige dringende Mitteilungen.
Nicht jeder will diese dringenden Mitteilungen hören. In Ihrem Buch werfen Sie den Intellektuellen vor, dass sie Leute, die ernsthafte Warnungen aussprechen, gleich als Wichtigtuer abtun. Kaum einer, sagen Sie, lässt das Ausmaß der Bedrohung an sich heran. Sind das für Sie Zyniker, oder sind sie einfach nur naiv?
Im gegebenen Fall ist die Alternative zwischen zynisch und naiv nicht komplett. Als ich vor einem Vierteljahrhundert „Die Kritik der zynischen Vernunft“ schrieb, unternahm ich den Versuch, die ganze Typologie des intellektuellen Feldes in diese Alternative zu zwängen: Entweder sind die Leute naiv, dann sind sie den Problemen zu nahe, oder sie sind zynisch, dann sind sie den Problemen gegenüber zu gleichgültig. Heute brauchen wir eine dritte Position. Ich spreche von Leuten, die weder zynisch noch naiv sind.
Sie meinen Leute, die alles dekonstruieren, um sich die Welt vom Leib zu halten?
Der Dekonstruktivismus ist nicht zuletzt deshalb plausibel geworden, weil die Moderne zu viele fatal naive Formen von Weltretterei hervorgebracht hat. Die Sozialkatastrophen des zwanzigsten Jahrhunderts sind aus Ideologien entsprungen, formuliert von irgendwelchen Halberleuchteten, die mit großer prophetischer Gebärde das Welträtsel lösten. Ob man nun dem Privateigentum an allem Schuld gab oder dem zersetzenden Judentum: Gegenüber verführerischen Primitivformeln war das dekonstruktive Verhalten allemal gerechtfertigt.
Aber es reicht heute nicht mehr?
Richard Rorty hat seine Kollegen in den philosophischen Departments und Humanwissenschaften einmal etwas bitter als „detached cosmopolitan spectators“ bezeichnet. Er meinte damit: Sie reden von der Krise wie von einer Operninszenierung. Allenfalls blicken sie mit dem Opernglas auf die Katastrophen an der Peripherie, ohne zu begreifen, dass viele Desaster, die sich heute ereignen, nicht nur ihren eigenen Unheilsgehalt haben, sondern auch Zeichenqualität für unsere Zukunft besitzen.
Was heißt „Zeichenqualität“?
Hans Jonas und Carl Friedrich von Weizsäcker haben schon in den achtziger Jahren von „Warnkatastrophen“ gesprochen. Gemeint war damit: Die Menschheit bekommt Warnungen aus dem Realen zugespielt, die müssen entschlüsselt und ins Verhalten von Individuen und Institutionen übersetzt werden. Genau das kann derjenige nicht tun, der sich mit der Rolle des losgelösten kosmopolitischen Theaterbesuchers begnügt.
Bietet so ein Opernglas nicht auch Schutz? Wenn man sich mit dem Ausmaß der realen Bedrohung tatsächlich konfrontiert, kann einen das auch handlungsunfähig machen, im Extremfall in den Selbstmord treiben. Menschen sind schutzbedürftige Wesen.
Seit dreitausend Jahren leben die Avantgarden der Menschheit in dieser Situation: Dass sie Übergewaltiges sehen, und die Intelligenz zittert. Mir scheint, der Begriff „Gott“ war eines der stärksten Schutzschilde, hinter die man sich ein Weltalter lang zurückzog, um dem Ungeheuren standzuhalten. Sähe man die Außenseite des Schildes, würde man zur Salzsäule erstarren. Erinnern Sie sich an den Schild des Perseus, in dessen Mitte das grauenerregende Haupt der Gorgo eingefügt war. Der Held steht aber auf der Innenseite des Schilds und kehrt den Schrecken nach außen. Dieses Bild beschreibt recht gut die Situation der menschlichen Intelligenz, wenn sie sich im Handgemenge mit dem Realen zu sichern versucht.
Also müssen wir aus der falschen Sicherheit raus und gefährlicher leben?
Vor allem gefahrenbewusster denken. Was bevorsteht, ist eine Art von gorgonischer Aufklärung. Wir müssen uns dafür entscheiden, ein globales Immunsystem aufzubauen, das uns eine gemeinsame Überlebensperspektive eröffnet. Wir haben jetzt an einem Schutzschild für die Erde, für die Menschheit und für ihre technischen Umgebungen zu arbeiten. Dazu wird ein globales Ökomanagement nötig. Ich nenne das Ko-Immunismus.
Ein Wort, mit dem Sie, wie an anderen Stellen in Ihrem Buch, auf den Kommunismus anspielen. Haben Sie mit „Du musst dein Leben ändern“ ein linkes Manifest geschrieben?
Was mir vorschwebt, ist kein neo-kommunistisches Projekt. Der Kommunismus versuchte ja wie ein atheistischer Islam, eine Eroberungsreligion zu werden und in einer stürmischen Ausbreitungsbewegung alle industrialisierten Völker in seinen Bann zu ziehen. Was wollten die Kommunisten wirklich? Politische Machtergreifungen, um extreme Erziehungsdiktaturen für unreife Populationen einzusetzen. Vor Wiederholungen wird gewarnt. Die Bewegung, die in meinem Buch postuliert wird, hat keine Zwangsbekehrung zum Ziel. Wir müssen alles mit Freiwilligkeit auf der Basis guten Rates erreichen - oder mit „betreuter Freiwilligkeit“, wenn Sie wollen. Darum rede ich durchwegs vom übenden Leben und von selbstformender Selbstverbesserung.
Sie haben ein ziemlich positives Menschenbild.
Ich gehe von einer starken ontologischen These aus: Intelligenz gibt es. Aus ihr folgt eine starke ethische These: Intelligenz existiert in positiver Korrelation mit dem Willen zur Selbstbewahrung. Seit Adorno wissen wir, dass diese Korrelation in Frage gestellt werden kann - das war die suggestivste Idee der älteren Kritischen Theorie. Sie ging von der Beobachtung aus, dass die Intelligenz sich in der Richtung irren kann und Selbstzerstörung mit Selbsterhaltung verwechselt. Dies gehört zu den unvergesslichen Lektionen des zwanzigsten Jahrhunderts. Was jetzt auf der Tagesordnung steht, ist eine affirmative Theorie der globalen Ko-Immunität. Sie begründet und orientiert die vielfältigen Praktiken des gemeinsamen Überlebens.
Haben Sie eine Utopie entworfen?
Mir stehen die Haare zu Berge, wenn Sie behaupten, das sei utopisch! Wenn Sie recht hätten, stünde ich in der Tradition der verrückten Weltverbesserer. Ich dachte eher, ich hätte Pragmatismus gezeigt, zugegebenermaßen mit einem Zusatz an prophetischer Unruhe.
Das Gespräch führte Julia Encke.
Text: F.A.S. (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung)
Mo 16 - 19 c.t. Uhr Uni Konstanz, Raum D 431 WS 09
Mit dem Zentralbegriff ÜBUNG (griechisch ἄσκησις ) wirbt Peter Sloterdijk für eine sowohl theoretische wie praktische Philosophie betreffende neue Sicht. (Für mich gibt es darin Anklänge an systematische Fundierung in Handlungsschemata bei Wilhelm Kamlah.) In Anknüpfung und Abgrenzung vom vorausgehenden „linguistic turn“ proklamiert Sloterdijk eine ANTHROPOTECHNISCHE WENDE: es geht um „ein Leben in Übungen“. Es sei an der Zeit, den Menschen als das Lebewesen zu enthüllen, das aus der Wiederholung entsteht.“
Siehe auch weiterhin: feigenblaetter.blogspot.com
Literatur: Peter Sloterdijk, Über Anthropotechnik (Rilke:"Du musst Dein Leben ändern!), Ffm 2009; Wilhelm Kamlah, Von der Sprache zur Vernunft, Mannheim 1975 & Philosophische Anthropologie 1984.
V.M. Roth „AnthropoTechnik“ , nach Peter Sloterdijk 2009
MO 16 -20 D431
19.OKT:
Vorbesprechung
Einstieg mit Sloterdijks Antwort auf Heideggers Humanismus-Brief
Siehe: Sonderdruck edition suhrkamp: regeln für den menschenpark, rund um p. 38,
wo auch der Bogen zu Zarathustras "Was bedeuten diese Häuser?"-Frage geschlagen wird -
und des Menschen bestem Haustier. Nietzsche und Slot wittern "einen Raum, in dem unvermeidliche Kämpfe über Richtungen der Menschenzüchtung beginnen werden"...
"der Diskurs über die Differenz und Verschränkung von Zähmung und Züchtung, ja überhaupt der Hinweis auf die Dämmerung eines Bewußtseins von Menschenproduktionen und allgemeiner gesprochen: von Anthropotechniken -" ... wobei "eher mit einer Zucht ohne Züchter, also einer subjektlosen biokulturellen Drift zu rechnen wäre" - "nach Abzug der überspannten und argwöhnisch-antiklerikalen Momente bleibt von Nietzsches Idee ein hinreichend harter Kern zurück, um ein späteres Nachdenken über die Humanität jenseits der humanistischen (?) Harmlosigkeit zu provozieren." Vgl. auch Uli Fricker, SÜDKURIER 20.10.09: Gutmenschen (1941/ Goebbels über kirchliche Kritiker der "Euthanasie"-Tötungsaktion von Behinderten). Menschenpark p. 30: "Tatsächlich deutet Heidegger die geschichtliche Welt Europas als das Theater der militanten Humanismen; sie ist das Feld, auf dem die menschliche Subjektivität ihre Machtergreifung über alles Seiende mit schicksalhafter Folgerichtigkeit ausagiert. Unter dieser Perspektive muss sich der Humanismus als natürlicher Komplize aller nur möglichen Greuel anbieten, die im Namen menschlichen Wohls begangen werden können... Bolschewismus, Faschismus und Amerikanismus - aus Heideggers Sicht lediglich 3 Varianten derselben anthropozentrischen Gewalt und Kandidaturen für eine humanitär verbrämte Weltherrschaft" ...
26.OKT:
Slot 52-68, 173 -207 ( I1), Nietzsche 1 / Paul
2.NOV:
Slot I2, 208 -232 Wittgenstein / Leon
9.NOV:
Wilhelm Kamlah
16.NOV:
Radolfzell, Galerie 3ART: Himmelsleiter, cf.Slot 198-203 (Gäste willkommen) / Mike
23.NOV:
Binswanger / Foucault Slot 234-55 „Haus des Wissens“ / Jonathan
30.NOV:
Heraklit / Heidegger Slot I3 und I4/ Chris
7.DEZ:
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14. DEZ:
A R S MORIENDI Sokrates / Jesus / Egon
SterbensKunst Slot I5b 315 -325
Dieses sind vorüberlegte Themen, den Teilnehmenden steht es frei, sich für selbst überlegte Themen stark zu machen! Insbesondere die Passagen des Teils II werden Stoff liefern für den jeweils 2. Teil der 4 stündig durchgeführten Sitzungen.
Es sind auch noch einige Plätze frei in D 431 ... (Stand: 19.Okt)
Im Gespräch: Peter Sloterdijk
Uns hilft kein Gott
23. März 2009 Ein kalter Frühlingstag in Wien. Peter Sloterdijk wohnt gleich neben dem Stephansdom. „Wenn Sie einen Hut dabeihätten“, sagt er, „könnten Sie ihn an meiner Adolf-Loos-Garderobe aufhängen. Gucken Sie mal!“ Auf seinem Schreibtisch liegen die druckfrischen Exemplare seines neuen Buchs „Du musst dein Leben ändern“, dessen Titel er von Rilke geliehen hat (Suhrkamp, 714 Seiten, 24,80 Euro). Es ist ein Essay über den Menschen und ein großer Warnruf: Wir können nicht mehr so weitermachen wie bisher. Wir müssen uns selbst wieder zu Höchstleistungen antreiben.
Herr Sloterdijk, warum müssen wir unser Leben ändern?
Die globale Krise selbst diktiert uns den Wandel. Wir müssen unser Leben entscheidend ändern, weil wir andernfalls an einem ökonomischen und ökologischen Selbstauslöschungsprogramm teilnehmen. Schon in der älteren Geschichte der Menschheit gab es strenge Autoritäten, Götter, Gurus und Lehrmeister, die ihre Gefolgschaften mit enormen Forderungen beunruhigten. Jetzt haben wir es mit einer ungöttlichen Göttin namens Krise zu tun, die von uns verlangt, neue Lebensformen zu entwickeln. Üblicherweise tragen menschliche Gruppen ja ein Projekt der Dauer in sich, einen Willen zum Fortbestand. Das Projekt der Dauerhaftigkeit ist mit dem aktuellen Modus Vivendi aber strikt unverträglich. Unglaubliche Dinge sind es, die da vorgehen!
Was genau meinen Sie?
Dass zum Beispiel der Staat auf dem Gipfel seiner Hilflosigkeit laut darüber nachdenkt, seinen Bürgern Geld zu schenken, damit sie einkaufen gehen können. Unfassbar! Wir müssen offensichtlich dazu ermahnt werden, das einmal erreichte Verschwendungsniveau um jeden Preis zu halten. Mir klingt noch im Ohr, wie Edmund Stoiber anlässlich einer früheren Krise zu den Münchnern sagte: „Schenken Sie Ihrer Frau doch mal einen Pelzmantel!“ Das war seinerzeit vor Weihnachten, Rieger-Pelze, das große Pelz-Haus in München, steckte in der Krise, und als Anhänger des bayerischen Amigo-Systems dachte der Ministerpräsident, ein Freund des Hauses, fast wie ein alter 68er: das Private ist zugleich das Politische. Die aktuellen Vorgänge zur Rettung der Verschwendungswirtschaft sind kaum weniger unfassbar. Über Nacht sind wir in ein riesiges ökonomisch-anthropologisches Seminar hineinkatapultiert worden, wo man darüber nachdenkt, wie es mit unserem Welt- und Wirklichkeitsverbrauch weitergehen kann.
