Donnerstag, Mai 22, 2008

FICHTE


„Habe Mut, Dich selbst zu setzen, Dich selbst zu bestimmen, Dich selbst zu verwirklichen. Zerreiße die Kette, die Deiner Autonomie im Wege stehen, erkenne die Möglichkeit und Notwendigkeit Deiner Freiheit.“


DAS ICH SETZT SICH SELBST (erster Satz seiner Wissenschaftslehre)



Fichtes Ideal einer Bildung:

selbstständig denken

nicht mechanisch auswendig lernen

selber nachvollziehen und verstehen


Fichte einer der ersten, die nicht nur vorlesen wollten,

sondern in Fragestunden, Übungsgruppen, Übungsblättern

die Studenten zum eigenen Denken anregen




Was uns interessiert: Fichtes Lehre

Versuch, sie vorzustellen


Beginn: 1790


Fichte in zerrissener Lage -> befreiende Wirkung Kants


- die Philosophie, die ihn die Lebensführung begreifen lässt


Lektüre der Kritik der praktischen Vernunft


existenzielles Erlebnis:


Ich lebe in einer neuen Welt, seitdem ich die Kritik der praktischen Vernunft gelesen habe. Sätze, von denen ich glaubte, sie seien unumstößlich, sind mir umgestoßen; Dinge, von denen ich glaubte, sie könnten mir nie bewiesen werden, z.B. der Begriff einer absoluten Freiheit, der Pflicht usw., sind mir bewiesen, und ich fühle mich darüber nur um so froher. Es ist unbegreiflich, welche Achtung für die Menschheit, welche Kraft uns dieses System gibt.“

Erkennen der FREIHEIT


zweites Prinzip bei Kant:


Freiheitsprinzip – die Vernunft gebietet aus sich selbst heraus und damit frei. Selbstgesetzgebung der Vernunft bei Kant deren Autonomie


mit Kant wird die Philosophie für Fichte erst zum Lebensinhalt


Der Kern der Kantschen Moralphilosophie blieb immer

ein Fundament Fichteschen Philosophierens


Differenzen zwischen Kant und Fichte traten weniger in der Moralphilosophie als


vielmehr in der Fassung des Verhältnisses von theoretischer und praktischer Philosophie auf.



Demjenigen Leser, der sich zum Studium der Fichteschen Wissenschaftslehre entschließt,


muss dringend geraten werden, dieses Studium mit dem der Kantschen Kritiken zu beginnen.




Ein paar Besprechungen


Versuch einer Kritik aller Offenbarung


Offenbarung ist möglich,

Göttlichkeit des Christentums,

Stütze für die Religion




Politisches aus dieser Zeit:


Zurückforderung der Denkfreiheit von den Fürsten Europas, die sie bisher unterdrückten. Eine Rede. (1793)

Vehementer Eintritt für die Pressefreiheit, Verteidigung der französischen Revolution


Beitrag zur Berichtigung der Urteile des Publikums über die französische Revolution. (1793)

Versuch in der Rechtsphilosophie


Zitat aus anderem Zusammenhang

(nach einer langen und heftig durchdiskutierten Nacht hat Friedrich de La Motte Fouqué sich für die gestörte Nachtruhe und wegen seiner Heftigkeit entschuldigt):


Meinen Sie denn, junger Freund, ich könne Sie lieb haben, wenn Sie nicht aller so­genannten Rücksichten vergessen könnten, im Ringen für etwas, ihnen von Herzen teuer?“


-> diese Einstellung wird an vielen Stellen in Fichtes Leben deutlich

(Atheismusstreit)

Der sogenannte Atheismusstreit:

(kurze und völlig unzureichende Darstellung)



Welcher Professor, Minister, welcher Hof auf Fichtes Seite stand und wer dagegen war, wie die ganze verwickelte Geschichte verlief, das ist für uns im Moment nicht interessant.


