Ausstellung Marianne
Hagemann 12.6. Vortrag PD V.M. ROTH
HILDE
DOMIN *1909 Köln – 1940 Santo Domingo- 1954 -2006 in Europa:
Spanien und Heidelberg
HILDE
–
(mit wechselnden Nachnamen: vor 110 Jahren in Köln geborene
Löwenstein, verheiratete Palm (Rom), Dichtername DOMIN "Ich
nannte mich/ ich selber rief mich/ mit dem Namen einer Insel"
nach
dem Exil in der DOMINi-kanischen Republik) ist 2006 in Heidelberg
beerdigt worden. Auf der Grabplatte die Inschrift:
Wir setzten den Fuß
in die Luft / und sie trug
Dies ist eine
Abwandlung eines Zwischentitels im ersten Gedichtband Nur
eine Rose als Stütze (1959):
Ich setzte den
Fuß in die Luft, und sie trug
Hier höre ich DENNOCH mit.
Dieses Mitzuhörende
auszusprechen nimmt einerseits Bezug auf die Biografie. Marianne
Hagemann gab mir diesen Band von Marion Tauschwitz. Ich kann ihn
weiterempfehlen. Der Wechsel vom „Ich“ zum „Wir“ kann auf
verschiedene Weisen gedeutet werden.
Mitzuhören ist aber auch der
poetologische Oberton. Da ist die interne Spannung zwischen
Den-Fuß-in-die-Luft-setzen (ein Bild für kreative, geistige
Tätigkeit überhaupt?) und dem überraschenden Und-sie (die
Kunst?) -trug. Vom Gedicht in der Lebensmitte zum Grabspruch
wird ein Bogen geschlagen. Und es besteht eine Beziehung auch zum für
Marianne Hagemanns Bilder zentralen, zweiten Stichwort
L O S G E L Ö
S T
Doch zunächst
NUR EINE ROSE ALS STÜTZE
Ich richte mir ein Zimmer ein
in der Luft
…
mein
Bett auf dem Trapez des Gefühls
wie
ein Nest im Wind
…
Meine
Hand
greift
nach einem Halt und findet
nur
eine Rose als Stütze.
Buchbesprechung dieses
Gedichtbandes durch Walter Jens (Tübingen) in der ZEIT vom 27.
November 1959: „Man könne Vertrauen zu ihrer Sprache gewinnen, die
>schwebendleicht wie eine Rose (ist) und die geheimste Zuflucht
der … über Länder und Meere Gejagten< (Tauschwitz 351). Ein
Freund aus Hilde Löwensteins Berliner Studienzeit schrieb er genieße
diese Gedichte >in kleinen Schlucken wie kostbaren alten Wein<
(Tauschwitz 352).
Der zweite Gedichtband Rückkehr
der Schiffe erschien 3 Jahre später (1962). Darin steht das
kurze Gedicht
LOSGELÖST
Losgelöst
treibt
ein Wort
auf
dem Wasser der Zeit
und
dreht sich
und
wird getragen
oder
geht unter.
Du
hast mich lange vergessen.
Ich
erinnere schon niemand,
dich
nicht
und
niemand. /- Domin überhöht
nochmal:
Dies Wort von mir zu dir,
dies treibende Blatt
es könnte von jedem
Baum / auf das Wasser
gefallen sein.
- In der Beschreibung einer Landschaft nördlich von Madrid (Sierra de Guadarrama) , in die sie floh, hatte Hilde Domin die >trostlos großartige Steinwüste Kastiliens< so charakterisiert- „es ist alles schon weggelassen, alles auf die knappste Formel gebracht“ „farblich, menschlich, sachlich“ und die einfühlsame Biografin fügt hinzu: „Die Landschaft schien der Struktur ihrer Gedichte zu entsprechen.“ (Tauschwitz 302) - Gilt Entsprechendes für die Malerei von der wir hier umgeben sind? Will sie im hier umrissenen Sinn LOS-GELÖST und zugleich konzentriert sein?
- Der zitierte Text von Domin ist eine Stelle in einem Brief vom Herbst 1955. Davor steht, was sich auch verstehen lässt als Zuspruch für die Dichterin, die selber am Anfang steht: „flaches Gelb und Grau, - (von der Sonne) - verbrannte Wiesen, ein in den Staub gekauertes Haus … am Himmelsrand... ein stechend schwarzer Fleck: Mensch oder Tier. Das Ganze eine ideale ...(A)ufgabe für einen modernen Maler“ . (Domin schrieb: Anfängeraufgabe) Mit der sengenden Hitze des Südens kommt zur LUFT und dem WASSER das FEUER hinzu.
- Fehlt noch ERDE. Die findet sich im Gedicht WORTE
Worte
sind reife Granatäpfel
sie
fallen zur Erde
und
öffnen sich.
Es
wird alles Innere nach außen gekehrt,
die
Frucht stellt ihr Geheimnis bloß
und
zeigt ihren Samen,
ein
neues Geheimnis.
Der Vortragende überreicht der Malerin einen punischen Apfel
In Domins Frankfurter
Poetik-Vorlesung WS 87/88 fand ich diese Passage: „WAS AUTOR UND
LESER VERBINDET:
Ganz
wie der Autor etwas Zwiefaches tut, wenn sie schreibt (oder
malt), so auch der Leser (der
Betrachter): indem sie
oder er kritisch ist und zugleich … den Wahrheitsanspruch
ernst nimmt... Die Zeilen führen den Atem des Lesers, sind
Atem-Einheiten. Zugleich aber auch optische Einheiten. Dadurch
entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen Erregung auf der einen
Seite und Ratio auf der andern... Wenn also ein Gedicht vorgelesen
wird, so interpretiert die Stimme den Text...Soweit dies Gedicht den
Zuhörer überhaupt bewegt, wird sie oder er auf dem Vollzug der
Stimme mitreisen“ (69)
Darf
ich noch ein weiteres Mal zu dieser Reise einladen?
(auch
Hilde Domin las vorgetragene Gedichte gern 2 mal)
DANACH LEBHAFTE DISKUSSION.
Zum Schluss ein Auszug aus
Thomas Felix Mastronardi „Drum prüfe“, Philosophische Praxis 4,
VIEL GLÜCK!, V.M. Roth (Hg.), Konstanz 2012
Aus einer philosophischen
Trauungsrede:
„In einer guten Ehe sollte man
sich gegenseitig, jeden Abend, … jede Nacht, alles verzeihen, den
Streit vergeben und wenn das nicht möglich ist, dann sollten sie
sich doch mindestens jede Woche alles verzeihen!!“
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