Wer soll sein Leben ändern? Meinen Sie wirklich alle? Oder meinen Sie eine bestimmte „Elite“?
Ich mache mit meinem Buch erstmals den Versuch, die Gattungsbezeichnung von Nietzsches „Zarathustra“: „Ein Buch für alle und für keinen“ wörtlich zu nehmen. „Für keinen“ heißt es, weil es die Eliten, an die das Buch sich wenden könnte, noch nicht gibt. Gleichzeitig heißt es „für alle“, weil ein neues Auswahlverfahren begonnen hat, in dem festgestellt wird, wer sich von der Krise ansprechen lässt. Die Menschheit wird sich teilen und teilt sich bereits vor unseren Augen: In die, die weitermachen wie bisher, und jene, die bereit sind, eine Wende zu vollziehen.
Nehmen wir mal ein Beispiel: Peer Steinbrück. Was müsste der ändern?
Er müsste als Erstes verstehen, dass es nicht seine Aufgabe sein kann, Arbeitsplätze an Bord der „Titanic“ zu sichern. Er sollte sich ein wenig mehr mit Eisbergkunde auseinandersetzen. Arbeitsplätze an Bord der „Titanic“ gibt es nur, solange das Schiffchen fährt. Übrigens möchte niemand gern in Steinbrücks Haut stecken. Er sitzt auf dem Stuhl, dessen Inhaber unvermeidlich das unglückliche Bewusstsein bekommt. Er weiß wie sonst keiner, dass das Richtige unfinanzierbar ist.
Was raten Sie ihm?
Zu bedenken: Alles, was von jetzt an nicht hinreichend zukunftshellsichtig angelegt ist, wird eines Tages als Beitrag zu der Kollision mit dem finalen Eisberg wahrgenommen werden. Er müsste sich und seine Kollegen in aller Welt dazu bringen, an der Schaffung von Gremien mitzuwirken, die der Politik die Fähigkeit zurückgeben, luzide Langzeitprojekte zu verfolgen. Die Politik muss sich von der Wahlperiodenpanik emanzipieren.
Und was kann ich als Journalistin tun?
Sie könnten sich gegen den Zwang auflehnen, von Dingen zu reden, auf die es nicht ankommt. Täglich werden Journalisten an die Front der Ablenkungsthemen gerufen. In Österreich hat man soeben eine erstaunlich kurze Fritzl-Woche abgewickelt, und man weiß gar nicht, wie man der österreichischen Justiz dafür danken soll, dass sie es fertiggebracht hat, den Prozess in dreieinhalb Tagen mit einem lapidaren Urteil abzuschließen.
Sie schimpfen ja gar nicht auf Österreich!
Eine Unterlassung dieser Art passiert mir nicht jeden Tag. Und doch, die österreichischen Behörden haben dem Rest der Welt und nicht zuletzt sich selbst endlose Debatten erspart. Wenn man sich vorstellt, was unsere Presse im Bündnis mit unserer Justiz veranstaltet hätte! Man hätte monatelang ein Fest der überflüssigen Nachrichten abgefeiert. Justiztheatralisch und skandaljournalistisch hätte man viel mehr herausgeholt und dabei die parasitäre Funktion der Presse voll ausgespielt: die Ablenkung vom Wesentlichen, die längst zur Hauptfunktion geworden ist.
Wie sehen Sie sich selbst? Als Trainer zur Weltverbesserung oder als postmodernen Guru?
Na ja. Philosophen sind Menschen mit einem starken Selbstgespräch. Auf der einen Seite finden sie in sich einen Zeitgenossen, der die allen Menschen gemeinsame Ratlosigkeit angesichts der Weltlage teilt. Auf der anderen Seite gibt es in ihnen eine Teilpersönlichkeit, die behauptet, sie habe etwas gelernt und wisse Rat. Die zweite Figur, die bei mir auf dem Ratgeberstuhl sitzt, ist im Moment vielleicht ein bisschen imposanter geworden. Ich habe in die Weltlage hineingehorcht und meine aktuellen Wahrnehmungen mit dem allgemeinen Wissen über die Evolution der Hochkulturen in den letzten drei Jahrtausenden verknüpft. Daraus ergeben sich einige dringende Mitteilungen.
Nicht jeder will diese dringenden Mitteilungen hören. In Ihrem Buch werfen Sie den Intellektuellen vor, dass sie Leute, die ernsthafte Warnungen aussprechen, gleich als Wichtigtuer abtun. Kaum einer, sagen Sie, lässt das Ausmaß der Bedrohung an sich heran. Sind das für Sie Zyniker, oder sind sie einfach nur naiv?
Im gegebenen Fall ist die Alternative zwischen zynisch und naiv nicht komplett. Als ich vor einem Vierteljahrhundert „Die Kritik der zynischen Vernunft“ schrieb, unternahm ich den Versuch, die ganze Typologie des intellektuellen Feldes in diese Alternative zu zwängen: Entweder sind die Leute naiv, dann sind sie den Problemen zu nahe, oder sie sind zynisch, dann sind sie den Problemen gegenüber zu gleichgültig. Heute brauchen wir eine dritte Position. Ich spreche von Leuten, die weder zynisch noch naiv sind.
Sie meinen Leute, die alles dekonstruieren, um sich die Welt vom Leib zu halten?
Der Dekonstruktivismus ist nicht zuletzt deshalb plausibel geworden, weil die Moderne zu viele fatal naive Formen von Weltretterei hervorgebracht hat. Die Sozialkatastrophen des zwanzigsten Jahrhunderts sind aus Ideologien entsprungen, formuliert von irgendwelchen Halberleuchteten, die mit großer prophetischer Gebärde das Welträtsel lösten. Ob man nun dem Privateigentum an allem Schuld gab oder dem zersetzenden Judentum: Gegenüber verführerischen Primitivformeln war das dekonstruktive Verhalten allemal gerechtfertigt.
Aber es reicht heute nicht mehr?
Richard Rorty hat seine Kollegen in den philosophischen Departments und Humanwissenschaften einmal etwas bitter als „detached cosmopolitan spectators“ bezeichnet. Er meinte damit: Sie reden von der Krise wie von einer Operninszenierung. Allenfalls blicken sie mit dem Opernglas auf die Katastrophen an der Peripherie, ohne zu begreifen, dass viele Desaster, die sich heute ereignen, nicht nur ihren eigenen Unheilsgehalt haben, sondern auch Zeichenqualität für unsere Zukunft besitzen.
Was heißt „Zeichenqualität“?
Hans Jonas und Carl Friedrich von Weizsäcker haben schon in den achtziger Jahren von „Warnkatastrophen“ gesprochen. Gemeint war damit: Die Menschheit bekommt Warnungen aus dem Realen zugespielt, die müssen entschlüsselt und ins Verhalten von Individuen und Institutionen übersetzt werden. Genau das kann derjenige nicht tun, der sich mit der Rolle des losgelösten kosmopolitischen Theaterbesuchers begnügt.
Bietet so ein Opernglas nicht auch Schutz? Wenn man sich mit dem Ausmaß der realen Bedrohung tatsächlich konfrontiert, kann einen das auch handlungsunfähig machen, im Extremfall in den Selbstmord treiben. Menschen sind schutzbedürftige Wesen.
Seit dreitausend Jahren leben die Avantgarden der Menschheit in dieser Situation: Dass sie Übergewaltiges sehen, und die Intelligenz zittert. Mir scheint, der Begriff „Gott“ war eines der stärksten Schutzschilde, hinter die man sich ein Weltalter lang zurückzog, um dem Ungeheuren standzuhalten. Sähe man die Außenseite des Schildes, würde man zur Salzsäule erstarren. Erinnern Sie sich an den Schild des Perseus, in dessen Mitte das grauenerregende Haupt der Gorgo eingefügt war. Der Held steht aber auf der Innenseite des Schilds und kehrt den Schrecken nach außen. Dieses Bild beschreibt recht gut die Situation der menschlichen Intelligenz, wenn sie sich im Handgemenge mit dem Realen zu sichern versucht.
Also müssen wir aus der falschen Sicherheit raus und gefährlicher leben?
Vor allem gefahrenbewusster denken. Was bevorsteht, ist eine Art von gorgonischer Aufklärung. Wir müssen uns dafür entscheiden, ein globales Immunsystem aufzubauen, das uns eine gemeinsame Überlebensperspektive eröffnet. Wir haben jetzt an einem Schutzschild für die Erde, für die Menschheit und für ihre technischen Umgebungen zu arbeiten. Dazu wird ein globales Ökomanagement nötig. Ich nenne das Ko-Immunismus.
Ein Wort, mit dem Sie, wie an anderen Stellen in Ihrem Buch, auf den Kommunismus anspielen. Haben Sie mit „Du musst dein Leben ändern“ ein linkes Manifest geschrieben?
Was mir vorschwebt, ist kein neo-kommunistisches Projekt. Der Kommunismus versuchte ja wie ein atheistischer Islam, eine Eroberungsreligion zu werden und in einer stürmischen Ausbreitungsbewegung alle industrialisierten Völker in seinen Bann zu ziehen. Was wollten die Kommunisten wirklich? Politische Machtergreifungen, um extreme Erziehungsdiktaturen für unreife Populationen einzusetzen. Vor Wiederholungen wird gewarnt. Die Bewegung, die in meinem Buch postuliert wird, hat keine Zwangsbekehrung zum Ziel. Wir müssen alles mit Freiwilligkeit auf der Basis guten Rates erreichen - oder mit „betreuter Freiwilligkeit“, wenn Sie wollen. Darum rede ich durchwegs vom übenden Leben und von selbstformender Selbstverbesserung.
Sie haben ein ziemlich positives Menschenbild.
Ich gehe von einer starken ontologischen These aus: Intelligenz gibt es. Aus ihr folgt eine starke ethische These: Intelligenz existiert in positiver Korrelation mit dem Willen zur Selbstbewahrung. Seit Adorno wissen wir, dass diese Korrelation in Frage gestellt werden kann - das war die suggestivste Idee der älteren Kritischen Theorie. Sie ging von der Beobachtung aus, dass die Intelligenz sich in der Richtung irren kann und Selbstzerstörung mit Selbsterhaltung verwechselt. Dies gehört zu den unvergesslichen Lektionen des zwanzigsten Jahrhunderts. Was jetzt auf der Tagesordnung steht, ist eine affirmative Theorie der globalen Ko-Immunität. Sie begründet und orientiert die vielfältigen Praktiken des gemeinsamen Überlebens.
Haben Sie eine Utopie entworfen?
Mir stehen die Haare zu Berge, wenn Sie behaupten, das sei utopisch! Wenn Sie recht hätten, stünde ich in der Tradition der verrückten Weltverbesserer. Ich dachte eher, ich hätte Pragmatismus gezeigt, zugegebenermaßen mit einem Zusatz an prophetischer Unruhe.
Das Gespräch führte Julia Encke.
Text: F.A.S. (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung)
Mo 16 - 19 c.t. Uhr Uni Konstanz, Raum D 431 WS 09
Mit dem Zentralbegriff ÜBUNG (griechisch ἄσκησις ) wirbt Peter Sloterdijk für eine sowohl theoretische wie praktische Philosophie betreffende neue Sicht. (Für mich gibt es darin Anklänge an systematische Fundierung in Handlungsschemata bei Wilhelm Kamlah.) In Anknüpfung und Abgrenzung vom vorausgehenden „linguistic turn“ proklamiert Sloterdijk eine ANTHROPOTECHNISCHE WENDE: es geht um „ein Leben in Übungen“. Es sei an der Zeit, den Menschen als das Lebewesen zu enthüllen, das aus der Wiederholung entsteht.“
Siehe auch weiterhin: feigenblaetter.blogspot.com
Literatur: Peter Sloterdijk, Über Anthropotechnik (Rilke:"Du musst Dein Leben ändern!), Ffm 2009; Wilhelm Kamlah, Von der Sprache zur Vernunft, Mannheim 1975 & Philosophische Anthropologie 1984.
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Dienstag, August 18, 2009
Lehrbarkeit von ARETE bei Platon und Lernen von Moral nach Lind (Tillmann Weißer)
Seminar „Sokrates“ / Volkbert M. Roth
Sommersemester 2009 UK
INHALT
1 Einleitung
2 Ist ARETE lehrbar?
2.1 Was ist eigentlich ARETE?
2.2 Was ist ARETE eigentlich?
2.3 Was ist ARETE heute?
2.3.1 Tugend
2.3.2 Tüchtigkeit
2.3.3 Gutsein
2.3.4 Kompetenz
2.3.5 Was ist ARETE heute?
2.4 Ist ARETE lehrbar?
3 Wollen und Handeln
3.1 Jeder will das Gute
3.2 Gut handeln
3.3 Gutes Wollen und es sich verschaffen können
4 Moral ist lehrbar
4.1 Moral als Teil der ARETE
4.2 Was ist Moral, was ist moralisch
4.3 Das Zwei-Aspekte-Modell des moralischen Verhaltens
4.4 Folgerungen für die Lehrbarkeit von Moral
4.4.1 Der Affekt-Aspekt
4.4.2 Der Kognitions-Aspekt
4.5 Ist Moral lehrbar?
4.5.1 Moralisches-Urteil-Test
4.5.2 Konstanzer Methode der Dilemma-Diskussion
Fazit
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Die Pädagogik erfreut sich in letzter Zeit wieder wachsenden öffentlichen Interesses. War es früher noch klar, wie man mit dem Zögling umzugehen hatte, scheint es heute so, als könnten die Väter und Mütter gar nicht mehr erziehen. Bücher von Bueb und Winterhoff und Sendungen wie „Die Super-Nanny“ und „Teenager außer Kontrolle“ sind deshalb so beliebt,weil sie Mittel gegen die Jugendlichen und Kinder dieser Zeit, die wie Sokrates damals schon bemerkt haben soll den Luxus lieben, schlechte Manieren haben und die Autorität verachten, den Eltern widersprechen, die Beine übereinander legen und ihre Lehrer tyrannisieren1, an die Hand geben: das Bestehen auf seine Amts-)Autorität, als Eltern, Lehrer oder Erwachsener gegenüber dem Kind. Zwar ist diese Mittel nicht neu, dafür soll es aber mit aller Härte praktiziert werden, damit die Kleinen möglichst früh schon merken, dass es keinen Zweck hat, nach eigenen Wegen zu suchen. Ob dies die Lösung des Problems der Erziehung ist, darüber streiten sich andere2, mir geht es in dieser Arbeit darum, ein Ziel für Erziehung anzugeben, ohne das die Frage nach dem „wie“ überflüssig wäre.
