Montag, Dezember 01, 2014

Abenteuer

      

The Adventure of SEARCHING for Orientation in Doing Philosophy
           übersetzt von Mike Roth

Philosophieren als Abenteuer der Orientierung        
Ran Lahav interviewt Detlef Staude 

Detlef Staude ist ein philosophischer Praktiker, der in Bern / Schweiz lebt und seine Philosophische Praxis philocom führt. Er ist Koordinator des Netzwerkes philopraxis.ch , macht Gesprächsgruppen, Seminare, Workshops,  Vorträge,  Philosophische Cafés (mit  Mike Roth u.a.)  sowie Philosophische Beratungen.

Er bemüht sich die 14. ICPP in der Schweiz stattfinden zu lassen. (Stand: Dezember 2014)

Hallo, Detlef!

             Hallo, Ran!

Ran: Du bist ein philosophischer Praktiker hier in der Schweiz und in Deiner philosophischen Praxis gibt es eine ganze Reihe von Aktivitäten. Du bist auch der Koordinator der Schweizer Dachorganisation für Philosophische Praxis.  Detlef: Ja
Ran: Du hast mir gesagt, dass für Dich der Prozess philosophischer Praxis sich als ein Abenteuer darstellt. Es ist das Abenteuer des Verstehens. Erkläre doch, was das heißt!
Detlef: Da beginne ich mit einem Beispiel. Wir sind in einem Seminar zur Ideengeschichte… Ran: Also in der Universität … Detlef: In der Volkshochschule in Bern. Da denken sich die Teilnehmenden hinein in diese “Ideen” und in die Weise, wie ich diese ihnen präsentiere. Sie beschäftigen sich mit der Lebenswelt der Menschen jener Zeit und mit den Begriffen, die sie gebildet haben. Dies wird nicht geschehen ohne eine “Inspiration”. Und die macht die gesamte Gedankenreise zu einem Abenteuer des Geistes. Das Abenteuer liegt im Philosophieren. Es bezieht sich auf unsere Geistesgeschichte, auf unsere eigene Kultur. So verwurzeln sie sich fester in dem, was sie sind,  sich aber noch nicht bewusst sind oder  bewusst waren.
Ran:  Also: Du meinst, das ist wie auf einer Reise, Abenteuerreise ins Reich der Ideen. Zu den Hintergründen unserer Kultur und Geschichte.
Detlef: Ja, das denke ich. Zur „Reise“ fällt mir ein weiteres Beispiel ein. Ich habe auch “Philosophische Reisen” angeboten. Da fuhren wir etwa in andere Länder. “Gedankenreise” geht aber auch als eine Veranstaltung mit mehreren PhilosophInnen. Wir waren da 5 Philosophinnen / Philosophen mit recht unterschiedlichen Weisen philosophischen Denkens. Ran: Aha, Ihr 5 geht auf die Reise …  Detlef:  Etwa zum Ort im Engadin, wo Friedrich Nietzsche manchen Sommer verbrachte, Sils Maria. Jede/r von uns präsentiert ihr/sein Denken zu einem alIen vorgegebenen gemeinsamen Thema. Die etwa 12 Teilnehmer im Kurs können da sehen, wie unterschiedlich die 5 Praktiker denken. Ran: Was geschieht dann im “Retreat”?
Detlef: Ja, das hat Züge von einem “Retreat”. Was passierte?
Es fand eine sehr inspirierte Diskussion statt. Inspirierend im Gespräch zwischen den Philosophen, zwischen Teilnehmern und  Philosophen und zwischen den Teilnehmenden untereinander.
Ran: Locals …Leute vom Ort?
Detlef: Leute, die zur Philosophischen Woche gekommen waren. Es war ein sehr inspirierendes Abenteuer. Ran: Und wie hat dies das Leben berührt? Philosophische Praxis will ja in Kontakt kommen mit dem Leben. Detlef: Ja, das ist nicht leicht zu bestimmen. Denn Philosophie berührt das Leben ja nicht direkt. Wir sind ja nicht im „Retreat“ um Probleme zu lösen. Wäre die Philosophin problemlösend tätig, würde sie auf alternatives Verhalten hin "coachen". Wir philosophieren um unsere Sicht zu erweitern. Philosophierende möchten zu einem tieferen Verständnis ihrer selbst kommen, einem angemesseneren Verstehen der Welt und der „Menschheit“, Verstehen der eigenen Kultur. Wenn jemand sich als Teil von etwas sieht, Teil einer Kultur, Teil der Menschheit, Teil der ganzen Welt – dann erscheinen die Lebensprobleme als kleiner. Manche lösen sich als Probleme auf und werden nun besser verstanden als Züge des Lebens. Sie waren schon Teil des Lebens in der ganzen Geschichte menschlicher Existenz. Ich denke, solches Philosophieren macht es  den Menschen leichter ihre Einstellungen zu ändern. Denn wenn die Sicht sich weitet, dann sehen wir:  dies hat ja mehr Bedeutung als das, worin ich bisher drin verwickelt war. Ran: Da gibt es nun eine größere Welt, die sich mir eröffnet…

