DOMIN
2 für 30. JUNI 2019 FINISSAGE
V.M.
Roth
Am
12.6. habe ich zum Lebenskontext von HILDE DOMINS Gedichten hier in
der Ausstellung
LOS G E L Ö S T von Marianne Hagemann - mich auf die erste
Lebenshälfte konzentriert und dabei auch auf das Verhältnis zu
Erwin Walter Palm,
der gemeinsamen Vertreibung aus dem Land der Muttersprache und im
weiteren Verlauf dann der einsam machende Verlust des >Hauses
der Liebe< - eigene Gedichte ab 1949. Ich
habe vorweg aber auch aufmerksam darauf gemacht, dass Domin in
der zweiten Lebenshälfte einen Bogen schlug vom ICH (dem „lyrischen
Ich“ des Zwischentitels aus NUR EINE ROSE ALS STÜTZE - erster
Lyrikband 1959) zum
erlebten WIR mit dem 1988 verstorbenen Mann.
Das ist ja die nächstliegende Bedeutung, wenn aus „Ich
setzte den Fuß in die Luft/ und sie trug“ der Grabspruch (für
das Doppelgrab) „Wir
setzten …“ wird. Vorab:
Daten SG 307
Hilde
Domin wird sich nie ganz von ihrem Mann trennen und ihn um 18 Jahre
überleben und ihm noch manches Gedicht widmen.
Ich
habe mich bezogen auf die Luft
als ein Bild für kreatives Leben.
Dies gilt für Beide, Palm und Domin. Künstlerische Tätigkeit
(KUNSTEN) ist ja insofern "luftig" als sie nicht jene
„Festigkeit“ hat wie „handfeste“ Alltagstätigkeiten – in
(ich sage mal) „normalem Gewerbe“, aber auch Hausarbeit,
Gartenarbeit, Tätigkeiten in Politik und Wissenschaft. Die von
Marion Tauschwitz verfasste Hilde-Domin- Biografie gibt dem Thema des
erlebten Unterschieds zwischen Mann und Frau im 20. Jhdt. breiten
Raum. Im Anschluss an den Vortrag vom 12.6. entstand der Plan zur
heutigen Fortsetzung am Ausstellungsende.
Ich
bin dann in die Universitätsbibliothek Konstanz gegangen und habe
dort neben Tauschwitz ein umfangreiches Werk von Stephanie
Lehr-Rosenberg gefunden mit dem Motto: „
>Ich setzte den Fuß in die Luft, und sie trug<“ und
dem Titel: „Umgang
mit Fremde und Heimat in Gedichten Hilde Domins.“ Würzburg
2003
Die
Autorin Stephanie L-R hat sich mit dieser Arbeit über Hilde Domin
habilitiert an der Fakultät für katholische Theologie der Uni
Würzburg. Sie gibt als Einsatzgebiet die Erwachsenenbildung
an (Das geschieht hier ja auch)
Und
sie sagt von sich selber: „Dass
die Luft, auf die ich (Stephanie) meinen Fuß setzte, trug, dafür
sind an erster Stelle die Gedichte selbst verantwortlich.“
(S.9)
Diese
Autorin bringt in der Einleitung auch zur Sprache, dass sie einen
4jährigen Aufenthalt von 1983-1987 in Zaire / Kongo, Zentralafrika
hatte. In dieser Zeit versuchte sie sich in eine fremde Kultur
einzudenken/einzufühlen. Sie stellte sich dabei auch Fragen zu der
ihr vertrauten, mitgebrachten Wertsetzung. Zurückgekehrt nach D
stellt Stephanie L.R. dann fest, dass die Frage nach dem Umgang mit
Fremde und Heimat angesichts der „heutigen“ (1987ff) – doch das
gilt auch Jahrzehnte später noch – immer wieder aufkeimenden
Fremdenfeindlichkeit- ein aktuelles Thema von allgemeiner
gesellschaftlicher Relevanz und bei passenden Gelegenheiten
angemessen zu behandeln ist. Bei dafür Aufgeschlossenen mag auch
(wie hier) die Beschäftigung mit >
in-Malerei-gefallenen-Gedichten<
taugen:
WORTE
(1987)
Worte
sind reife Granatäpfel,
sie
fallen zur Erde
und
öffnen sich.
Es
wird alles Innere nach außen gekehrt …
Und
ich denke, das gilt auch für in
Malerei >eingewebte< Splitter
von manchen Gedichten DOMINs in Bildern dieser Ausstellung.
Einige
der Gründe für die heutige Fremdenfeindlichkeit lägen in den
Forderungen einer pluralen Gesellschaft an die einzelnen Menschen.
Überlieferte Wertsysteme können nicht mehr fraglos übernommen
werden.
1.
Die Spannung zwischen Fremde und Heimat gehört zu den
Grunderfahrungen menschlicher Existenz. 2.
Die Autorin L.-R. zitiert zur gegenwärtigen Gesellschaftslage Ulrich
Becks RISIKOGESELLSCHAFT: „Alles Leid-… (von) Menschen Menschen
zugeführt … kannte bisher die Kategorie der >Anderen<
… einerseits, andererseits die eigenen vier Wände“ hinter die
frau/man sich zurückziehen kann. (21) „Dies alles gibt es weiter
und gibt es seit Tschernobyl / 1986 nicht mehr“ so Beck 1986.
Dies sei das „Ende der Anderen“, das Ende unserer hochgezüchteten
Distanzierungsmöglichkeiten. Atombomben und Atomunfälle können
mondiale Auswirkungen haben wie die (bescheiden) „Klimawandel“
genannte >zivile< Erdklima-Veränderungstendenz, eine
vorausgesagte Katastrophe für Menschen in nicht mehr
menschenfreundlicher Natur (~ 2050 ? ). Diese Ausweitung
des Problems der
Vertreibung wirft für uns auch die Frage auf: ist denn Exilliteratur
wie Gedichte von Hilde Domin noch zeitgemäß? Hat sie in einer Zeit
globaler Bedrohung (ohne Exil- Möglichkeit) noch etwas zu sagen?