Zu allererst muss man sich die Frage stellen, warum Erziehung überhaupt notwendig und
damit legitim3 ist. Ist man darüber übereingekommen, dass man erziehen darf und muss, so stellt sich direkt die Frage, zu was man erziehen muss. Dies hat eine lange Tradition. Platon behauptet, dass die „ARETE“ ein solches Erziehungsziel darstellt.
Um dieser Idee weiter nachzugehen, werde ich im Folgenden zunächst den platonischen
Begriff der „ARETE“ näher erläutern. Dem gegenüberstellen werde ich eine moderne
Auffassung des Begriffs. Ich werde zeigen, dass Platon die „ARETE“ für lehrbar hält. Dann werde ich prüfen, ob sich Platons These auch noch im 20./21. Jahrhundert behaupten kann, in dem die Erforschung der Seele, und mit ihr psychischer Prozesse wie dem Lernen, eigentlich erst ihren Anfang genommen hat. Am Beispiel der Moral werde ich Platons These mit den Errungenschaften der modernen Forschung vergleichen und so seine Annahme stützen.
2 ... lehrbar?
2.1 Was ist eigentlich ...?
Hier soll es darum gehen, was zur Zeit Platons unter dem Wort ARETE verstanden wurde. Der Dialog PROTAGORAS4 zeigt, dass es auch schon damals keinen Konsens über diese Frage
gab. So haben Protagoras und Sokrates zwei verschiedene Auffassungen von ARETE. Für
Protagoras ist ARETE die „Staatskunst“, also die Fähigkeit „im Staate durch Tat und Rede zu wirken“ [319a]. Sokrates betont dagegen immer wieder, dass die ARETE etwas sein muss, was dem Menschen wesensmäßig ist. So wie z.B. das Innehaben der Baukunst den Baumeister bestimmt, soll die ARETE den Menschen (nicht den Bürger) bestimmen5 (Wobei anzumerken ist, dass sich ein Grieche zur Zeit Platons einen Menschen, der nicht Bürger ist, kaum vorstellen konnte).
An einigen Stellen in Platons Werk werden von verschiedenen Personen Versuche
unternommen, die ARETE in Worte zu fassen. Sokrates nennt im PROTAGORAS „Gerechtigkeit, Besonnenheit und Frömmigkeit […] eines Mannes [a.et.]“ [325b]. Später kommt dann noch die „Tapferkeit“ [330c] hinzu. Im MENON gibt Menon verschiedene Definitionen von ARETE. Zum ersten gebe es „für jede Handlungsweise und für jedes Alter […] bei jedem Geschäft für jeden von uns seine [a.et.]“ [72a]. Daraus wird wieder deutlich, dass es nicht unbedingt so etwas wie einen einheitlichen ARETE-Begriff gab, denn auch im zweiten Anlauf zählt er wieder verschiedene ARETAI auf. Zu den oben genannten kommen noch „Weisheit“, „Großmut“ und „noch sehr viele andere“ [74a] hinzu. In [88a] werden zwei
weitere ARETAI aufgezählt: „Gelehrigkeit“ und „Gedächtniskraft“. Damit sei die Vielfalt des Begriffs „a.et.“ deutlich genug geworden.
Über eins scheinen sich die alten Griechen aber einig gewesen zu sein: dass die „[ARETE] zu den besonders schönen Dingen“ zählt.6 Ohne weiteres auch geben Sokrates Gesprächspartner
jedes Mal aufs Neue zu, dass es nicht nur schön, sondern auch gut ist die ARETE
zu besitzen.
Im Griechischen, „kalos k´agathos“. Hinter dieser Redewendung verbergen sich vier
verschiedene Aspekte (Ethik, Ästhetik, Glück, Praxis). So kann man davon ausgehen, dass der
ARETE-Begriff etwas bezeichnet, das, befindet es sich am Menschen, diesen moralisch gut – gerecht, ästhetisch gut – schön, glücklich, und praktisch gut – lebenstüchtig – macht.7
2.2 Was ist ... eigentlich?
Was versteht nun Platon unter ARETE? Alle Dialoge, die sich mit diesem Thema befassen,
kommen irgendwann einmal darauf zu sprechen, dass die ARETE ein „bestimmtes Wissen“ sein könnte (z.b: im CHARMIDES, in dem Besonnenheit, als Teil der a.et., als Wissen vom
Wissen und Nichtwissen bestimmt wird [167a].) Und tatsächlich, im LACHES gibt Platon –
ironischerweise als eine falsche Antwort auf eine andere Frage – seine Definition von ARETE:
das „Wissen von sämtlichen und wie immer sich verhaltenden Gütern und Übeln“
[199c], kurz das Wissen vom Guten und Schlechten.
Ein Mensch mit wenig Wissen vom Guten und Schlechten wäre demnach, wesensmäßig ein
schlechter, genau wie ein Baumeister, der wenig Wissen in der Baukunst hat. Aber auch
Protagoras’ Idee von ARETE findet sich in Platons Definition wieder, denn ein Mann mit
diesem Wissen könnte den Staat am besten leiten, weil er wüsste, was gut und was schlecht für diesen ist [171c]. Hat Sokrates im PROTAGORAS dieser Definition von a.et.
widersprochen, dann also nur, um darauf hinzuweisen, dass sie ein viel weiter gehender
Begriff ist.
Betrachten wir eine Definition von Menon als „das Vermögen, sich das Gute zu erwerben“
[78b]: Um hier Platons Idee zu übertragen, muss man „Wissen“ durch „Vermögen“ ersetzen.
Das klingt zunächst nicht so problematisch: wenn ich etwas machen kann, dann weiß ich auch wie es geht. Nur stimmt die Umkehrung nicht. Nur weil ich das theoretische Wissen besitze, ein Auto zu fahren, heißt das noch nicht, dass ich es auch kann. Hier ist also eher an ein praktisches Wissen zu denken, so wie die Baukunst nicht nur ein theoretisches, sondern eben auch ein praktisches Wissen ist.
Am Ende des MENON folgert Sokrates, die ARETE sei kein Wissen, sondern eine wahre
Meinung [99c]. Platon spricht damit ein Problem an, dass uns im Verlauf dieser Arbeit
nochmals begegnen wird. ARETE zu haben, hat unter Umständen nichts mit einer Verarbeitung von Wissen zu tun, sondern kann auch – oder muss – von irrationalen Gegebenheiten, zum Beispiel von Gefühlen, getragen werden.
2.3 Was ist ... heute?
Zunächst stellt sich die Frage, wie ARETE übersetzt werden soll. Die Geläufigste Übersetzung ist wohl „Tugend“, gefolgt von „Tüchtigkeit“, M. Kranz8 übersetzt „Gutsein“. Modernere
Interpretationen sprechen auch von „Kompetenz“.9
2.3.1 Tugend
Tugend ist ein eher altmodischer Ausdruck. Vom Wortstamm her kommt Tugend von „taugen“.
Jemand der Tugend hat, taugt also zu etwas. Wer zu etwas taugt, ist dadurch besser. Tugend macht einen Menschen also in irgendeiner Weise besser. Tugend im eigentlichen Sinne kommt der ARETE in ihren vier Teilaspekten also sehr nahe. Heute schwingt bei dem Wort Tugend jedoch immer so etwas wie „Moral“ im Unterton mit und man ist geneigt, die beiden Begriffe gleichzusetzen. Das ist der Grund warum die Übersetzter so sehr darum bemüht sind, andere Übersetzungen für ARETE zu finden. Moral ist zwar ein Teilaspekt der ARETE (ethischer Aspekt), füllt den Begriff aber keinesfalls aus.
2.3.2 Tüchtigkeit
Tüchtigkeit ist ein Versuch, die Moralische Komponente von „Tugend“ nicht so sehr zu
betonen. Jemand der ARETE hat, sei also tüchtig. Auch dieser Begriff hat seine Schwächen. Im heutigen Sprachgebrauch ist mit Tüchtigkeit vor allem Fleiß verbunden. Nun ist „fleißig sein“, genau wie „moralisch sein“ ein Teilaspekt der ARETE und man ist wieder versucht pars pro toto zu definieren und damit den Begriff einzuschränken.
2.3.3 Gutsein
Der Einschränkung von ARETE, an der die beiden vorigen Übersetzungsversuche gescheitert
sind, versucht man damit zu begegnen, dass man ARETE mit einem möglichst abstrakten
Begriff übersetzt. Da man durch ARETE „kalos k’agathos“ wird, soll nun das Besitzen von
ARETE mit Gut-sein, bezeichnet werden. Neben den semantischen Schwierigkeiten, die sich
dadurch ergeben, ist ein anderes Problem viel schwerwiegender: Was soll „Gutsein“
überhaupt sein? Kann man objektiv von etwas sagen, dass es gut ist? Man braucht immer eine Vergleichsgruppe, wenn man von etwas sagen will, dass es gut ist.10 Wer soll diese
Vergleichsgruppe bei der ARETE sein? Platon spricht das Problem im PROTAGORAS an,
indem Protagoras behauptet, auch der ungerechteste unter den Bürgern sei gerechter als ein Wilder [327d]. Dies widerspricht unserem heutigen Menschenbild.
Trotz der Schwierigkeiten, die sich mit dieser Übersetzung ergeben scheint es mir der richtige Weg zu sein, ARETE mit einem abstrakten Begriff zu übersetzen, oder die Übersetzung bleiben zu lassen, und direkt von ARETE zu sprechen. Trotzdem will ich noch die verbleibende Übersetzung abhandeln, denn von ihr verspreche ich mir eine gelungenere Übertragung des ARETE-Begriffs in die heutige Zeit.
2.3.4 Kompetenz
Ich kenne keine direkte Übersetzung von ARETE als Kompetenz, trotzdem liegt es nahe, die beiden Begriffe einander gegenüber zu stellen. Wer ARETE besitzt, der ist gerecht, schön, glücklich und vor allem lebenstüchtig. Auf diesen letzten Aspekt zielt die Übersetzung als Kompetenz. Jemand der kompetent ist, hat das Vermögen, in gewissen Situationen richtig zu handeln. Überträgt man die Kompetenz jetzt von einer bestimmten Situation auf das gesamte Leben, so kann man sagen, dass der, der lebenskompetent ist, richtig handelt, und demnach in direkter Konsequenz aus der Lebenstüchtigkeit, gerecht ist. Schön und glücklich sind erst nach einem weiteren Schritt aus der Kompetenz ableitbar. Aber hält man sich vor Augen, dass die Lebenskompetenz einem den Weg zum richtigen Handeln weist, und dass niemand hässlich und unglücklich sein will, so sind auch diese beiden Aspekte durch "Kompetenz" abgedeckt.
Die Übersetzung des von Platon gedachten ARETE-Begriffs mit "Kompetenz" ist also gelungen, weil man Kompetenz durchaus als Wissen/Unterscheidung von Gutem und Schlechtem bezeichnen könnte. Anders als ein rein theoretisches Wissen allerdings, gibt das Besitzen von Kompetenz noch die weitere Eigenschaft mit, dass mit diesem Wissen auch umgegangen werden kann, und dass es zum richtigen Zweck angewendet wird. In etwa diese Vorstellung muss Platon gehabt haben, als er ARETE als ein Wissen bestimmt hat.
2.3.5 Was ist ... heute?
Nach den Übersetzungsversuchen nun zurück zu unserer Ausgangsfrage. Ist die ARETE
etwas, das durch feste Grenzen vorgegeben wird? So wie etwa ein Quadrat, ein Rechteck mit gleichlangen Seiten ist. Das war es zur Zeit Platons und das ist es heute immer noch. Das Leben vor 2500 Jahren war allerdings keinesfalls das gleiche wie heute. Damals bestand ein Staat aus ein paar tausend Menschen, heute sind es zig Millionen/ teils Milliarden. Damals musste man, um etwas aus einem anderen Staat zu erfahren, tagelang reisen, heute genügt ein Klick ins Internet. Damals war ein Mann an seine Stadt gebunden (die Verbannung bedrohte den Lebensinhalt), heute ist es durchaus üblich, etwa wegen eines attraktiveren Arbeitsplatzes, in ein anderes Land zu ziehen. Ist nun die ARETE ein Begriff, der wie eine Form immer gleich bleibt, oder etwas, das sich im Laufe der Jahre ändert? ARETE als Wissen legt eine Interpretation nahe, die ARETE als bleibenden Begriffinhalt auffasst. Wenn die ARETE ein Wissen ist, dann ist sie das zu allen Zeiten. Nur ist sie ein bestimmtes Wissen. Und zwar vom Guten und Schlechten und dieser Begriff scheint mir nur bedingt unveränderlich. Sicher gibt es „das Gute“, aber nur als Idealvorstellung. Man kann nicht mit dem Finger auf „das Gute“ zeigen. Man kann sagen, „das ist gut und das ist schlecht“. Dabei zeigt man aber nicht auf das Gute, sondern auf etwas, das gut ist. Und wenn Sokrates 400 ante auf etwas gezeigt hat und gesagt hat, dass das gut ist, dann heißt das nicht, dass wir heute immer noch das gleiche tun würde. Offensichtlich ändert sich also unsere Vorstellung vom Guten und Schlechten. Auch der Blick in andere Kulturen lässt uns erkennen, dass mit dem Guten nicht immer das gleiche bezeichnet wird.