Der Streit begann mit der Konfiszierung eines Aufsatzes von Forberg im Philosophischen Journal von Fichte und Niethammer 1798, wozu Fichte einen kleinen Aufsatz von sich beigefügt hatte. Damit wird Fichte des Atheismus beschuldigt. Er verteidigt sich mit der Schrift:

J.G. Fichtes Appellation an das Publikum über die durch ein Kurfürstliches Sächsisches Konfiskationsreskript ihm beigemessenen atheistischen Äußerungen. Eine Schrift, die man erst zu lesen bittet, ehe man sie konfisziert.“

Dadurch bekommt Fichte viel Unterstützung der Öffentlichkeit, aber Kursachsen droht, „seinen Landeskindern den Besuch von Jena zu verbieten“, was Jena ruinieren könnte.

Der Hof will sich aus der Affäre ziehen, ohne die Öffentlichkeit zu verärgern und Fichte bietet ihnen die Gelegenheit, indem er von vornherein erklärt:

Ich darf das nicht; ich kann es nicht. - Ich darf nicht. Mein Benehmen in dieser ganzen Sache vom Anfang bis hieher ist meiner innigsten Überzeugung nach nicht nur tadellos, sondern preiswürdig; und es ist verächtlich, das Preiswürdige ... öffentlich schelten zu lassen.“

weiter stellt Fichte fest, dass jeder Verweis durch Abgebung seiner Demission beantwortet wird. Der Herzog erteilt einen Verweis und nimmt die Demission an. Fichtes Einlenken wird ignoriert.

Vermutlich hat der Hof nur auf eine Gelegenheit gewartet, Fichte loszuwerden.


Interessant hierbei ist für uns hauptsächlich

  1. wie Fichte für seine Aussagen einsteht

  1. dass er sich vehement gegen den Vorwurf des Atheismus wehrt, denn er sieht sich selbst nie als Atheisten

Trotzdem ist es auch verständlich, dass er als Atheist betrachtet wird, wenn er vertritt, dass es „jene lebendige und wirkende, moralische Ordnung ist selbst Gott; wir bedürfen keines anderen und können keinen anderen fassen.“ - „Der Begriff von Gott als einer besonderen Substanz ist unmöglich und widersprechend: Es ist erlaubt, dies aufrichtig zu sagen und das Schulgeschwätz niederzuschlagen, damit die wahre Religion des freudigen Rechttuns sich erhebe.“

Fichtes philosophische Entwicklung hin zur Wissenschaftslehre:



Fichte:

Philosoph des Ich, deutscher Jakobiner, Redner an die deutsche Nation, Nationalist, Antisemit,...

aber als Wissenschaftslehrer verstand er sich selbst


Wissenschaftslehre -> Kernstück seiner Philosophie


insofern treten wir jetzt endlich tief in seine Philosophie selbst ein!


Entwicklung:


Lektüre von Kants Kritiken


Lektüre von Reinholds Elementarphilosophie

-> eine Variante der Kantischen Philosophie – ihre methodische Umkehr.

Statt Analyse Synthese, Zusammensetzung der Elemente.

Grundsatz (Satz des Bewusstseins) von Reinholds System: „Im Bewusstsein wird die Vorstellung durch das Subjekt vom Subjekt und Objekt unterschieden und auf beide bezogen.


Fichte fühlte sich genötigt, für diesen Satz eine Begründung zu suchen

(-> also ist er kein Grundsatz)


--> Fichte stand am vorangetriebensten Punkt der Spekulation,

er hat keinen Philosophen mehr, an den er sich anschließen kann,

er betritt das Neuland der Spekulation


Skizze von Fichtes Überlegungen:


drei Momente des Bewusstseins: Vorstellung, Subjekt und Objekt

(unterschieden und aufeinander bezogen)


Für die Vorstellung ist Unterscheiden und Beziehen notwendig.

Ansatz, um die der Vorstellung voraufliegende Begründung zu finden: Selbstbewusstsein

Andere Formulierung: Ein Wissender weiß sich als Wissenden.


Die Frage ist: Ist das im Selbstbewusstsein Gewusste in Wahrheit das Wissende?

Dies ist es nur im Selbstbewusstsein (Identifikation), als eine eigene Handlung des Wissens. Identifikation des Subjekts mit dem Objekt, beide mit dem Akt des Wissens.

Unmittelbares Wissen im Bewusstsein seiner selbst.

