Montag, Mai 07, 2007

(m)eine philosophische praxis

Unter diesem Titel stellte uns die Basler Philosophin Martina Bernasconi ihr Tätigkeitsfeld vor. Bereits während ihres Studiums hatte sie sich die Frage gestellt, welchen Bezug antike Denkanstösse zu ihrem persönlichen Leben haben könnten, da sie sich mit dem reinen Vermitteln von Wissen nicht zufrieden geben wollte. Dies bestärkte sie auch in dem Ent-schluss, ihre eigene „Denkpraxis“ zu gründen (www.denkpraxis.ch).
Martina Bernasconi ist Mitglied der „internationalen Gesellschaft für philosophische Praxis“ (IGPP), die 1982 durch Gerd B. Aschenbach in Bergisch Gladbach bei Köln/Bonn gegründet
wurde. Diese sieht sich nicht primär als Berufsverband, sondern vereinigt Mitglieder, die Interesse daran haben, dass dem Wort „philosophische Praxis“ ein „vernünftiger, aber noch zu entwickelnder und zu klärender Inhalt zukommen soll, angesprochen in der Idee, dass den Menschen Ressourcen zugänglich werden , die in der philosophischen Tradition teils vorbereitet, teils ausgestaltet und in den Möglichkeiten des Philosophierens selbst stets gegeben sind“ (www.igpp.org). Die IGPP führt zahlreiche Veranstaltungen wie z.B. Kollo-quien und Seminare durch und verfolgt gemeinsame Projekte zum Thema der „philoso-phischen Praxis“.
Man bezeichnet die Personen, die in eine philosophische Praxis kommen, als „Klienten, Rat- und Hilfesuchende, Kundschaft“ oder auch als „Gäste“. Obwohl sie der Überzeugung ist, dass Psychotherapie und philosophische Beratung sehr viel Gemeinsamkeiten haben, sieht Martina Bernasconi den grundlegenden Unterschied darin, dass philosophische Beratung nicht heilen will, also keinen therapeutischen Zweck verfolgt, weswegen sie auch den Begriff „Patient“ bewusst vermeidet. Zwar sei es durchaus vorstellbar, dass auch kranke Menschen in eine philosophische Beratung kämen, doch dürfe es nicht Ziel sein, durch die Beratung zu gesunden. Wichtige Themen einer philosophischen Beratung seien die Frage nach dem Lebenssinn, nach Krankheit sowie dem Tod.
Mit der philosophischen Beratung allein ist ihr Tätigkeitsfeld aber noch lange nicht abgesteckt. So führt Martina Bernasconi z.B. Lektürekurse mit interessierten Kreisen durch, entwirft Leitbilder für Firmen und leitet Seminare zum Thema „Philosophieren mit Kindern“. Die Grenze zwischen einem Lektürekurs und einer philosophischen Beratung zieht die Philosophin dort, wo es um die Frage gehe, was dieser oder jener Text konkret für das Leben eines Klienten bedeuten könnte. Martina vollzieht im Weiteren auch Trauungen für Leute, die sich mehr als eine amtliche Eheschliessung wünschen, wenn kirchliche Trauungen jedoch ausgeschlossen sind oder nicht gewünscht werden.
Das weite Tätigkeitsspektrum, das eine philosophische Praxis bietet, zeigt aber auch klar, in welchem Spannungsfeld sie sich befindet. Zum einen muss sie sich gegenüber der akade-mischen Philosophie etablieren, von dessen Vertretern ihr oft eine Existenzberechtigung abgesprochen wird. Reibungsflächen bestehen aber auch mit der Theologie und der Psychotherapie. Martinas Wunsch für die Zukunft wäre die Integration Ihrer Praxis in ein Netzwerk (Philosophische Beratung/Arzt/Notdienst/Polizei).
Die anschliessende rege Diskussion zeigte auf, dass gerade die von Martina propagierte Abgrenzung gegenüber der Psychotherapie gelegentlich schwierig sein kann. So lässt sich u.a. auf der Homepage der IGPP lesen: „ ‚Philosophische Praxis’ ist daher in ihrer Mitte zwar nicht Therapeutik – aber deshalb nicht bloss strikt Gegenteil der bzw. Alternative zur Thera-pie, sondern selbst orientierend für Therapieformen.“ Auch Martinas Plan, im nächsten Jahr mit anderen Spezialisten an einem Camp in Südafrika zur Begleitung von Patienten mit einem Burnout-Syndrom teilzunehmen, lässt die Überschneidung der philosophischen Beratung mit Psychotherapie erahnen. Mindestens, so könnte man sagen, scheint der therapeutische Zweck, wenn schon nicht intendiert, wenigstens in Kauf genommen zu werden.....
Martina Bernasconi zeigte uns einen höchst interessanten Einblick in ihr breites Tätigkeits-feld und füllte so den Begriff der „philosophischen Praxis“ mit zahlreichen Inhalten.

Biographie:
1965-1972 Geboren in Basel; aufgewachsen in Reinach/BL

1972-1979 Schule in Münsingen/Bern

1979-1985 Internat in Beromünster/LU. Matura an der Kantonsschule Beromünster

1985-1992 Studium der Philosophie, Literatur-, Sprach- und Medienwissenschaften an der Universität Basel. Lizentiatsarbeit bei Annemarie Pieper: „Hanna Arendt: Gedanken zum Denken“.

1992-1995 Promotionsstudium an der Freien Universität Berlin. Schwergewicht: Politische Philosophie. Dissertationsprojekt: „Suspekte Subjekte- Aufklärungskritik im 20. Jahrhundert“.

1995-1996 Forschungsstipendiantin des Schweizerischen Nationalfonds an der New School for Social Research in New York. Schwergewicht: Philosophie und Psychoanalyse.

1997-2000 Lehrauftrag am Philosophischen Seminar der Universität Basel.

2000-2001 Ausbildung zur Gymnasiallehrerin für die Fächer Philosophie und Deutsch

2001-2003 Praktische Philosophiekurse an verschiedenen Institutionen. Dozentin an der freien Kunstakademie Basel. Gründung: „Denkpraxis“.

2005 Beginn Ausbildung am Psychoanalytischen Seminar Zürich

2007 Organisation des Sommertreffens der philopraxis.ch in Basel

Arnegg, 28.04.2007 Paul Bischof

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