Zusammenfassend könnte man sagen, dass sich der Begriff der ARETE nicht verändert hat,
wohl aber der Gegenstand. ARETE ist demnach nach wie vor ein erstrebenswertes
Erziehungsziel, man sollte nur noch einmal darüber nachdenken, was der Gegenstand der
ARETE heute ist. ARETE ist – nach unserer Definition – das irgendwie geartete Wissen vom Guten und Schlechten, und zwar so, dass der Besitz des Wissens schon ausschlaggebend dafür ist, dass man sich gerecht, besonnen, fromm, großmütig, tapfer usw. verhält. Gerechtigkeit und Besonnenheit sind heute auch noch erstrebenswerte „Tugenden“, die Frömmigkeit dagegen, ist etwas, dem immer weniger Beachtung geschenkt wird, und man könnte sich fragen, ob man diese heute noch zu dem Wissen zählen würde, das die ARETE sein soll. Andererseits kommt in der modernen, sich ständig verändernden Welt neue Werte hinzu, etwa „Anpassungsfähigkeit/Flexibilität“ oder Informationskompetenz“ (was bedeutet, dass man selektieren muss, welche der unendlich vielen Sinneseindrücke wirklich wahrgenommen werden sollen). ARETE bleibt also auch in der heutigen Zeit ein Begriff mit vielen Facetten.
2.4 Ist ... lehrbar?
Zurück in die Zeit Platons. Unter den Griechen herrschten unterschiedliche Meinungen
darüber, ob die ARETE lehrbar sei. Dies zeigt die Frage des Menon gleich zu Beginn des ihm gewidmeten Dialogs: „Kannst du mir sagen, Sokrates, ist die Tugend lehrbar? Oder ist sie nicht lehrbar, sondern eine Sache der Übung? Oder ist sie weder Sache der Übung noch des Lernens, sondern etwas, das den Menschen von Natur oder auf irgendeine Weise zuteil
wird?“11 Mindestens drei Vorstellungen tauchen hier also auf. Zum ersten, dass man ARETE lernen kann, zum zweiten, dass man ARETE
üben kann und zum dritten, dass man keinen
Einfluss darauf hat, ob man ARETE besitzt oder nicht. Zunächst muss wohl der Unterschied zwischen lernen und üben erläutert werden. Lernen bezeichnet den Vorgang, des Übernehmens von Wissen, dass einem ein anderer vermittelt. Üben bedeutet, dass man etwas immer und immer wieder versucht, und so schließlich eine Möglichkeit findet, die einen zufrieden stellt.
Platons Argumentation ist sehr vielschichtig und von Dialog zu Dialog scheinen sich seine Ansichten zu widersprechen. So leuchtet im PROTAGORAS ein, dass es sinnlos wäre, wenn man Leute bestraft, weil sie keine ARETE haben, wenn diese nicht zumindest herstellbar sei [324a]. Für diese dritte Möglichkeit argumentiert Platon aber wieder im MENON, wenn er sagt, dass die ARETE einem „durch göttliche Schickung ohne Einsicht“ [100b] zuteil werde.
Genauso verhält es sich mit der Definition von ARETE. Immer wieder stößt Platon darauf, dass ARETE doch eigentlich ein Wissen sein müsste. Dann aber argumentiert er wieder dagegen. Wenn ARETE allerdings ein Wissen sein sollte, dann, so betont Platon, dann wäre sie lehrbar. Dass Platon ARETE für ein Wissen hält, zumindest für ein irgendwie geartetes Wissen, das sollte indes klar sein, denn diese These zieht sich durch alle Dialoge, die von der ARETE handeln. Folglich geht er auch davon aus, dass die ARETE
lehrbar ist. Warum argumentiert er aber so im Kreis herum, wenn das eine ausgemachte Sache ist?
3 Wollen und Handeln
Platon argumentiert in seinen Dialogen teilweise eine ganz andere Frage mit als die, ob die ARETE lehrbar ist. Wegen dieser Frage ist es auch nötig, seine eigentlich klare Überzeugung von mehreren Seiten zu beleuchten. Platons These ist, dass jeder, der weiß, was gut und schlecht ist, gut handelt. Wissen ist der ausschlaggebende Faktor für eine gute Handlung.
3.1 Jeder will das Gute
Im MENON behauptet Platon, dass jeder Mensch das Gute will [77b ff]. Dass das Argument
gelingt, liegt am Ende aber daran, dass Sokrates die Bedeutung des Wortes „wollen“ auf
„Anteil haben wollen“ einschränkt. Er behauptet, dass „das Schlechte wollen“
gleichbedeutend wäre, mit „wollen, dass einem Schlechtes widerfährt“. Diese Argumentation ist natürlich unvollständig.
Während die These „jeder will für sich das Gute“ sicher von jedem als haltbar eingestuft werden wird, scheint es uns doch möglich, dass jemand „für einen anderen das Schlechte wollen“ kann. Die Frage, die sich dann allerdings direkt stellt, ist, ob derjenige das Schlechte für den anderen nicht nur deshalb will, weil er „das Schlechte für den anderen“ für „das Gute für sich selbst“ hält. Oft will man auch das kurzfristig Schlechte, um ein langfristiges Gutes zu erreichen, oder genau andersrum. Auch hier kann man nicht davon sprechen, dass man das Schlechte wollen würde. Die These Platons ist, dass man beim Wollen eine Kosten-Nutzen-Rechnung macht und sich am Schluss für das entscheidet, was einem das Bessere zu sein scheint. Diese richtet sich nach dem ideell Guten, denn nicht der persönliche Vorteil zählt, sondern das, was das Beste für alle ist. Dies wird im CHARMIDES deutlich, wenn Sokrates davon schwärmt, welchen Nutzen es hätte, wenn nur Männer, die ARETE innehaben, den Staat leiten würden [171d f]. Denn allein der Besitz dieses Wissens würde schon garantieren, dass der Staat gut geleitet wird. Denke ich an die Börsenmakler, wegen denen wir jetzt in der Wirtschaftskrise stecken, dann können diese nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht gewesen sein. Noch dazu auf einen kurzfristigen. Soll das das Gute gewesen sein? Oder kann man sagen, dass diese Makler einfach keine ARETE besessen haben? Argumentiert man so, stellt man fest, dass am Ende so gut wie niemand ARETE besitzt, weil keiner nach dem für alle
Guten, sondern alle nur nach dem für sich Guten streben.
Meine Vermutung geht also immer noch in die Richtung, dass man sich auch noch nach einer solchen Pro-und-Kontra-Auflistung für das Schlechtere entscheiden könnte.
3.2 Gut handeln
In diesem Kapitel soll deutlich werden, dass das Handeln zwei Aspekte aufweist. Zum einen einen Wissensaspekt, den Platon bei der Definition von ARETE anspricht, zum anderen einen, ich will ihn vorerst Absichtsaspekt nennen, der für Platon durch das Wesen des Menschen determiniert ist. Um gut zu handeln reicht es also nicht, das Wissen davon zu haben, das eine bestimmte Handlung gut ist. Es reicht auch nicht zu wissen, wie diese bestimmte gute Handlung ausgeführt wird. Wichtig ist vor allem der Absichtsaspekt. Ich muss eine Handlung beabsichtigen, damit ich sie begehe (Ich spreche hier selbstverständlich nur von freiwilligen Handlungen). Wenn ich weiß, was ich tun muss, um etwas zu erreichen, dieses Ziel aber gar nicht beabsichtige, dann handele ich auch nicht in Richtung dessen.
3.3 Gutes Wollen und es sich verschaffen können
Besagte Szene aus dem MENON12 spricht darauf an, dass ARETE das Vermögen ist, sich Gutes verschaffen zu können, wenn man Gutes will. Nachdem wir von der These ausgehen, dass jeder Mensch Gutes will, ist die Absicht zu einer guten Handlung a priori gegeben. Man muss nur wissen wie, um gut zu handeln. Dieses Wissen bezeichnet Platon als ARETE.
4 Moral ist lehrbar
Der Kern dieser Arbeit besteht darin, das antike Bild von ARETE mit dem der modernen
Forschung zu vergleichen. Als Beispiel für die moderne Forschung dient hier die
Moralforschung von Georg Lind. Die für meine Untersuchung interessanten Gesichtspunkte
seiner Arbeit werde ich im Folgenden kurz erläutern.
4.1 Moral als Teil der ARETE
Wie bereits zu Anfang gesagt, ist die ARETE viel mehr, als die Moral. Moral bezeichnet nur den ersten Aspekt der vier Arten von Gut-sein. Dennoch ist es sinnvoll im Zusammenhang der Frage, ob ARETE lehrbar ist, über die Lehrbarkeit von Moral nachzudenken. Denn erwiese sich die Moral als nicht lehrbar, so wäre es die ARETE
als Ganzes auch nicht. Ausdrücklich möchte ich darauf hinweisen, dass wir im Folgenden immer nur einen Teilaspekt der ARETE betrachten.
4.2 Was ist Moral, was ist moralisch ?
Zunächst sollt geklärt werden, was wir überhaupt unter Moral verstehen. Ähnlich wie oben will ich zunächst ein paar Definitionen vorlegen.13
Moral…
… als Übereinstimmung des Verhaltens mit sozial vorgegebenen Erwartungen und
Normen (Normenkonformität)
… als Übereinstimmung des Verhaltens mit den eigenen moralischen Idealen und
Prinzipien (Gewissen)
… als Fähigkeit, in Bezug auf die eigenen moralischen Ideale konsistent und in Bezug
auf die jeweilige Situation angemessen (differenziert) zu urteilen und zu handeln
(Fähigkeitsdefinition)
Platon würde Moral etwa so definieren: „Moral ist das Wissen vom Gerechten und
Ungerechten;“ wobei auch dieses Wissen wieder handlungsweisend sein müsste. Moralisch
gut ist, also zunächst eine soziale Frage. Interessanterweise gibt es, obwohl die rechtliche Lage in den verschiedenen Kulturen und Ländern unterschiedlich ist, einen hohen Konsens darüber, welche moralischen Ideale gut sind.14 Trotzdem unterscheiden sich moralische Handlungen verschiedener Kulturen. Das deutet schon darauf hin, dass Moralisch-Sein nicht nur eine Frage von reinem Wissen sein kann. Das GE-Wissen spielt hier nämlich eine entscheidende Rolle. So hat zum Beispiel (so gut wie) jeder Mensch das moralische Ideal, dass man das Eigentum andere achten soll und stehlen nicht gut ist. Trotzdem kann es jemand, der sich in einer Notlage sieht, es moralisch, vor seinem Gewissen rechtfertigen, etwas zu stehlen. Ist diese Handlung dann unmoralisch? Ich will die Frage mit einem weiteren Beispiel verdeutlichen.
Embryonenspenderin Lara
Lara ist 16 und wohnt in einem armen, südamerikanischen Land. Sie hat keine Ausbildung
und findet nirgends eine Anstellung. Die Aussichten sind gering, je einen zu bekommen, da es bereits viele Arbeitslose gibt. Auch ihre Eltern sind ohne Arbeit und ihre jüngeren Geschwister gehen noch zur Schule. Eines Tages kommt eine Ärztin in ihren Ort. Sie sagt, sie arbeite für einen großen Pharmakonzern. Der würde viele Embryonen benötigen für neue gentechnische Heilungsmethoden. Junge Frauen könnten viel Geld verdienen, wenn sie sich für fünf Jahre lang verpflichten würden, sich einmal im Jahr künstlich befruchten zu lassen und den Embryo der Firma zu geben. Das Geld das Lara angeboten wurde, würde genügen, sich und ihre Familie zu ernähren und dazu noch eine Ausbildung als Lehrerin zu machen. Lara plagen Zweifel. Sie ist streng katholisch erzogen worden und eine Abtreibung würde ihr schwer gefallen. Noch viel schwerer aber fällt ihr der Gedanke, ihren Embryo zu verkaufen und das jedes Jahr wieder zu tun. Aber sie weiß nicht mehr, wovon sie in Zukunft leben soll. Daher beschließt sie, den Vertrag zu unterschreiben, den ihr die Ärztin angeboten hat.15
Dies ist eine Moralisches Dilemma aus der Konstanzer Methode der Dilemma-Diskussion
(KMDD) nach Lind, auf die ich später noch zu sprechen kommen werde. Worauf es mir bei
diesen Beispielen ankommt ist, dass Moral nicht eine reine Frage der Normenkonformität,
aber auch keine reine Frage des Gewissens ist. Moral ist vielmehr die Fähigkeit, zwischen diesen beiden Möglichkeiten zu vermitteln. Damit wird jetzt schon deutlich, dass die ARETE zumindest zu einem Teil eine Fähigkeit ist, wobei diese „Fähigkeit“ noch näher zu beschreiben ist.