Wissen selbst ist grundlos: Würde man einen Grund denken, müsste man diesen ja auch wissen.

Was keinen Grund hat, ist frei.


---> GEBURTSSTUNDE DER WISSENSCHAFTSLEHRE



Fichte (nach Henrik Steffens):


Da überraschte ihn plötzlich der Gedanke, dass die Tat, mit welcher das Selbstbewusstsein sich selber ergreift und festhält, doch offenbar ein Erkennen sei. Das Ich erkennt sich als erzeugt durch sich selber, das denkende und das gedachte Ich, Erkennen und Gegenstand des Erkennens, sind eins , und von diesem Punkte der Einheit, nicht von einer zerstreuenden Betrachtung, die Zeit und Raum und Kategorien sich geben lässt, geht alles Erkennen aus. Wenn Du nun, fragte er sich, diesen ersten Akt des Selbsterkennens, der in allem Denken und Tun der Menschen vorausgesetzt wird, der in den zersplitterten Meinungen und Handlungen verborgen liegt, rein für sich herauslöst, und in seiner reinen Konsequenz verfolgtest, müsste nicht in ihm, als lebendig tätig und erzeugend, dieselbe Gewissheit sich entdecken und darstellen lassen, die wir in der Mathematik besitzen? Dieser Gedanken ergriff ihn mit einer solchen Klarheit, Macht und Zuversicht, dass er den Versuch, das Ich als Prinzip der Philosophie aufzustellen, wie bezwungen, von dem in ihm mächtig gewordenen Geiste, nicht aufgeben konnte. So entstand der Entwurf einer Wissenschafts-Lehre und diese selbst.“ (rororo Monographie S. 43)


Auf diese Entdeckung schließt sich Schelling (gerade 19 Jahre) Fichte an und schreibt im Jahr darauf die Schrift „Vom Ich als Prinzip der Philosophie“.


Zitat von Schelling aus einem Erlanger Manuskript:

Das Ich ist für Fichte nicht wie für Cartesius bloß der zum Behuf des Philosophierens angenommene, sondern der wirkliche, der wahre Anfang, das absolute Prius von allem.“





Fichtes Wissenschaftslehre:


die „sogenannte Philosophie“, denn Philosophie ist das Streben nach dem Wissen,

Fichte jedoch meint, mit seiner Wissenschaftslehre den Schritt ins Ziel getan zu haben,

die Lehre vom Wissen geliefert zu haben.


Zwar in besonderer Form (in Bezug auf die Wissenschaften) dargestellt

beschränkt sich die Lehre nicht darauf, sondern gilt für jegliches Wissen.


Die Grund-Frage: Woher kommen Grundsätze?

Antwort: aus einer Wissenschaft von einer Wissenschaft überhaupt,

Urwissenschaft sozusagen -> Wissenschaftslehre

Struktur wie andere Wissenschaften, aber als Grundsatz einen aus und durch sich selbst einleuchtenden Satz – das Wissen selbst


„Das Objekt der Wissenschaftslehre ist ... das System des menschlichen Wissens“

Um sich diesem (und nicht dem Inhalt) erst zuzuwenden, muss eine freie Hinwendung der Aufmerksamkeit auf diese Handlungen stattfinden („durch eine Bestimmung der Freiheit“)


Erster Grundsatz:

Selbstgewissheit des Wissens oder Sich-selbst-Helligkeit

-> intellektuelle Anschauung:

intellektuell, weil nicht sinnlich

Anschauung, weil sie den begrifflichen Unterscheidungen vorausliegt


Zweiter Grundsatz:

Element des Wissens, was nicht das Wissen, sondern ein Gehalt des Wissens ist. (Unterscheidung des Wissens zu Anderem)


Der Umkreis dessen, was zu wissen ist, ist dadurch geteilt zwischen Wissen und Nicht-Wissen.

Die Handlung des Teilens ist Handlung des Wissens.


Fichte nennt nun das Wissen ICH und das Nicht-Wissen NICHT-ICH,

im ersten Grundsatz vom absoluten Ich (Safranski: transzendentales Ich)

im zweiten und dritten vom endlichen Ich bzw. Nicht-Ich (Safranski: empirisches Ich)

Benennung als Ich und Nicht-Ich Gefahr der Verwechslung mit psychologischem Ich.