Dazu
lese ich nun das Gedicht
GRAUE
ZEITEN
Es
muss aufgehoben werden
als
komme es aus grauen Zeiten
Menschen
wie wir wir unter ihnen
durften
nicht bleiben
und
konnten nicht gehen
Menschen
wie wir wir unter ihnen
grüßten
unsere Freunde nicht
und
wurden nicht gegrüßt
Menschen
wie wir wir unter ihnen
standen
an fremden Küsten
um
Verzeihung bittend
dass
es uns gab
Menschen
wie wir wir unter ihnen
wurden
bewahrt
Menschen
wie wir wir unter ihnen
Menschen
wie ihr ihr unter ihnen
Jeder
kann ausgezogen werden
und
nackt gemacht
Die
nackten Menschenpuppen
nackter
als Tierleiber
unter
den Kleidern
der
Leib der Opfer
Ausgezogen
die noch morgens
die
Schalen um sich haben
weiße
Körper
Glück
hatte, wer nur gestoßen wurde
von
Pol zu Pol
Die
grauen Zeiten
ich
spreche von ihnen
als
ich jünger war
als
ihr jetzt
Und
wenn es beides wäre? – Das Ende des Gedichts, als Hilde jünger
war als die meisten von uns jetzt, spricht die historisch konkrete
Zeit im zwanzigsten Jahrhundert an. Und diese Zeit ist vorbei. (Was
nicht heißt, sie könnte nicht wiederkommen. Mit Brecht: der Schoss
ist fruchtbar noch, aus dem dies kroch) Aber es gibt auch andere
Passagen, wie die: „Glück
hatte, wer nur gestoßen wurde von Pol zu Pol“.
Eine globale Klimakatastrophe wird vielleicht gründlicher sein.
Und
dann kann es sehr wohl heißen:
„Menschen
wie wir
durften
nicht bleiben
konnten
nicht
(woandershin)
gehn“
Dies
ist, denke ich, eine sich durchziehende Charakteristik Dominscher
Gedichte, dass sie sowohl eine biographisch konkrete Interpretation
ermöglichen als auch eine davon losgelöste verallgemeinerte
Aussage, immer wieder neu zu fassen, nahelegen.
Dies
zu entdecken, braucht seine Zeit!
Im
Übrigen, wie die Autorin Lehr-Rosenberg „rezeptionsästhetisch“
bemerkt: in dieser Art von >Doppelinterpretation< liegt auch
die Möglichkeit je eigener Interpretation durch die Leser/Hörer als
Mitautor*en der Bedeutung, damit Mit-Schöpfer*innen des Gedichtes im
Wirkungsprozess, einem dialogischen Sprachakt.
Wieder
Becks RISIKOESELLSCHAFT zitierend fügt die Autorin an (25):
mit
dem Ausmaß der Gefahr wachse auch die Wahrscheinlichkeit ihrer
Leugnung.
Ein
geradezu prophetisches Wort!
(Wiederaufnahme
/ „Fortsetzung“ von Hölderlins „Doch in Gefahr, zeigt sich
das Rettende auch“) – Nicht immer!
Jetzt
mache ich einen Sprung hinein in den Beginn des Gedichts
ÜBERFAHRT
Ein
Kind
das
macht die Ferne
es
hat lockeres weißes Haar
es
trägt ein schwarzes Kleid
es
ist kein Kind
es
steht in einem Boot
mir
abgewandt
es
hebt die Arme –
nicht
zu mir –
auf
der anderen Seite ist Land
(Der
Baum blüht trotzdem, S. 40)
SPRECHER
PAUSE
Gibt
es Wortmeldungen -
Gedichtband
ICH WILL DICH (1970) → Freiheit
ÄLTER
WERDEN
Die
Sehnsucht
nach
Gerechtigkeit
nimmt
nicht ab
Aber
die Hoffnung
Die
Sehnsucht
nach
Frieden
nicht
Aber
die Hoffnung
Die
Sehnsucht
nach
Sonne
nicht
täglich
kann das Licht kommen
durchkommen
…
Aber
die Liebe
der
Tode und Auferstehungen fähig
wie
wir selbst
und
wie wir
der
Schonung bedürftig
…
Hand
in Hand mit der Sprache
bis
zuletzt
Gibt
es Wortmeldungen -
GESAMMELTE
GEDICHTE (1987)
HECKENROSE
Mir
träumte ich sei eine Heckenrose
mit
blassen Blättern
über
dem engen Kelch
Du
gingst vorbei.
Da
war ich eine Hagebutte,
bunt
und voll Samen.
(DAS
ist nur der Anfang – SG 217)
Gibt
es Wortmeldungen -
SG
235 FRAGMENT
Ein
jeder geht eingehüllt
in
den Traum von sich selber.
In
manchen Träumen ist Raum
für
den Zweiten
wie
in einem Doppelbett.
Fast
in allen.
Gibt
es Wortmeldungen - ?
ZETTEL in Marion
Tschirwitz 2015
168
212f
222 HD PHILO REINER WIEHL
226 ab 1949
227 Muttersehnen
Schiffe
241 aus selbem Brunnen
297 gemeinsam
395 IN DEN AUGEN DER
ANDEREN
letzte
Hand anlegend in der Galerie Gunzoburg Überlingen Vortrag
Ausstellungsende
30.
Juni 2019 Volkbert M. Roth, SinnPraxis Bodensee
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