4.3 Das Zwei-Aspekte-Modell des moralischen Verhaltens
Nach dieser Erkenntnis, dass Moral eine Fähigkeit ist, haben Psychologen im 20. Jahrhundert versucht, ein Modell des moralischen Verhaltens zu entwerfen. Hier wurde immer wieder zwischen verschiedenen Komponenten unterschieden. Lind wirft dieser Entwicklung vor, dass sie die verschiedenen Aspekte so getrennt voneinander betrachtet, dass sie schließlich ein und dasselbe Verhalten als unterschiedliche Verhaltensweisen interpretiert. Dem entgegen setzt er sein Zwei-Aspekte-Modell des moralischen Verhaltens. Er geht davon aus, „dass (fast) alle Menschen moralische Ideale oder Prinzipien haben, für deren Anwendung im Verhalten sie eine Reihe moralischer Fähigkeiten benötigen.“16 Zwei Aspekte also bedingen moralisches Verhalten. Zum einen die moralischen Ideale und Prinzipien (Affekt), zum anderen die moralischen Fähigkeiten (Kognition). Beide Aspekte sind untrennbar für das moralische Verhalten verantwortlich. Sie können unterschieden werden, müssen aber immer im Zusammenhang gesehen werden, weil sie alleine keinen Sinn machen. Der Affekt allein stellt zwar klar, was richtig und was falsch ist, initiiert aber keine Handlung. Die Kognition dagegen, ist ausschlaggebend für eine Handlung, ohne den Affekt fehlt ihr aber der Inhalt.
4.4 Folgerungen für die Lehrbarkeit von Moral
Nachdem wir gesehen haben, dass Moral auf zwei Aspekten beruht, können wir über die
Lehrbarkeit von Moral nachdenken. Klar ist, dass Moralische Ideale und Prinzipien vermittelt werden können, denn sie sind ein Wissen vom Guten und Schlechten, allerdings, im Gegensatz zu Platon, ein Wissen, das nicht handlungsweisend ist.
4.4.1 Der Affekt-Aspekt
Menschen können auf verschiedenen Argumentationsstufen moralische Urteile fällen. Jean
Piaget unterschied die präkonventionelle, die konventionelle und die postkonventionelle
Moral. Lawrence Kohlberg, der Moralforscher des 20. Jahrhunderts schlechthin, entwickelte auf dieser Basis sein Stufenmodell der moralischen Argumentation. Dabei unterteilte er die drei Ebenen Piagets jeweils noch mal in zwei Stufen. Kohlberg ging davon aus, dass sein Stufenmodell ein Entwicklungsmodell ist. Diese Theorie ist allerdings überholt. Es ist erwiesen, dass Menschen, die bereits auf einer höheren Stufe argumentieren auch in niedrigere Stufen zurückfallen können. Man kann also nicht von einer Entwicklung von den niedrigen zu den hohen Stufen sprechen.
Stufen moralischer Argumentation nach Lawrence Kohlberg17
Stufe 1 Gut ist, körperliche Schäden und Verletzungen (Strafe) zu vermeiden.
Stufe 2 Gut ist, Vorteile (Belohnungen) zu erlangen, auch wenn dafür Nachteile in Kauf
genommen werden müssen.
Stufe 3 Gut ist, eine gute (nette) soziale Rolle zu spielen und dadurch Missbilligung
anderer zu vermeiden, bzw. Anerkennung herzustellen.
Stufe 4 Gut ist, die gesellschaftliche Ordnung aufrecht zu erhalten, Gesetze zu wahren
und seine Pflichten zu erfüllen.
Stufe 5 Gut ist, die Grundrechte zu achten, auch wenn sie unter Umständen nicht mit den
Gesetzen der Gesellschaft korrelieren.
Stufe 6 Gut ist, nur nach der Maxime zu handeln, von der man wollen kann, dass sie ein
allgemeines Gesetz wird. (Kategorischer Imperativ)
Betrachtet man nun eine Situation, wie das Lara-Dilemma18, so kann man auf verschiedenen Stufen argumentieren und kommt unter Umständen zu jeweils anderen Ergebnissen. Nach der zweiten Stufe, wäre Laras Entscheidung richtig, weil sie und ihre Familie einen gewaltigen Nutzen davon haben, nach der fünften oder sechsten Stufe dagegen, wäre sie falsch, weil man Leben nicht wie eine Ware behandeln darf, bzw. jeder Mensch Selbstzweck ist.
Hervorzuheben ist also noch mal, dass der Affekt noch keine Handlung vorschreibt. Dennoch ist ohne dieses Wissen eine moralische Handlung undenkbar, denn würde eine Entscheidung nicht aufgrund dieser Prinzipien gefällt, so wäre es keine moralische Entscheidung.
Erstaunlicherweise haben, beachtet man, wie oft man unmoralischem Verhalten begegnet, die meisten Menschen die gleichen moralischen Prinzipien.19 Dies verdeutlicht noch einmal die Nötigkeit eines zweiten Aspektes, der die Diskrepanz zwischen der Gleichheit in den moralischen Werten und dem Unterschied im sozialen Verhalten überbrückt.
4.4.2 Der Kognitions-Aspekt
Der zweite Aspekt moralischen Verhaltens ist die Kognition. Um diesen Aspekt dreht sich die Frage nach der Lehrbarkeit von Moral, nachdem wir den Affekt-Aspekt als Wissen
identifiziert und damit als für lehrbar erklärt haben. Die Kognition stellt in gewisser Hinsicht eine Einstellung dar, die wir zu den einzelnen Urteilen auf den verschiedenen Stufen einnehmen. Hat man eine Einstellung, so bekommt man bestimmte Gefühle, falls ein gewisser Sachverhalt vorliegt. Kann man diese Gefühle lehren? Sicher kann man sie konditionieren.20
Ein konditioniertes Gefühl, kann aber nicht das sein, was die Moralforschung unter einer entscheidenden Instanz versteht. Man würde eine Entscheidung, die aufgrund von
Gewohnheit getroffen wird, nicht moralisch nennen. Was man sicher lernen kann, ist mit
Gefühlen umzugehen. Damit sind beide Aspekte des Modells lehrbar.
4.5 Ist Moral lehrbar?
Lind sagt, dass Moral lehrbar ist, und belegt dies mit seiner Forschung. Zum einen hat er mit dem Moralisches-Urteil-Test (MUT) ein Verfahren entwickelt, mit dem man messen kann, wie sich die moralische Urteilsfähigkeit entwickelt, zum anderen hat er mit der KMDD (Konstanzer Methode der Dilemma-Diskussion) eine Methode geschaffen, mit der sich die moralische Urteilsfähigkeit steigern, also Moral lehren lässt. Beide Konzepte sind
Weiterentwicklungen Kohlbergs Forschung und ich will ihnen je ein kurzes Kapitel
widmen.21
4.5.1 Moralisches-Urteil-Test
Der MUT ist ein Fragebogen, mit dem die moralische Urteilsfähigkeit des Teilnehmers
gemessen werden kann. Zu zwei verschiedenen moralischen Konflikten muss der Teilnehmer
seine Meinung äußern. Anschließend bekommt er je Konflikt zwölf Argumentationen
vorgelegt, die die Handlung der Personen aus den Dilemmata rechtfertigen oder verurteilen. Dabei gibt es eine Rechtfertigung und eine Verurteilung der Situation pro Stufe des Kohlbergschen Stufenmodells. Die Aufgabe des Teilnehmers ist es nun, die Argumente danach zu beurteilen, wie sehr er sie akzeptiert. Dabei spricht es für eine hohe moralische Urteilsfähigkeit, wenn der Teilnehmer gute Argumente beider Seiten zulässt und nicht nur die akzeptiert, die für seine eigene Einstellung zu dem Konflikt stehen.
4.5.2 Konstanzer Methode der Dilemma-Diskussion
Bei der KMDD wird den Teilnehmern ein moralisches Dilemma vorgelegt. Jeder Teilnehmer
macht sich zunächst sein eigenes Bild von der Situation. Danach erläutert jeder kurz, ob er findet, dass die Person im Dilemma richtig gehandelt hat oder nicht. Dementsprechend werden die Teilnehmer nun in zwei Gruppen eingeteilt, in denen sie überlegen, warum ihre Ansicht die richtige ist. Der Kern der KMDD besteht dann darin, dass sich die beiden Gruppen gegenübertreten und ihre Ansichten diskutieren. Die Diskussion läuft nach strengen Regeln ab. So trägt immer einer sein Argument vor und wählt dann einen der anderen Gruppe aus, der darauf erwidern darf. Dieser wählt dann wieder einen der ersten Gruppe aus („PingPong-Regel“). So moderiert sich die Diskussion weitgehend alleine. Die Diskussion endet, wenn keine Argumente mehr vorgebracht werden oder ein Zeitlimit erreicht ist. Zum Ende werden die Teilnehmer nochmals danach gefragt, ob sie das Handeln im Dilemma für richtig befunden haben.
Mit dem MUT konnte Lind belegen, dass die KMDD tatsächlich die Moralische
Urteilsfähigkeit steigert. Somit hat er nicht nur bewiesen, dass Moral lehrbar ist, sondern er gibt auch ein Mittel an die Hand, wie man Moral lehren kann.
5 Fazit
Vergleicht man nun die philosophische Idee von Platon mit der psychologischen Arbeit von Lind, so fällt zunächst eine Parallele auf. Beide bestimmen ..et.
als Wissen. Dazu kommt bei beiden noch ein weiterer Aspekt. Bei Platon die Absicht, das Wissen anzuwenden, die wie er sagt, schon durch das Wissen selbst bedingt ist. Bei Lind die Kognition, eine Fähigkeit moralische Urteile abzuwägen und einen Handlungsimperativ daraus abzuleiten. Beide kommen zu dem Ergebnis, dass ARETE lehrbar sein muss und b e i d e, geben ein Konzept an, wie man sie lernt. Lind, einen Dialog, bei dem es darauf ankommt, das Problem möglichst von allen Seiten zu beleuchten um sich dann ein eindeutiges Bild davon machen zu können.
Und Platon? Man muss sich im Gespräch erinnern [82a], oder von Sokrates’ Zaubersprüchen
bereden lassen [176b]. Mit anderen Worten, den Dialog suchen um jede Frage von Grund auf zu beantworten, stets mit der Einsicht, dass man eigentlich nichts weiß und dass man das Problem möglichst von allen Seiten beleuchten muss um sich dann ein eindeutiges Bild davon machen zu können.
6 Literaturverzeichnis
Brezinka, Wolfgang: Tüchtigkeit, München/Basel, 1987
Koop, Hugo: Über die Lehrbarkeit der Tugend, Würzburg-Aumühle, 1940
Lind, Georg: Moral ist lehrbar, München, 2007
Lind, Georg: Ist Moral lehrbar?, Berlin, 2002
Platon: Menon, Übers. Kranz, Margarita, Stuttgart, 2008
Platon: Protagoras, Übers. Krautz, Hans-Wolfgang, Stuttgart, 2004
Platon: Sämtliche Werke in drei Bänden, Hersg. Loewenthal, Erich, Darmstadt, 2004, Band I
Pleines, Jürgen-Eckardt: Studien zur Ehtik, Hildesheim/Zürich/New York, 1992, (Kapitel
13.1 "Ist Tugend lehrbar")
Stemmer, Peter: Gutsein, in Zeitschrift für philosophische Forschung, Band 51, 1997
Anmerkungen
1 Frei nach http://www.gierhardt.de/schulsprueche.html
2 z.B.: Bauer, Joachim: Lob der Schule, Hamburg, 2007
3 z.B.: Schäfer, Alfred: Einführung in die Erziehungsphilosophie, Weinheim, 2005
4 Wörtliche Zitate beziehen sich soweit nicht anders vermerkt immer auf die Ausgabe Platon: Sämtliche Werke in drei Bänden, Loewenthal, Erich (Hrsg.), Darmstadt, 2004
5 Vgl. Koop, Hugo: Über die Lehrbarkeit der Tugend, Würzburg-Aumühle, 1940 S. 11
6 Vgl. z.B. Laches, 192c
7 Roth, Volkbert M.: Proseminar „Sokrates“, am 04.05.09
8 Platon: Menon, Übers. v. Magarita. Kranz, Stuttgart, 2008
9 Vgl. Brezinka, Wolfgang: Tüchtigkeit, München/Basel, 1987, I.4.
10 Vgl. Stemmer, Peter: Gut sein, in: Zeitschrift für philosophische Forschung, Band 51, 1997
11 Platon: Sämtliche Werke in drei Bänden, Loewenthal, Erich (Hrsg.), Darmstadt, 2004, Band 1, S. 413
12 Vgl. 3.1
13 Tabelle in: Lind, G., Moral ist lehrbar, München, 2003, Seite 33
14 Ebd. Seite 42
15 Ebd. Seite 147
16 Ebd. Seite 39
17 Tabelle angelehnt an: http://www.stangltaller.
at/ARBEITSBLAETTER/MORALISCHEENTWICKLUNG/Kohlbergmodell.shtml und Lind, G., Moral
ist lehrbar, München, 2003, Seite 50
18 Vgl. 4.2
19 Wie eine Studie 1912 herausfand, haben straffällig gewordene Jugendliche dieselben moralischen Werte wie
nicht straffällig gewordene (vgl. Lind, G., Moral ist lehrbar, München, 2003, Seite 18)
20 Man denke an Angsttherapien
21 Für Näheres siehe: Lind, G., Moral ist lehrbar, München, 2003 oder Lind, G., Ist Moral lehrbar?, Berlin, 2002
Sommersemester 2009 UK
INHALT
1 Einleitung
2 Ist ARETE lehrbar?
2.1 Was ist eigentlich ARETE?
2.2 Was ist ARETE eigentlich?
2.3 Was ist ARETE heute?
2.3.1 Tugend
2.3.2 Tüchtigkeit
2.3.3 Gutsein
2.3.4 Kompetenz
2.3.5 Was ist ARETE heute?
2.4 Ist ARETE lehrbar?
3 Wollen und Handeln
3.1 Jeder will das Gute
3.2 Gut handeln
3.3 Gutes Wollen und es sich verschaffen können
4 Moral ist lehrbar
4.1 Moral als Teil der ARETE
4.2 Was ist Moral, was ist moralisch
4.3 Das Zwei-Aspekte-Modell des moralischen Verhaltens
4.4 Folgerungen für die Lehrbarkeit von Moral
4.4.1 Der Affekt-Aspekt
4.4.2 Der Kognitions-Aspekt
4.5 Ist Moral lehrbar?
4.5.1 Moralisches-Urteil-Test
4.5.2 Konstanzer Methode der Dilemma-Diskussion
Fazit
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Die Pädagogik erfreut sich in letzter Zeit wieder wachsenden öffentlichen Interesses. War es früher noch klar, wie man mit dem Zögling umzugehen hatte, scheint es heute so, als könnten die Väter und Mütter gar nicht mehr erziehen. Bücher von Bueb und Winterhoff und Sendungen wie „Die Super-Nanny“ und „Teenager außer Kontrolle“ sind deshalb so beliebt,weil sie Mittel gegen die Jugendlichen und Kinder dieser Zeit, die wie Sokrates damals schon bemerkt haben soll den Luxus lieben, schlechte Manieren haben und die Autorität verachten, den Eltern widersprechen, die Beine übereinander legen und ihre Lehrer tyrannisieren1, an die Hand geben: das Bestehen auf seine Amts-)Autorität, als Eltern, Lehrer oder Erwachsener gegenüber dem Kind. Zwar ist diese Mittel nicht neu, dafür soll es aber mit aller Härte praktiziert werden, damit die Kleinen möglichst früh schon merken, dass es keinen Zweck hat, nach eigenen Wegen zu suchen. Ob dies die Lösung des Problems der Erziehung ist, darüber streiten sich andere2, mir geht es in dieser Arbeit darum, ein Ziel für Erziehung anzugeben, ohne das die Frage nach dem „wie“ überflüssig wäre.