Das absolute Ich oder die intellektuelle Anschauung ist jenes unbedinge sich selbst Wissen und Wollen im Bewusstsein.

Wenn es aber einem Nicht-Ich, dem Anderen des Wissens, entgegengesetzt wird, so ist es ein Moment, nicht das Ganze und somit beschränkt.

Diese Beschränkung, die als vorhandene Tatsache hinzunehmen und nicht abzuleiten ist, widerspricht aber dem Moment von Absolutheit, bzw. Unbedingtheit im Ich, durch welches es sich vom Nicht-Ich unterscheidet.

Diesen Widerspruch strebt das endliche Ich aufzuheben und begreift ihn zugleich.


Aus diesem Verhältnis Ich – Nicht-Ich konstituiert Fichte seine weitere Philosophie:


Neben der Wissenschaftslehre: Natur-, Rechts-, Sitten- und Gotteslehre


Aufgabe des Menschen:


Reinigung von Fremdem (Nicht-Ich), was zwar unentbehrlich ist, um die Bestimmung zu erfüllen, von dem Freizuwerden aber seine Aufgabe ist, d.h. das endliche/empirische Ich zum absoluten/transzendentalen Ich erweitern.


Diesem Zustand kann sich der Mensch nähern, indem er dem unermesslichen All zurufen kann:


Du bist wandelbar, nicht ich, und ich werde stets unversehrt über den Trümmern deiner Gestalten schweben.“ - „Wenn unter den Millionen Sonnen, die über meinem Haupte leuchten, die jüngstgeborene ihren letzten Lichtfunken längst wird ausgeströmt haben, dann werde ich noch unversehrt und unverwandelt derselbe sein, der ich jetzt bin.“


Rechts- und Sittenlehre: Jenaer Zeit

Bemerkenswertes an der Rechtslehre:

Wie kann man frei sein, denn wer frei ist, weiß sich als frei und wer sich als frei weiß, ist frei : wo beginnen? Der Begriff der Freiheit des Menschen hängt nicht von der Freiheit desselben Menschen ab. Er muss dazu aufgefordert werden. (von anderen)


Sittenlehre: Sittengesetz lässt sich aus der Vernunft ableiten.


Wissenschaftslehre: Freiheit zum Ziel UND zur Voraussetzung



Fichtes Geschichtsphilosophie: (Freiheit ist eine wesentliche Bestimmung der Vernunft, Vernunft ist Selbsttätigkeit, die Tätigkeit der Vernunft ist auf das „Ewige“ orientiert)

die Geschichte lässt sich in folgende Epochen unterteilen:


  1. Die Menschheit ist da, hat aber noch nicht begonnen, ihre Verhältnisse mit Freiheit nach der Vernunft einzurichten, Vernunftinstinkt

    Stand der Unschuld des Menschengeschlechts (an Tafel schreiben)

  2. zwingende Autorität, stärkere Individuen wollen die übrigen durch Zwang an die Vorschriften des Vernunftinstinkts binden

    der Stand der anhebenden Sünde

  3. die Freiheit setzt sich absolut, wird ungebunden von äußerer Autorität und vom Vernunftinstinkt

    Stand der vollendeten Sündhaftigkeit

  4. Wahrheit als höchstes geliebt, Freiheit begreift ihren Gehalt in der Vernunft

    Stand der anhebenden Rechtfertigung

  5. Vernunftkunst, Realisierung dieses Gehalts

    Stand der vollendeten Rechtfertigung und Heiligung

-> keine lineare Entwicklung


Fichtes wissenschaftliche Tätigkeit als Übergang von 3. zu 4.



Was für eine Philosophie man wähle, hängt sonach davon ab, was man für ein Mensch ist: denn ein philosophisches System ist nicht ein toter Hausrat, den man ablegen oder annehmen könnte, wie es uns beliebte, sondern es ist beseelt durch die Seele des Menschen, der es hat.“

Ref. von Sandra Mandl Mai 2008 the excellent university of Constance


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