Detlef: Ja, und darum spreche ich vom Abenteuer!
Worauf ich die Betonung legen möchte ist die besondere Art von Gesprächen, die „tief“ gehen können (bei Einigen, selten Allen). Zwischen einigen baut sich eine Verbindung auf. Sie nehmen nicht nur an dem Kurs teil und sind dann wieder weg.  Es gibt hier eine Verbindung, die nicht nur emotional verbindet. Emotionale Verbindung habe ich auch als Teilnehmer in anderen Kursen und in anderen Lebensbereichen erlebt: alle fühlen sich verbunden, doch das bleibt auf der emotionalen Ebene. Aber im gemenisamen Philosophieren kommt es auch zu einer anderen Verbindung: auf Gedankenebene und da hält die Verbindung länger an. Dies berührt eben Essentielles. Ran:  Was passierte durch diesen “Retreat”? Wie wirkte es sich aus auf Dich und auf die anderen, die TeilnehmerInnen? Detlef: Es brachte sie dazu Bestimmtes zu lesen, an Themen für sich selbst zu arbeiten, an weiteren Kursen teilzunehmen und auch sich zu treffen. Leute, die sich vorher nicht kannten, kamen anschließend wieder zusammen und treffen sich nun. Und für mich persönlich ergab sich die Inspiration, neue philosophische Gesprächsgruppen aufzubauen und in schon bestehenden neue Themen zu diskutieren. Ran:  Diese Idee, die Du uns nahelegst, die größere Welt der Ideen zu betrachten, den Kontext von Ideen, in denen wir leben … Du hast beschrieben, wie das funktionierte bei dieser besonderen Gelegenheit – gibt es noch Aktivitäten in anderem Format, wo Du demselben Ansatz folgst? Detlef:  Ja, für mich war das Format des Aufeinandertreffens verschiedener Philosophischer Praktiker immer von besonderer Wichtigkeit. Daraus ist übrigens auch das Netzwerk philopraxis.ch hervorgegangen. Und mehr oder weniger dieselbe Idee wirksam: wir kommen zusammen um miteinander zu philosophieren, wir wollen in Kontakt mit dem kommen, was  Jede/r von uns tut in philosophischer Praxis und die verschiedenen Weisen des Philosophierens in Erfahrung bringen. Das inspiriert uns bis heute. Wir bestehen nun 11 Jahre (eine recht lange Zeit).
 
Ran: …Vor unserem Interview hast Du von ORIENTIERUNG gesprochen … Detlef:  Ich denke Menschen haben ein OrientierungsLos*, sie brauchen Orientierung in ihrem Leben. Wir leben nicht „nur so“. Wir müssen ein (von uns) bestimmtes Leben führen. Drum müssen wir unserem Leben „Form“ geben. Daher suche ich Orientierung, in welcher Weise ich mein Leben formen will. Was gibt es auf dieser Welt? Nun gibt es ja viele Möglichkeiten diese Orientierung zu bekommen. Doch wenn man eine gründliche Orientierung sucht, kommt man auch sehr rasch zur Philosophie. Ich denke die wichtige Sache der Philosophischen Praxis ist, dass da Orientierung gesucht und gefunden werden kann. Nicht so, wie das durch Religion geschieht, nicht durch Konzepte, die nur mehr oder weniger bestimmt sind und interpretiert werden müssen. Sondern durch eine Pluralität von Ansätzen. Ich kann auswählen und sehen, was gut für mich und die Welt ist. Vielleicht forme ich meine eigenen Konzepte, meine eigene Richtung für mein Leben. Vielleicht kann ich  mit anderen Menschen  zusammen in Bewegung  kommen. Ich denke, Philosophie und insbesondere Philosophische Praxis hat auch die Bedeutung: „you got to move!“ – auf reflektierte Weise. Ran: In Verbindung mit dem, was Du über das Abenteuer gesagt hast – ist es möglich zu sagen, dass Philosophische Praxis ein Abenteuer ist, eine anregende Suche in der Welt der Ideen nach Orientierung? Detlef: Ja, das fasst es treffend!

 

 

*Siehe: Das OrientierungsLos. Philosophische Praxis unterwegs (2008) mit Beiträgen von Martina Bernasconi, Willi Fillinger, Thomas Gutknecht, Hans Haessig, Bernadette Hagenbuch, Imre Hofmann, Roland Neyerlin, Mike Roth, Detlef Staude, Dominique Zimmermann, Eva Zoller (Hartung-Gorre Verlag Konstanz) für Netzwerk philopraxis.ch

 

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