Zu allererst muss man sich die Frage stellen, warum Erziehung überhaupt notwendig und
damit legitim3 ist. Ist man darüber übereingekommen, dass man erziehen darf und muss, so stellt sich direkt die Frage, zu was man erziehen muss. Dies hat eine lange Tradition. Platon behauptet, dass die „ARETE“ ein solches Erziehungsziel darstellt.
Um dieser Idee weiter nachzugehen, werde ich im Folgenden zunächst den platonischen
Begriff der „ARETE“ näher erläutern. Dem gegenüberstellen werde ich eine moderne
Auffassung des Begriffs. Ich werde zeigen, dass Platon die „ARETE“ für lehrbar hält. Dann werde ich prüfen, ob sich Platons These auch noch im 20./21. Jahrhundert behaupten kann, in dem die Erforschung der Seele, und mit ihr psychischer Prozesse wie dem Lernen, eigentlich erst ihren Anfang genommen hat. Am Beispiel der Moral werde ich Platons These mit den Errungenschaften der modernen Forschung vergleichen und so seine Annahme stützen.
2 ... lehrbar?
2.1 Was ist eigentlich ...?
Hier soll es darum gehen, was zur Zeit Platons unter dem Wort ARETE verstanden wurde. Der Dialog PROTAGORAS4 zeigt, dass es auch schon damals keinen Konsens über diese Frage
gab. So haben Protagoras und Sokrates zwei verschiedene Auffassungen von ARETE. Für
Protagoras ist ARETE die „Staatskunst“, also die Fähigkeit „im Staate durch Tat und Rede zu wirken“ [319a]. Sokrates betont dagegen immer wieder, dass die ARETE etwas sein muss, was dem Menschen wesensmäßig ist. So wie z.B. das Innehaben der Baukunst den Baumeister bestimmt, soll die ARETE den Menschen (nicht den Bürger) bestimmen5 (Wobei anzumerken ist, dass sich ein Grieche zur Zeit Platons einen Menschen, der nicht Bürger ist, kaum vorstellen konnte).
An einigen Stellen in Platons Werk werden von verschiedenen Personen Versuche
unternommen, die ARETE in Worte zu fassen. Sokrates nennt im PROTAGORAS „Gerechtigkeit, Besonnenheit und Frömmigkeit […] eines Mannes [a.et.]“ [325b]. Später kommt dann noch die „Tapferkeit“ [330c] hinzu. Im MENON gibt Menon verschiedene Definitionen von ARETE. Zum ersten gebe es „für jede Handlungsweise und für jedes Alter […] bei jedem Geschäft für jeden von uns seine [a.et.]“ [72a]. Daraus wird wieder deutlich, dass es nicht unbedingt so etwas wie einen einheitlichen ARETE-Begriff gab, denn auch im zweiten Anlauf zählt er wieder verschiedene ARETAI auf. Zu den oben genannten kommen noch „Weisheit“, „Großmut“ und „noch sehr viele andere“ [74a] hinzu. In [88a] werden zwei
weitere ARETAI aufgezählt: „Gelehrigkeit“ und „Gedächtniskraft“. Damit sei die Vielfalt des Begriffs „a.et.“ deutlich genug geworden.
Über eins scheinen sich die alten Griechen aber einig gewesen zu sein: dass die „[ARETE] zu den besonders schönen Dingen“ zählt.6 Ohne weiteres auch geben Sokrates Gesprächspartner
jedes Mal aufs Neue zu, dass es nicht nur schön, sondern auch gut ist die ARETE
zu besitzen.
Im Griechischen, „kalos k´agathos“. Hinter dieser Redewendung verbergen sich vier
verschiedene Aspekte (Ethik, Ästhetik, Glück, Praxis). So kann man davon ausgehen, dass der
ARETE-Begriff etwas bezeichnet, das, befindet es sich am Menschen, diesen moralisch gut – gerecht, ästhetisch gut – schön, glücklich, und praktisch gut – lebenstüchtig – macht.7
2.2 Was ist ... eigentlich?
Was versteht nun Platon unter ARETE? Alle Dialoge, die sich mit diesem Thema befassen,
kommen irgendwann einmal darauf zu sprechen, dass die ARETE ein „bestimmtes Wissen“ sein könnte (z.b: im CHARMIDES, in dem Besonnenheit, als Teil der a.et., als Wissen vom
Wissen und Nichtwissen bestimmt wird [167a].) Und tatsächlich, im LACHES gibt Platon –
ironischerweise als eine falsche Antwort auf eine andere Frage – seine Definition von ARETE:
das „Wissen von sämtlichen und wie immer sich verhaltenden Gütern und Übeln“
[199c], kurz das Wissen vom Guten und Schlechten.
Ein Mensch mit wenig Wissen vom Guten und Schlechten wäre demnach, wesensmäßig ein
schlechter, genau wie ein Baumeister, der wenig Wissen in der Baukunst hat. Aber auch
Protagoras’ Idee von ARETE findet sich in Platons Definition wieder, denn ein Mann mit
diesem Wissen könnte den Staat am besten leiten, weil er wüsste, was gut und was schlecht für diesen ist [171c]. Hat Sokrates im PROTAGORAS dieser Definition von a.et.
widersprochen, dann also nur, um darauf hinzuweisen, dass sie ein viel weiter gehender
Begriff ist.
Betrachten wir eine Definition von Menon als „das Vermögen, sich das Gute zu erwerben“
[78b]: Um hier Platons Idee zu übertragen, muss man „Wissen“ durch „Vermögen“ ersetzen.
Das klingt zunächst nicht so problematisch: wenn ich etwas machen kann, dann weiß ich auch wie es geht. Nur stimmt die Umkehrung nicht. Nur weil ich das theoretische Wissen besitze, ein Auto zu fahren, heißt das noch nicht, dass ich es auch kann. Hier ist also eher an ein praktisches Wissen zu denken, so wie die Baukunst nicht nur ein theoretisches, sondern eben auch ein praktisches Wissen ist.
Am Ende des MENON folgert Sokrates, die ARETE sei kein Wissen, sondern eine wahre
Meinung [99c]. Platon spricht damit ein Problem an, dass uns im Verlauf dieser Arbeit
nochmals begegnen wird. ARETE zu haben, hat unter Umständen nichts mit einer Verarbeitung von Wissen zu tun, sondern kann auch – oder muss – von irrationalen Gegebenheiten, zum Beispiel von Gefühlen, getragen werden.
2.3 Was ist ... heute?
Zunächst stellt sich die Frage, wie ARETE übersetzt werden soll. Die Geläufigste Übersetzung ist wohl „Tugend“, gefolgt von „Tüchtigkeit“, M. Kranz8 übersetzt „Gutsein“. Modernere
Interpretationen sprechen auch von „Kompetenz“.9
2.3.1 Tugend
Tugend ist ein eher altmodischer Ausdruck. Vom Wortstamm her kommt Tugend von „taugen“.
Jemand der Tugend hat, taugt also zu etwas. Wer zu etwas taugt, ist dadurch besser. Tugend macht einen Menschen also in irgendeiner Weise besser. Tugend im eigentlichen Sinne kommt der ARETE in ihren vier Teilaspekten also sehr nahe. Heute schwingt bei dem Wort Tugend jedoch immer so etwas wie „Moral“ im Unterton mit und man ist geneigt, die beiden Begriffe gleichzusetzen. Das ist der Grund warum die Übersetzter so sehr darum bemüht sind, andere Übersetzungen für ARETE zu finden. Moral ist zwar ein Teilaspekt der ARETE (ethischer Aspekt), füllt den Begriff aber keinesfalls aus.
2.3.2 Tüchtigkeit
Tüchtigkeit ist ein Versuch, die Moralische Komponente von „Tugend“ nicht so sehr zu
betonen. Jemand der ARETE hat, sei also tüchtig. Auch dieser Begriff hat seine Schwächen. Im heutigen Sprachgebrauch ist mit Tüchtigkeit vor allem Fleiß verbunden. Nun ist „fleißig sein“, genau wie „moralisch sein“ ein Teilaspekt der ARETE und man ist wieder versucht pars pro toto zu definieren und damit den Begriff einzuschränken.
2.3.3 Gutsein
Der Einschränkung von ARETE, an der die beiden vorigen Übersetzungsversuche gescheitert
sind, versucht man damit zu begegnen, dass man ARETE mit einem möglichst abstrakten
Begriff übersetzt. Da man durch ARETE „kalos k’agathos“ wird, soll nun das Besitzen von
ARETE mit Gut-sein, bezeichnet werden. Neben den semantischen Schwierigkeiten, die sich
dadurch ergeben, ist ein anderes Problem viel schwerwiegender: Was soll „Gutsein“
überhaupt sein? Kann man objektiv von etwas sagen, dass es gut ist? Man braucht immer eine Vergleichsgruppe, wenn man von etwas sagen will, dass es gut ist.10 Wer soll diese
Vergleichsgruppe bei der ARETE sein? Platon spricht das Problem im PROTAGORAS an,
indem Protagoras behauptet, auch der ungerechteste unter den Bürgern sei gerechter als ein Wilder [327d]. Dies widerspricht unserem heutigen Menschenbild.
Trotz der Schwierigkeiten, die sich mit dieser Übersetzung ergeben scheint es mir der richtige Weg zu sein, ARETE mit einem abstrakten Begriff zu übersetzen, oder die Übersetzung bleiben zu lassen, und direkt von ARETE zu sprechen. Trotzdem will ich noch die verbleibende Übersetzung abhandeln, denn von ihr verspreche ich mir eine gelungenere Übertragung des ARETE-Begriffs in die heutige Zeit.
2.3.4 Kompetenz
Ich kenne keine direkte Übersetzung von ARETE als Kompetenz, trotzdem liegt es nahe, die beiden Begriffe einander gegenüber zu stellen. Wer ARETE besitzt, der ist gerecht, schön, glücklich und vor allem lebenstüchtig. Auf diesen letzten Aspekt zielt die Übersetzung als Kompetenz. Jemand der kompetent ist, hat das Vermögen, in gewissen Situationen richtig zu handeln. Überträgt man die Kompetenz jetzt von einer bestimmten Situation auf das gesamte Leben, so kann man sagen, dass der, der lebenskompetent ist, richtig handelt, und demnach in direkter Konsequenz aus der Lebenstüchtigkeit, gerecht ist. Schön und glücklich sind erst nach einem weiteren Schritt aus der Kompetenz ableitbar. Aber hält man sich vor Augen, dass die Lebenskompetenz einem den Weg zum richtigen Handeln weist, und dass niemand hässlich und unglücklich sein will, so sind auch diese beiden Aspekte durch "Kompetenz" abgedeckt.
Die Übersetzung des von Platon gedachten ARETE-Begriffs mit "Kompetenz" ist also gelungen, weil man Kompetenz durchaus als Wissen/Unterscheidung von Gutem und Schlechtem bezeichnen könnte. Anders als ein rein theoretisches Wissen allerdings, gibt das Besitzen von Kompetenz noch die weitere Eigenschaft mit, dass mit diesem Wissen auch umgegangen werden kann, und dass es zum richtigen Zweck angewendet wird. In etwa diese Vorstellung muss Platon gehabt haben, als er ARETE als ein Wissen bestimmt hat.
2.3.5 Was ist ... heute?
Nach den Übersetzungsversuchen nun zurück zu unserer Ausgangsfrage. Ist die ARETE
etwas, das durch feste Grenzen vorgegeben wird? So wie etwa ein Quadrat, ein Rechteck mit gleichlangen Seiten ist. Das war es zur Zeit Platons und das ist es heute immer noch. Das Leben vor 2500 Jahren war allerdings keinesfalls das gleiche wie heute. Damals bestand ein Staat aus ein paar tausend Menschen, heute sind es zig Millionen/ teils Milliarden. Damals musste man, um etwas aus einem anderen Staat zu erfahren, tagelang reisen, heute genügt ein Klick ins Internet. Damals war ein Mann an seine Stadt gebunden (die Verbannung bedrohte den Lebensinhalt), heute ist es durchaus üblich, etwa wegen eines attraktiveren Arbeitsplatzes, in ein anderes Land zu ziehen. Ist nun die ARETE ein Begriff, der wie eine Form immer gleich bleibt, oder etwas, das sich im Laufe der Jahre ändert? ARETE als Wissen legt eine Interpretation nahe, die ARETE als bleibenden Begriffinhalt auffasst. Wenn die ARETE ein Wissen ist, dann ist sie das zu allen Zeiten. Nur ist sie ein bestimmtes Wissen. Und zwar vom Guten und Schlechten und dieser Begriff scheint mir nur bedingt unveränderlich. Sicher gibt es „das Gute“, aber nur als Idealvorstellung. Man kann nicht mit dem Finger auf „das Gute“ zeigen. Man kann sagen, „das ist gut und das ist schlecht“. Dabei zeigt man aber nicht auf das Gute, sondern auf etwas, das gut ist. Und wenn Sokrates 400 ante auf etwas gezeigt hat und gesagt hat, dass das gut ist, dann heißt das nicht, dass wir heute immer noch das gleiche tun würde. Offensichtlich ändert sich also unsere Vorstellung vom Guten und Schlechten. Auch der Blick in andere Kulturen lässt uns erkennen, dass mit dem Guten nicht immer das gleiche bezeichnet wird.
Zusammenfassend könnte man sagen, dass sich der Begriff der ARETE nicht verändert hat,
wohl aber der Gegenstand. ARETE ist demnach nach wie vor ein erstrebenswertes
Erziehungsziel, man sollte nur noch einmal darüber nachdenken, was der Gegenstand der
ARETE heute ist. ARETE ist – nach unserer Definition – das irgendwie geartete Wissen vom Guten und Schlechten, und zwar so, dass der Besitz des Wissens schon ausschlaggebend dafür ist, dass man sich gerecht, besonnen, fromm, großmütig, tapfer usw. verhält. Gerechtigkeit und Besonnenheit sind heute auch noch erstrebenswerte „Tugenden“, die Frömmigkeit dagegen, ist etwas, dem immer weniger Beachtung geschenkt wird, und man könnte sich fragen, ob man diese heute noch zu dem Wissen zählen würde, das die ARETE sein soll. Andererseits kommt in der modernen, sich ständig verändernden Welt neue Werte hinzu, etwa „Anpassungsfähigkeit/Flexibilität“ oder Informationskompetenz“ (was bedeutet, dass man selektieren muss, welche der unendlich vielen Sinneseindrücke wirklich wahrgenommen werden sollen). ARETE bleibt also auch in der heutigen Zeit ein Begriff mit vielen Facetten.
2.4 Ist ... lehrbar?
Zurück in die Zeit Platons. Unter den Griechen herrschten unterschiedliche Meinungen
darüber, ob die ARETE lehrbar sei. Dies zeigt die Frage des Menon gleich zu Beginn des ihm gewidmeten Dialogs: „Kannst du mir sagen, Sokrates, ist die Tugend lehrbar? Oder ist sie nicht lehrbar, sondern eine Sache der Übung? Oder ist sie weder Sache der Übung noch des Lernens, sondern etwas, das den Menschen von Natur oder auf irgendeine Weise zuteil
wird?“11 Mindestens drei Vorstellungen tauchen hier also auf. Zum ersten, dass man ARETE lernen kann, zum zweiten, dass man ARETE
üben kann und zum dritten, dass man keinen
Einfluss darauf hat, ob man ARETE besitzt oder nicht. Zunächst muss wohl der Unterschied zwischen lernen und üben erläutert werden. Lernen bezeichnet den Vorgang, des Übernehmens von Wissen, dass einem ein anderer vermittelt. Üben bedeutet, dass man etwas immer und immer wieder versucht, und so schließlich eine Möglichkeit findet, die einen zufrieden stellt.
Platons Argumentation ist sehr vielschichtig und von Dialog zu Dialog scheinen sich seine Ansichten zu widersprechen. So leuchtet im PROTAGORAS ein, dass es sinnlos wäre, wenn man Leute bestraft, weil sie keine ARETE haben, wenn diese nicht zumindest herstellbar sei [324a]. Für diese dritte Möglichkeit argumentiert Platon aber wieder im MENON, wenn er sagt, dass die ARETE einem „durch göttliche Schickung ohne Einsicht“ [100b] zuteil werde.
Genauso verhält es sich mit der Definition von ARETE. Immer wieder stößt Platon darauf, dass ARETE doch eigentlich ein Wissen sein müsste. Dann aber argumentiert er wieder dagegen. Wenn ARETE allerdings ein Wissen sein sollte, dann, so betont Platon, dann wäre sie lehrbar. Dass Platon ARETE für ein Wissen hält, zumindest für ein irgendwie geartetes Wissen, das sollte indes klar sein, denn diese These zieht sich durch alle Dialoge, die von der ARETE handeln. Folglich geht er auch davon aus, dass die ARETE
lehrbar ist. Warum argumentiert er aber so im Kreis herum, wenn das eine ausgemachte Sache ist?
3 Wollen und Handeln
Platon argumentiert in seinen Dialogen teilweise eine ganz andere Frage mit als die, ob die ARETE lehrbar ist. Wegen dieser Frage ist es auch nötig, seine eigentlich klare Überzeugung von mehreren Seiten zu beleuchten. Platons These ist, dass jeder, der weiß, was gut und schlecht ist, gut handelt. Wissen ist der ausschlaggebende Faktor für eine gute Handlung.
3.1 Jeder will das Gute
Im MENON behauptet Platon, dass jeder Mensch das Gute will [77b ff]. Dass das Argument
gelingt, liegt am Ende aber daran, dass Sokrates die Bedeutung des Wortes „wollen“ auf
„Anteil haben wollen“ einschränkt. Er behauptet, dass „das Schlechte wollen“
gleichbedeutend wäre, mit „wollen, dass einem Schlechtes widerfährt“. Diese Argumentation ist natürlich unvollständig.
Während die These „jeder will für sich das Gute“ sicher von jedem als haltbar eingestuft werden wird, scheint es uns doch möglich, dass jemand „für einen anderen das Schlechte wollen“ kann. Die Frage, die sich dann allerdings direkt stellt, ist, ob derjenige das Schlechte für den anderen nicht nur deshalb will, weil er „das Schlechte für den anderen“ für „das Gute für sich selbst“ hält. Oft will man auch das kurzfristig Schlechte, um ein langfristiges Gutes zu erreichen, oder genau andersrum. Auch hier kann man nicht davon sprechen, dass man das Schlechte wollen würde. Die These Platons ist, dass man beim Wollen eine Kosten-Nutzen-Rechnung macht und sich am Schluss für das entscheidet, was einem das Bessere zu sein scheint. Diese richtet sich nach dem ideell Guten, denn nicht der persönliche Vorteil zählt, sondern das, was das Beste für alle ist. Dies wird im CHARMIDES deutlich, wenn Sokrates davon schwärmt, welchen Nutzen es hätte, wenn nur Männer, die ARETE innehaben, den Staat leiten würden [171d f]. Denn allein der Besitz dieses Wissens würde schon garantieren, dass der Staat gut geleitet wird. Denke ich an die Börsenmakler, wegen denen wir jetzt in der Wirtschaftskrise stecken, dann können diese nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht gewesen sein. Noch dazu auf einen kurzfristigen. Soll das das Gute gewesen sein? Oder kann man sagen, dass diese Makler einfach keine ARETE besessen haben? Argumentiert man so, stellt man fest, dass am Ende so gut wie niemand ARETE besitzt, weil keiner nach dem für alle
Guten, sondern alle nur nach dem für sich Guten streben.
Meine Vermutung geht also immer noch in die Richtung, dass man sich auch noch nach einer solchen Pro-und-Kontra-Auflistung für das Schlechtere entscheiden könnte.
3.2 Gut handeln
In diesem Kapitel soll deutlich werden, dass das Handeln zwei Aspekte aufweist. Zum einen einen Wissensaspekt, den Platon bei der Definition von ARETE anspricht, zum anderen einen, ich will ihn vorerst Absichtsaspekt nennen, der für Platon durch das Wesen des Menschen determiniert ist. Um gut zu handeln reicht es also nicht, das Wissen davon zu haben, das eine bestimmte Handlung gut ist. Es reicht auch nicht zu wissen, wie diese bestimmte gute Handlung ausgeführt wird. Wichtig ist vor allem der Absichtsaspekt. Ich muss eine Handlung beabsichtigen, damit ich sie begehe (Ich spreche hier selbstverständlich nur von freiwilligen Handlungen). Wenn ich weiß, was ich tun muss, um etwas zu erreichen, dieses Ziel aber gar nicht beabsichtige, dann handele ich auch nicht in Richtung dessen.
3.3 Gutes Wollen und es sich verschaffen können
Besagte Szene aus dem MENON12 spricht darauf an, dass ARETE das Vermögen ist, sich Gutes verschaffen zu können, wenn man Gutes will. Nachdem wir von der These ausgehen, dass jeder Mensch Gutes will, ist die Absicht zu einer guten Handlung a priori gegeben. Man muss nur wissen wie, um gut zu handeln. Dieses Wissen bezeichnet Platon als ARETE.
4 Moral ist lehrbar
Der Kern dieser Arbeit besteht darin, das antike Bild von ARETE mit dem der modernen
Forschung zu vergleichen. Als Beispiel für die moderne Forschung dient hier die
Moralforschung von Georg Lind. Die für meine Untersuchung interessanten Gesichtspunkte
seiner Arbeit werde ich im Folgenden kurz erläutern.
4.1 Moral als Teil der ARETE
Wie bereits zu Anfang gesagt, ist die ARETE viel mehr, als die Moral. Moral bezeichnet nur den ersten Aspekt der vier Arten von Gut-sein. Dennoch ist es sinnvoll im Zusammenhang der Frage, ob ARETE lehrbar ist, über die Lehrbarkeit von Moral nachzudenken. Denn erwiese sich die Moral als nicht lehrbar, so wäre es die ARETE
als Ganzes auch nicht. Ausdrücklich möchte ich darauf hinweisen, dass wir im Folgenden immer nur einen Teilaspekt der ARETE betrachten.
4.2 Was ist Moral, was ist moralisch ?
Zunächst sollt geklärt werden, was wir überhaupt unter Moral verstehen. Ähnlich wie oben will ich zunächst ein paar Definitionen vorlegen.13
Moral…
… als Übereinstimmung des Verhaltens mit sozial vorgegebenen Erwartungen und
Normen (Normenkonformität)
… als Übereinstimmung des Verhaltens mit den eigenen moralischen Idealen und
Prinzipien (Gewissen)
… als Fähigkeit, in Bezug auf die eigenen moralischen Ideale konsistent und in Bezug
auf die jeweilige Situation angemessen (differenziert) zu urteilen und zu handeln
(Fähigkeitsdefinition)
Platon würde Moral etwa so definieren: „Moral ist das Wissen vom Gerechten und
Ungerechten;“ wobei auch dieses Wissen wieder handlungsweisend sein müsste. Moralisch
gut ist, also zunächst eine soziale Frage. Interessanterweise gibt es, obwohl die rechtliche Lage in den verschiedenen Kulturen und Ländern unterschiedlich ist, einen hohen Konsens darüber, welche moralischen Ideale gut sind.14 Trotzdem unterscheiden sich moralische Handlungen verschiedener Kulturen. Das deutet schon darauf hin, dass Moralisch-Sein nicht nur eine Frage von reinem Wissen sein kann. Das GE-Wissen spielt hier nämlich eine entscheidende Rolle. So hat zum Beispiel (so gut wie) jeder Mensch das moralische Ideal, dass man das Eigentum andere achten soll und stehlen nicht gut ist. Trotzdem kann es jemand, der sich in einer Notlage sieht, es moralisch, vor seinem Gewissen rechtfertigen, etwas zu stehlen. Ist diese Handlung dann unmoralisch? Ich will die Frage mit einem weiteren Beispiel verdeutlichen.
Embryonenspenderin Lara
Lara ist 16 und wohnt in einem armen, südamerikanischen Land. Sie hat keine Ausbildung
und findet nirgends eine Anstellung. Die Aussichten sind gering, je einen zu bekommen, da es bereits viele Arbeitslose gibt. Auch ihre Eltern sind ohne Arbeit und ihre jüngeren Geschwister gehen noch zur Schule. Eines Tages kommt eine Ärztin in ihren Ort. Sie sagt, sie arbeite für einen großen Pharmakonzern. Der würde viele Embryonen benötigen für neue gentechnische Heilungsmethoden. Junge Frauen könnten viel Geld verdienen, wenn sie sich für fünf Jahre lang verpflichten würden, sich einmal im Jahr künstlich befruchten zu lassen und den Embryo der Firma zu geben. Das Geld das Lara angeboten wurde, würde genügen, sich und ihre Familie zu ernähren und dazu noch eine Ausbildung als Lehrerin zu machen. Lara plagen Zweifel. Sie ist streng katholisch erzogen worden und eine Abtreibung würde ihr schwer gefallen. Noch viel schwerer aber fällt ihr der Gedanke, ihren Embryo zu verkaufen und das jedes Jahr wieder zu tun. Aber sie weiß nicht mehr, wovon sie in Zukunft leben soll. Daher beschließt sie, den Vertrag zu unterschreiben, den ihr die Ärztin angeboten hat.15
Dies ist eine Moralisches Dilemma aus der Konstanzer Methode der Dilemma-Diskussion
(KMDD) nach Lind, auf die ich später noch zu sprechen kommen werde. Worauf es mir bei
diesen Beispielen ankommt ist, dass Moral nicht eine reine Frage der Normenkonformität,
aber auch keine reine Frage des Gewissens ist. Moral ist vielmehr die Fähigkeit, zwischen diesen beiden Möglichkeiten zu vermitteln. Damit wird jetzt schon deutlich, dass die ARETE zumindest zu einem Teil eine Fähigkeit ist, wobei diese „Fähigkeit“ noch näher zu beschreiben ist.
4.3 Das Zwei-Aspekte-Modell des moralischen Verhaltens
Nach dieser Erkenntnis, dass Moral eine Fähigkeit ist, haben Psychologen im 20. Jahrhundert versucht, ein Modell des moralischen Verhaltens zu entwerfen. Hier wurde immer wieder zwischen verschiedenen Komponenten unterschieden. Lind wirft dieser Entwicklung vor, dass sie die verschiedenen Aspekte so getrennt voneinander betrachtet, dass sie schließlich ein und dasselbe Verhalten als unterschiedliche Verhaltensweisen interpretiert. Dem entgegen setzt er sein Zwei-Aspekte-Modell des moralischen Verhaltens. Er geht davon aus, „dass (fast) alle Menschen moralische Ideale oder Prinzipien haben, für deren Anwendung im Verhalten sie eine Reihe moralischer Fähigkeiten benötigen.“16 Zwei Aspekte also bedingen moralisches Verhalten. Zum einen die moralischen Ideale und Prinzipien (Affekt), zum anderen die moralischen Fähigkeiten (Kognition). Beide Aspekte sind untrennbar für das moralische Verhalten verantwortlich. Sie können unterschieden werden, müssen aber immer im Zusammenhang gesehen werden, weil sie alleine keinen Sinn machen. Der Affekt allein stellt zwar klar, was richtig und was falsch ist, initiiert aber keine Handlung. Die Kognition dagegen, ist ausschlaggebend für eine Handlung, ohne den Affekt fehlt ihr aber der Inhalt.
4.4 Folgerungen für die Lehrbarkeit von Moral
Nachdem wir gesehen haben, dass Moral auf zwei Aspekten beruht, können wir über die
Lehrbarkeit von Moral nachdenken. Klar ist, dass Moralische Ideale und Prinzipien vermittelt werden können, denn sie sind ein Wissen vom Guten und Schlechten, allerdings, im Gegensatz zu Platon, ein Wissen, das nicht handlungsweisend ist.
4.4.1 Der Affekt-Aspekt
Menschen können auf verschiedenen Argumentationsstufen moralische Urteile fällen. Jean
Piaget unterschied die präkonventionelle, die konventionelle und die postkonventionelle
Moral. Lawrence Kohlberg, der Moralforscher des 20. Jahrhunderts schlechthin, entwickelte auf dieser Basis sein Stufenmodell der moralischen Argumentation. Dabei unterteilte er die drei Ebenen Piagets jeweils noch mal in zwei Stufen. Kohlberg ging davon aus, dass sein Stufenmodell ein Entwicklungsmodell ist. Diese Theorie ist allerdings überholt. Es ist erwiesen, dass Menschen, die bereits auf einer höheren Stufe argumentieren auch in niedrigere Stufen zurückfallen können. Man kann also nicht von einer Entwicklung von den niedrigen zu den hohen Stufen sprechen.
Stufen moralischer Argumentation nach Lawrence Kohlberg17
Stufe 1 Gut ist, körperliche Schäden und Verletzungen (Strafe) zu vermeiden.
Stufe 2 Gut ist, Vorteile (Belohnungen) zu erlangen, auch wenn dafür Nachteile in Kauf
genommen werden müssen.
Stufe 3 Gut ist, eine gute (nette) soziale Rolle zu spielen und dadurch Missbilligung
anderer zu vermeiden, bzw. Anerkennung herzustellen.
Stufe 4 Gut ist, die gesellschaftliche Ordnung aufrecht zu erhalten, Gesetze zu wahren
und seine Pflichten zu erfüllen.
Stufe 5 Gut ist, die Grundrechte zu achten, auch wenn sie unter Umständen nicht mit den
Gesetzen der Gesellschaft korrelieren.
Stufe 6 Gut ist, nur nach der Maxime zu handeln, von der man wollen kann, dass sie ein
allgemeines Gesetz wird. (Kategorischer Imperativ)
Betrachtet man nun eine Situation, wie das Lara-Dilemma18, so kann man auf verschiedenen Stufen argumentieren und kommt unter Umständen zu jeweils anderen Ergebnissen. Nach der zweiten Stufe, wäre Laras Entscheidung richtig, weil sie und ihre Familie einen gewaltigen Nutzen davon haben, nach der fünften oder sechsten Stufe dagegen, wäre sie falsch, weil man Leben nicht wie eine Ware behandeln darf, bzw. jeder Mensch Selbstzweck ist.
Hervorzuheben ist also noch mal, dass der Affekt noch keine Handlung vorschreibt. Dennoch ist ohne dieses Wissen eine moralische Handlung undenkbar, denn würde eine Entscheidung nicht aufgrund dieser Prinzipien gefällt, so wäre es keine moralische Entscheidung.
Erstaunlicherweise haben, beachtet man, wie oft man unmoralischem Verhalten begegnet, die meisten Menschen die gleichen moralischen Prinzipien.19 Dies verdeutlicht noch einmal die Nötigkeit eines zweiten Aspektes, der die Diskrepanz zwischen der Gleichheit in den moralischen Werten und dem Unterschied im sozialen Verhalten überbrückt.
4.4.2 Der Kognitions-Aspekt
Der zweite Aspekt moralischen Verhaltens ist die Kognition. Um diesen Aspekt dreht sich die Frage nach der Lehrbarkeit von Moral, nachdem wir den Affekt-Aspekt als Wissen
identifiziert und damit als für lehrbar erklärt haben. Die Kognition stellt in gewisser Hinsicht eine Einstellung dar, die wir zu den einzelnen Urteilen auf den verschiedenen Stufen einnehmen. Hat man eine Einstellung, so bekommt man bestimmte Gefühle, falls ein gewisser Sachverhalt vorliegt. Kann man diese Gefühle lehren? Sicher kann man sie konditionieren.20
Ein konditioniertes Gefühl, kann aber nicht das sein, was die Moralforschung unter einer entscheidenden Instanz versteht. Man würde eine Entscheidung, die aufgrund von
Gewohnheit getroffen wird, nicht moralisch nennen. Was man sicher lernen kann, ist mit
Gefühlen umzugehen. Damit sind beide Aspekte des Modells lehrbar.
4.5 Ist Moral lehrbar?
Lind sagt, dass Moral lehrbar ist, und belegt dies mit seiner Forschung. Zum einen hat er mit dem Moralisches-Urteil-Test (MUT) ein Verfahren entwickelt, mit dem man messen kann, wie sich die moralische Urteilsfähigkeit entwickelt, zum anderen hat er mit der KMDD (Konstanzer Methode der Dilemma-Diskussion) eine Methode geschaffen, mit der sich die moralische Urteilsfähigkeit steigern, also Moral lehren lässt. Beide Konzepte sind
Weiterentwicklungen Kohlbergs Forschung und ich will ihnen je ein kurzes Kapitel
widmen.21
4.5.1 Moralisches-Urteil-Test
Der MUT ist ein Fragebogen, mit dem die moralische Urteilsfähigkeit des Teilnehmers
gemessen werden kann. Zu zwei verschiedenen moralischen Konflikten muss der Teilnehmer
seine Meinung äußern. Anschließend bekommt er je Konflikt zwölf Argumentationen
vorgelegt, die die Handlung der Personen aus den Dilemmata rechtfertigen oder verurteilen. Dabei gibt es eine Rechtfertigung und eine Verurteilung der Situation pro Stufe des Kohlbergschen Stufenmodells. Die Aufgabe des Teilnehmers ist es nun, die Argumente danach zu beurteilen, wie sehr er sie akzeptiert. Dabei spricht es für eine hohe moralische Urteilsfähigkeit, wenn der Teilnehmer gute Argumente beider Seiten zulässt und nicht nur die akzeptiert, die für seine eigene Einstellung zu dem Konflikt stehen.
4.5.2 Konstanzer Methode der Dilemma-Diskussion
Bei der KMDD wird den Teilnehmern ein moralisches Dilemma vorgelegt. Jeder Teilnehmer
macht sich zunächst sein eigenes Bild von der Situation. Danach erläutert jeder kurz, ob er findet, dass die Person im Dilemma richtig gehandelt hat oder nicht. Dementsprechend werden die Teilnehmer nun in zwei Gruppen eingeteilt, in denen sie überlegen, warum ihre Ansicht die richtige ist. Der Kern der KMDD besteht dann darin, dass sich die beiden Gruppen gegenübertreten und ihre Ansichten diskutieren. Die Diskussion läuft nach strengen Regeln ab. So trägt immer einer sein Argument vor und wählt dann einen der anderen Gruppe aus, der darauf erwidern darf. Dieser wählt dann wieder einen der ersten Gruppe aus („PingPong-Regel“). So moderiert sich die Diskussion weitgehend alleine. Die Diskussion endet, wenn keine Argumente mehr vorgebracht werden oder ein Zeitlimit erreicht ist. Zum Ende werden die Teilnehmer nochmals danach gefragt, ob sie das Handeln im Dilemma für richtig befunden haben.
Mit dem MUT konnte Lind belegen, dass die KMDD tatsächlich die Moralische
Urteilsfähigkeit steigert. Somit hat er nicht nur bewiesen, dass Moral lehrbar ist, sondern er gibt auch ein Mittel an die Hand, wie man Moral lehren kann.
5 Fazit
Vergleicht man nun die philosophische Idee von Platon mit der psychologischen Arbeit von Lind, so fällt zunächst eine Parallele auf. Beide bestimmen ..et.
als Wissen. Dazu kommt bei beiden noch ein weiterer Aspekt. Bei Platon die Absicht, das Wissen anzuwenden, die wie er sagt, schon durch das Wissen selbst bedingt ist. Bei Lind die Kognition, eine Fähigkeit moralische Urteile abzuwägen und einen Handlungsimperativ daraus abzuleiten. Beide kommen zu dem Ergebnis, dass ARETE lehrbar sein muss und b e i d e, geben ein Konzept an, wie man sie lernt. Lind, einen Dialog, bei dem es darauf ankommt, das Problem möglichst von allen Seiten zu beleuchten um sich dann ein eindeutiges Bild davon machen zu können.
Und Platon? Man muss sich im Gespräch erinnern [82a], oder von Sokrates’ Zaubersprüchen
bereden lassen [176b]. Mit anderen Worten, den Dialog suchen um jede Frage von Grund auf zu beantworten, stets mit der Einsicht, dass man eigentlich nichts weiß und dass man das Problem möglichst von allen Seiten beleuchten muss um sich dann ein eindeutiges Bild davon machen zu können.
6 Literaturverzeichnis
Brezinka, Wolfgang: Tüchtigkeit, München/Basel, 1987
Koop, Hugo: Über die Lehrbarkeit der Tugend, Würzburg-Aumühle, 1940
Lind, Georg: Moral ist lehrbar, München, 2007
Lind, Georg: Ist Moral lehrbar?, Berlin, 2002
Platon: Menon, Übers. Kranz, Margarita, Stuttgart, 2008
Platon: Protagoras, Übers. Krautz, Hans-Wolfgang, Stuttgart, 2004
Platon: Sämtliche Werke in drei Bänden, Hersg. Loewenthal, Erich, Darmstadt, 2004, Band I
Pleines, Jürgen-Eckardt: Studien zur Ehtik, Hildesheim/Zürich/New York, 1992, (Kapitel
13.1 "Ist Tugend lehrbar")
Stemmer, Peter: Gutsein, in Zeitschrift für philosophische Forschung, Band 51, 1997
Anmerkungen
1 Frei nach http://www.gierhardt.de/schulsprueche.html
2 z.B.: Bauer, Joachim: Lob der Schule, Hamburg, 2007
3 z.B.: Schäfer, Alfred: Einführung in die Erziehungsphilosophie, Weinheim, 2005
4 Wörtliche Zitate beziehen sich soweit nicht anders vermerkt immer auf die Ausgabe Platon: Sämtliche Werke in drei Bänden, Loewenthal, Erich (Hrsg.), Darmstadt, 2004
5 Vgl. Koop, Hugo: Über die Lehrbarkeit der Tugend, Würzburg-Aumühle, 1940 S. 11
6 Vgl. z.B. Laches, 192c
7 Roth, Volkbert M.: Proseminar „Sokrates“, am 04.05.09
8 Platon: Menon, Übers. v. Magarita. Kranz, Stuttgart, 2008
9 Vgl. Brezinka, Wolfgang: Tüchtigkeit, München/Basel, 1987, I.4.
10 Vgl. Stemmer, Peter: Gut sein, in: Zeitschrift für philosophische Forschung, Band 51, 1997
11 Platon: Sämtliche Werke in drei Bänden, Loewenthal, Erich (Hrsg.), Darmstadt, 2004, Band 1, S. 413
12 Vgl. 3.1
13 Tabelle in: Lind, G., Moral ist lehrbar, München, 2003, Seite 33
14 Ebd. Seite 42
15 Ebd. Seite 147
16 Ebd. Seite 39
17 Tabelle angelehnt an: http://www.stangltaller.
at/ARBEITSBLAETTER/MORALISCHEENTWICKLUNG/Kohlbergmodell.shtml und Lind, G., Moral
ist lehrbar, München, 2003, Seite 50
18 Vgl. 4.2
19 Wie eine Studie 1912 herausfand, haben straffällig gewordene Jugendliche dieselben moralischen Werte wie
nicht straffällig gewordene (vgl. Lind, G., Moral ist lehrbar, München, 2003, Seite 18)
20 Man denke an Angsttherapien
21 Für Näheres siehe: Lind, G., Moral ist lehrbar, München, 2003 oder Lind, G., Ist Moral lehrbar?, Berlin, 2002
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